„Schlag dir den Schädel ein“Mieter in Köln-Lindweiler werden bedroht und drangsaliert
Lindweiler – Eigentlich hätte ihn die Frage stutzig machen müssen, doch damals war Esan Shafiq (Name geändert) alles egal. Der Mittfünfziger lebt von Sozialleistungen und war froh, eine bezahlbare Wohnung gefunden zu haben. Also antwortete er wahrheitsgemäß mit Nein und unterschrieb. „Sind Sie Mitglied im Mieterverein?“, hatte die Angestellte von Haus Baden vor Unterzeichnung des Vertrags wissen wollen. Die Immobiliengesellschaft ist Vermieter am Marienberger Weg. Später ging Shafiq auf: Die Frage hatte darauf abgezielt, ob er Mittel habe, vor Gericht zu ziehen. Dass es dafür Anlass gab, stellte er schnell fest. Er war mitten in einen sozialen Brennpunkt geraten.
Alkoholiker-Treffpunkt Marienberger Hof
Im Marienberger Hof, der Ortsmitte von Lindweiler, treffen sich seit Jahren Alkoholiker und Drogenabhängige. Dreh- und Angelpunkt ist der Kiosk, das Geschehen spielt sich auch im Marienberger Weg 19 ab.
Dort befand sich bis vor kurzem eine Shisha-Bar. Deren Besitzer wechselten ständig. Momentan steht die Bar leer. Dem letzten Betreiber sei gekündigt worden, nachdem Gäste von innen die Fenster zertrümmert hatten, sagt Shafiq. Am Gespräch nehmen noch ein junger Mann und eine ältere Frau teil, allesamt Bewohner des Hauses Marienberger Weg 19. Die drei bitten darum, anonym zu bleiben. Man habe Angst vor Attacken, sagt Adam Rybak (Name geändert). Jetzt im Winter sei die Lage eher ruhig, anders ist es im Sommer: „Im Hof sitzen dann oft zehn bis 15 Leute, die trinken und brüllen herum, das geht den ganzen Tag bis nachts, immer dieselbe Clique.“
Marienberger Hof
Der Marienberger Hof ist ein kleines Einkaufszentrum, erbaut in den 1970er Jahren. Anfangs waren Geschäfte des täglichen Bedarfs angesiedelt. Der Supermarkt ist erhalten geblieben, zudem findet man dort die Begegnungsstätte Lindweiler-Treff, einen Kiosk, eine Pizzeria und das Café Schatztruhe, wo Secondhand-Kleidung verkauft wird. Die Bäckerei produziert nur noch für gewerbliche Abnehmer. Haus Baden, eine Kölner Immobiliengesellschaft, besitzt am Marienberger Weg drei Häuser mit rund 100 Wohnungen. Das Problem, dass sich auf dem Platz Suchtkranke treffen, besteht seit Jahrzehnten. In den 90er Jahren wurde ein dritter Zugang zum Hof zugemauert, um das Klientel zu vertreiben, doch vergebens.
Im Jahr 2015 startete die Stadt Köln in Lindweiler ein Integriertes Handlungskonzept (IHK) – ein Maßnahmenpaket, mit dem Ziel, die Lebensqualität im Stadtteil zu verbessern. Die Mittel kommen zu 80 Prozent vom Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen. Die Umgestaltung des Marienberger Hofs, die knapp 300.000 Euro verschlang, ist Bestandteil des IHK. Im Vorfeld der Sanierung fanden Bürgerversammlungen statt, Anwohner beklagten immer wieder die Wegelagerei vor dem Kiosk. Die Verantwortlichen bei der Stadt argumentierten damals, dass der Gesetzgeber Alkoholkonsum im öffentlichen Raum erlaubt. Verboten sei aber, direkt vor dem Kiosk zu stehen und zu trinken. Der Kioskbesitzer musste die Zeitungskiste vor der Tür entfernen, damit die Kunden sie nicht mehr als Sitzgelegenheit benutzen konnten. Unter Corona-Bedingungen hat sich die Gesetzeslage verändert. Die Stadt Köln untersagt derzeit generell Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit („Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus“).
Rudelführer verbreitet Angst und Schrecken
Jana Müller (Name geändert) nickt: „Es gibt einen Rudelführer, der hat auch oft seine Frau und Kinder dabei, er benimmt sich, als wäre er auf dem Platz der Boss, hat seine Augen links und rechts, mal spricht er scheißfreundlich die Leute an, ‚eh Jupp, wat machste, haste eingekauft‘, dann wieder schreit er herum, einmal hatte er im Restaurant eine Pizza bestellt, die ihm nicht schmeckte, er brüllte den Mitarbeiter an ‚Ich schlag dir den Schädel ein‘, der verbreitet Angst und Schrecken.“ Es gebe noch einen zweiten Wortführer, berichtet Shafiq. „Ein Glatzkopf mit einem Pitbull, der hat auch eine große Fresse.“
Im Herbst verlagere sich das Geschehen ins Haus. „Die Kippen liegen vor der Tür, im Eingang stehen die leeren Flaschen“, so Müller, „die Alkoholiker wärmen sich im Hausflur auf, pissen unter die Kellertreppe.“ Kaum jemand beachte die Corona-Verhaltensregeln. Im Dezember reagierte Haus Baden, ließ einen Aushang anbringen, der Betteln, Hausieren und Alkoholkonsum untersagt. Abgedruckt ist auch ein Hinweis auf Videoüberwachung – die gebe es aber gar nicht, sagt Müller.
Essensreste im Briefkasten
Bedrückend seien auch Belästigungen anderer Art: „Uns Mietern werden Dinge vor die Tür gelegt, zum Beispiel faules Fleisch“, so Müller. Briefe würden entwendet, berichtet Rybak. „Ich hatte Essensreste im Briefkasten, Eierschalen, leere Fischkonserven, die Post hat tagelang nach Fisch gestunken.“ Bei der Vorstellung, dass wieder eine Shisha-Bar öffnen könnte, graut es Shafiq: „Dann riecht es im Haus nach Dämpfen und Cannabis, so konzentriert, dass man Kopfweh bekommt, nachts gehen die Bässe durch die Wände.“ Mit der Umgestaltung des Platzes wollte die Stadt dem Niedergang des Ladenzentrums entgegenwirken.
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Im vergangenen Jahr wurden neue Bäume gepflanzt, Bänke aufgestellt. In der Folge hätten die Alkoholiker und „Hasch-Puppies“ den Platz noch mehr okkupiert, so Shafiq. „Wie kann das sein, dass wir alle kuschen müssen, der Hof ist eine No-Go-Area“, schimpft er. Auf Anfrage erklärt Polizeisprecher Christoph Gilles, die Polizei fahre in Lindweiler regelmäßig Streife. Es sei korrekt, dass sich im Marienberger Hof „Angehörige der lokalen Trinkerszene“ treffen. Das zuvor „beklagte Drogenklientel“ habe sich aber seit Schließung der Shisha-Bar zerstreut. Die Sicherheitslage sei unauffällig.
Trinkerszene rund um den Kiosk
Robert Baumanns, Pressesprecher der Stadt, bestätigt ebenfalls, dass „sich Personen im Kiosk mit Alkohol versorgen und diesen in unmittelbarer Nähe verzehren“ – was per Gesetz verboten ist, auch im Rahmen der Corona-Schutzverordnung. Deren Einhaltung werde aber durch den Ordnungsdienst überwacht. Haus Baden lässt mitteilen, eine Videoüberwachung sei rechtlich nicht möglich, vom Schild an der Tür erhoffe man sich abschreckende Wirkung. Eine Nachricht dürfte nun für Erleichterung sorgen: Die Shisha-Bar zumindest ist Geschichte. Haus Baden hat das Ladenlokal erworben und möchte es an eine soziale Einrichtung vermieten.