AboAbonnieren

„Das Gehirn leidet“Was eine Kölner Kinderärztin über das Leid der Kinder berichtet

Lesezeit 2 Minuten
Maske im Unterricht

Kinder leiden unter der Corona-Krise besonders.

  1. Dr. Karella Easwaran ist Kinderärztin in Köln-Sülz und Buchautorin („Das Geheimnis ausgeglichener Mütter“).
  2. Mit ihr sprach Simon Westphal über die Nöte der Kinder.

KölnWas macht der zweite Lockdown mit den Kindern und Jugendlichen?Die Schule ist nicht nur ein Ort zum Lernen, dort tauschen sich junge Menschen auch aus. Von diesem Austausch mit Gleichaltrigen hängt die Entwicklung des Gehirns ab. Gerade in der Pubertät ordnen sich die neuronalen Verbindungen neu. Nimmt man Kindern und Jugendlichen ihr Umfeld weg, leidet das Gehirn. Die negativen Folgen sind nicht vorhersehbar, weil wir eine solche Lage noch nicht hatten. Sicher ist aber, dass es große Auswirkungen haben wird. Und es ist unfassbar und unverständlich, dass die Politik darauf nicht reagiert.

Was passiert mit den Kindern genau?

Viele verfallen in eine Form von Traurigkeit, entwickeln Ängste, bei manchen wird sogar eine echte Depression ausgelöst. Mathe kann man nachholen – die neurologische Entwicklung dagegen nicht.

Die fehlenden sozialen Kontakte sind also das Schlimmste für die Kinder?

Ja, und damit auch die fehlende Bewegung. Es ist selbstverständlich, dass wir mit dem Hund Gassi gehen. Dass Kinder und Jugendliche regelmäßig rauskommen, sich in Gruppen bewegen, miteinander spielen und austauschen, sollte genauso selbstverständlich sein. Wenn das nicht passiert, werden sie träge und unmotiviert.

Sieht man das den Kindern an?

Ja, und es wird immer schlimmer. Übergewicht bis hin zu Adipositas ist eine Folge, aber fehlende Bewegung wirkt sich nicht nur auf Muskulatur und Kreislauf, sondern auch auf die Hirnzellen aus.

Was muss sich ändern?

Die Lockdown-Maßnahmen waren sicherlich wichtig. So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Es kann nicht nur um „Schule auf oder zu“ gehen – es geht auch um Risikominimierung, hygienische Maßnahmen oder besseren Infektionsschutz. Es muss möglich sein, Kinder und Jugendliche wieder stufenweise zusammenzubringen. Man könnte alternative Treffen oder kleinere Lerngruppen organisieren. Man kann Maßnahmen auch wieder zurückfahren, aber alles ist besser, als gar nichts zu machen. Denn: In ihrer Not treffen sich viele Familien trotzdem, auch viele Kinder treffen sich heimlich, manchmal sogar nachts. In diesen Fällen haben wir gar keine Kontrolle mehr.

Wie geht es Kindern aus Randgruppen, die es ohnehin schwerer haben?

Die sind praktisch chancenlos. Sie brauchen eine besondere Betreuung, die die Eltern nicht abdecken können. Wenn zum Beispiel Gruppen für Menschen mit besonderen Förderbedarf wegfallen, haben sie nichts mehr. Das führt zu unzumutbaren Umständen in den Familien. Aber auch die Durchschnittsfamilie ohne besonderes Risikopotenzial zeigt mittlerweile psychische Anzeichen von Überlastung. Wir Kinderärzte sehen hier einen dringenden Handlungsbedarf.