„Wir müssen mit Augenmaß vorgehen“Interview mit Bezirkbürgermeister Josef Wirges
Ehrenfeld – Der Ehrenfelder Bezirksbürgermeister Josef Wirges ist zurück aus dem Weihnachtsurlaub. Der hat sich um einige Tage verkürzt, weil es am Silvesterabend in Bocklemünd-Mengenich zu Ausschreitungen kam. Über den Aufreger zum Jahresabschluss, aber auch über und andere Themen des vergangenen Jahres und der kommenden Monate sprach er mit Hans-Willi Hermans.
In den letzten Jahren hatte man eigentlich das Gefühl, dass sich die Lage in Mengenich beruhigt hätte. Dort ziehen viele Vereine, Unternehmen und Institutionen an einem Strang, damit sich die Stimmung insgesamt verbessert.
Das funktioniert auch sehr gut, die Arbeit des Kriminalpräventiven Rats aus Vertretern der Polizei, des Jugendamts, des Ordnungsamts sowie Bezirksvertretern, dem ich vorsitze, hat sich ebenfalls bewährt. Aber es hat den Anschein, als sei im Internet zu einer „Böllerparty“ aufgerufen worden, da waren offensichtlich auch Jugendliche von außerhalb dabei.
Zum Stadtbezirk
24 Quadratkilometer groß ist der Bezirk, etwa 110 000 Menschen leben in den sechs Stadtteilen Bickendorf, Bocklemünd/Mengenich, Ehrenfeld, Neuehrenfeld, Ossendorf und Vogelsang. Während die übrigen Veedel einen dörflichen Ursprung haben, entstanden Ehrenfeld und Neuehrenfeld im Zuge der Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts vor dem Kölner „Ehrentor“. Industrie prägte diese Stadtteile bis in die 80er Jahre, was noch an verfallenen Überresten und oder aufwändig renovierten Gebäuden aus dieser Zeit abzulesen ist.
Nach dem Niedergang der Industrie nutzten Künstler, Theaterleute und Musiker die leeren Hallen: „Loft“, „Underground“ und „Live Music Hall“ wurden eröffnet, auch das Programmkino Herbrand’s. Schließlich siedelten sich Dienstleister, Designer und Werbetreibende an. Aufgrund dieser Entwicklungen wurden auch die übrigen Stadtteile als Wohnorte immer beliebter und attraktiv für junge Familien. Die Veränderungen bei der Bevölkerungsstruktur sind ein ständiges Thema in der politischen Diskussion. (hwh)
Wir müssen uns das nun alles genauer ansehen, in Mengenich gibt es ja seit einiger Zeit wieder eine größer werdende Drogenszene, das macht mir schon Sorgen. In solchen Fällen reicht Prävention nicht, da muss man repressiv vorgehen, die Sicherheit der Bürger geht vor.
Hatten die Ausschreitungen einen politischen Hintergrund?
Nein, auch wenn zu den Hauptleidtragenden die Besucher einer SPD-Veranstaltung im Bürgerschaftshaus zählten. Da wollten nur irgendwelche Leute Randale machen. Aber es ist alles gut ausgegangen, die Polizei war mit einer Hundertschaft zur Stelle und hat bewiesen, dass sie sich nicht nur um das Stadtzentrum kümmert. Zum Schluss sind die Beamten mit Standing Ovations verabschiedet worden.
Welches Thema hat Sie 2019 am meisten beschäftigt?
Ganz allgemein die Frage nach dem guten Leben in der Stadt, die sich unter den Vorzeichen des Klimawandels noch einmal neu stellt. Wir haben auch in der Bezirksvertretung häufig über die Verbesserung und Erweiterung des Radwegenetzes gesprochen und über barrierefreie Gehwege.
Zur Person
Josef Wirges wurde 1952 in Neuehrenfeld geboren. Nach der Mittleren Reife machte er bei der evangelischen Kirche eine Ausbildung im Verwaltungsdienst und war bis zur Pensionierung mehr als 30 Jahren lang Gesamtpersonalratsvorsitzender beim Deutschen Städtetag.
Als Mitglied der SPD-Fraktion sitzt er seit 1979 in der Ehrenfelder Bezirksvertretung. Von 1980 bis 1996 war er stellvertretender Fraktionsvorsitzender und ist seit 1997 Bezirksbürgermeister. (hwh)
Das ist eine positive Entwicklung. Es geht ja nicht nur um die Schadstoffbelastung, sondern auch um die Frage: Wem gehört der öffentlichen Raum? Denn es ist nun einmal so, dass Pkw, auch wenn sie am Straßenrand abgestellt werden, einen großen Teil des öffentlichen Raums beanspruchen. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass wir zum Beispiel kürzlich die Ottostraße als Fahrradstraße ausgewiesen haben. Sie ist nun sicherer für Schulkinder, auch wenn dadurch einige Parkplätze verloren gegangen sind.
Sie haben mit Ihrer SPD-Fraktion aber seinerzeit gegen die Einführung des Anwohnerparkens in großen Teilen von Alt-Ehrenfeld gestimmt, das Ende des Jahres in Kraft getreten ist.
Ja, weil wir mit Augenmaß vorgehen müssen, wir müssen die Bürger mitnehmen. Es wird viel über den Klimawandel geredet, aber die Fakten sprechen eine andere Sprache: Die Zahl der Pkw-Zulassungen steigt weiter an, auch in Ehrenfeld. Das hängt zum Teil damit zusammen, dass die Leute sich aufgrund der Entwicklung bei den Mietpreisen nicht aussuchen können, wo sie wohnen möchten. Sie sind dann für die Fahrt zur Arbeit auf ein Auto angewiesen.
Oder nehmen Sie ältere Menschen, die es für die Fahrt zum Supermarkt brauchen. Der öffentliche Personennahverkehr ist da noch keine Alternative. Er muss jetzt weiter verbessert werden, aber wir brauchen auch andere Ansätze, die Bildung von Fahrgemeinschaften zum Beispiel. Und wir müssen gezielter die Inhaber von Parkhäusern ansprechen, damit sie Dauerparkplätze zur Verfügung stellen.
Brennt beim Thema Verkehr derzeit ein spezielles Problem auf den Nägeln, das in nächster Zeit gelöst werden sollte?
Natürlich der tagtägliche Irrsinn auf der Venloer Straße zwischen Innerer Kanalstraße und Ehrenfeldgürtel. Wie da die Radfahrer ständig um Autos herumfahren müssen, die widerrechtlich auf dem Radschutzstreifen stehen, das ist lebensgefährlich. Seit Jahrzehnten haben wir die Diskussion, ob wir den Abschnitt nicht zur Einbahnstraße machen sollten.
Ich war da immer skeptisch, aber mittlerweile bin ich so weit zu sagen: Wir sollten es versuchen. Auch wenn ich Bauchschmerzen dabei habe. Bevor wir das machen, müssen wir natürlich die Auswirkungen auf die Parallelstraßen wie Subbelrather Straße und die Vogelsanger Straße sowie auf die Einbahnstraßenregelungen in den Nebenstraßen untersuchen.
Können wir in den nächsten Monaten mit einer Entscheidung rechnen?
Noch ist die Venloer Straße ja offiziell eine Bundesstraße und damit auch nicht in der Zuständigkeit des Stadtbezirks. Die Bezirksvertretung hat aber den Antrag gestellt, dass sie in eine kommunale Straße umgewidmet werden soll, und welche finanziellen Folgen das für uns hätte. Dann erst hätten wir das Recht, darüber zu entscheiden. Vielleicht müssen wir etwas mehr Druck auf das Regierungspräsidium machen, damit diese Entscheidung möglichst schnell fällt.
Da Sie gerade das „gute Leben“ erwähnten: Wie sehen Sie die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt im Bezirk?
Bei mir geben sich die Projektentwickler die Klinke in die Hand, um ihre Wohnungsbauvorhaben vorzustellen. Leider werden dabei meist nur mit Zähneknirschen die Vorgaben des kooperativen Baulandmodells beachtet, die einen Anteil von mindestens 30 Prozent öffentlich geförderten und damit preisgünstigen Wohnungsbau vorsehen. Gewöhnlich wollen die Investoren hochpreisige Wohnungen oder Büros bauen.
Die Bezirksvertretung hat zuletzt immer wieder klar gestellt, dass wir großen Wert auf die geförderten Wohnungen legen und werden das auch weiter im Rahmen unserer Möglichkeiten durchsetzen. Auch wenn der ein oder andere Investor dann abspringt. Wir müssen künftig genossenschaftlichen Modellen verstärkt eine Chance geben, aber auch weiter stadtnahe Wohnungsbaugesellschaften wie die GAG einbinden.
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Und wir müssen dafür sorgen, dass die Subkultur in Ehrenfeld bleiben kann und weitere Schließungen, wie zuletzt der Proberäume an der Hospeltstraße, aufgefangen werden. Zum Beispiel bei der Entwicklung des „Kulturbausteins“ auf dem Helios-Gelände oder wenn es um die Umgestaltung der Artilleriehalle an der Alpener Straße geht.
Welche größeren Ziele haben Sie sonst für 2020?
Selbstverständlich die weitere Stärkung der Bezirke. Frau Reker hat zwar eine entsprechende Kommission eingerichtet und Erfolge erzielt. Aber dann landet, wie zuletzt, eine Verwaltungsvorlage für die Umgestaltung der Bezirkssportanlage in Bocklemünd doch wieder unter dem Punkt „Anhörungen“ auf unserer Tagesordnung. Aber das haben wir als Entscheidungsrecht gesehen, weil es eine Bezirksangelegenheit ist.
In einigen Köpfen hat sich die Vorstellung verfestigt, dass wir eine Art Unterabteilung des Rates seien. Das stimmt aber nicht, laut Gemeindeordnung können wir in unseren Angelegenheiten selbst entscheiden, auch wenn da Millionenbeträge im Spiel sind. Wir sind ein eigenständiges, gewähltes Organ und nicht nur für das Anbringen von Kleiderhaken in einer Sportanlage zuständig.
Eine persönliche Frage: Der SPD geht es bundesweit derzeit schlecht. Schon bei Kommunalwahl 2015 musste sie in Ehrenfeld einen der vier Wahlbezirke, die sie Jahrzehnten sicher hatte, an die Grünen abgeben. Glauben Sie, dass Sie bei den Kommunalwahlen im September 2020 erneut eine Chance auf das Amt des Bezirksbürgermeisters haben?
Der SPD geht es in der Tat schlecht, aber wir sind in Ehrenfeld ein starker Ortsverband mit 400 Mitgliedern. Mein Amt als Bezirksbürgermeister habe ich immer überparteilich verstanden, so sehen mich die Leute auch. Obwohl im September keine Personen, sondern Parteien zur Wahl stehen, und der Bezirksbürgermeister aus der Mitte des Gremiums gewählt wird, rechne ich mir da gute Chancen aus. Grundsätzlich müssen aber alle demokratischen Kräfte zusammenstehen. Ja, ich werde wieder antreten, es wird eine „Kampa Wirges“ geben.