Denis Radovan ist in Köln geboren und hat hier das Boxen gelernt — Der IBF-Europameister will Weltmeister werden. Mit Bernd Imgrund sprach er auch über Niederlagen und miese Tricks im Ring.
Boxer Denis Radovan„Kölner quatschen gern, sind ehrlich und haben Spaß“
Eigentlich wollte Denis Radovan extra für unser Interview von Schwerin nach Köln kommen. Aber dann ging sein Auto kaputt. Beim Online-Interview sieht man hinten im Regal seinen EM-Gürtel.
Die Olympischen Spiele sind noch nicht lange vorbei. 2010 haben Sie an der Jugendolympiade teilgenommen.
Das war die erste Jugend-Olympiade überhaupt. Teil dessen zu sein, war für mich eine wunderbare Erfahrung. Pro Gewichtsklasse durften nur die sechs besten Boxer der Welt teilnehmen, durch meine Bronzemedaille bei der WM im selben Jahr war ich einer davon.
Wären Sie dieses Jahr Olympiasieger geworden?
Wahrscheinlich hätte ich in der Klasse bis 80 Kilo starten müssen. Wie es ausgegangen wäre, kann ich nicht sagen. Aber gute Chancen hätte ich gehabt. (lacht)
Sie sind in Niehl aufgewachsen. Eher bürgerlich oder als Ghettokid?
Ganz durchschnittlich. Wir waren immer sehr viele Kinder, buntgemischte Herkunft, haben immer Fußball gespielt. Und wir waren alle Freunde, tolle Zeit.
Haben Sie Ihre ersten Boxkämpfe auf der Straße ausgetragen?
Nein, ich bin ja schon mit sieben Jahren in den Verein gegangen. Vielleicht gab es mal kleine Rangeleien, aber keine Schlägereien. In solche Situationen bringt man sich letztlich selbst.
Wie meinen Sie das?
Wenn man sich vernünftig verhält und sich benimmt, passiert einem normalerweise nichts.
Sie reden in Interviews gern über Ihre Kölner Herkunft. Was ist für Sie typisch kölsch?
Kölner sind Frohnaturen: Die quatschen gern, sind ehrlich und haben Spaß. Wenn ich in Köln bin, habe ich ein bestimmtes Gefühl: Ich bin von hier, das ist meine Heimat!
Nun leben Sie in Schwerin. Bemerken Sie Unterschiede?
Die Schweriner sind nicht so schnell zugänglich wie die Kölner. Aber wenn man sie einmal erreicht hat, sind sie sehr herzlich.
Warum sind Sie noch immer Mitglied beim SC Colonia?
Weil ich mit dem Verein sehr viel verbinde. Hier habe ich mit dem Boxen angefangen, alle meine Amateurerfolge habe ich für den SC Colonia eingefahren. Mein Vater war hier Trainer − er war der erste Coach von Nelvie (Tiafack, d.Red.), der in Paris Bronze geholt hat.
Ihre Eltern sind aus Rumänien geflohen, als dort noch Diktator Nicolae Ceaușescu regierte.
Väterlicherseits haben wir deutsche Vorfahren, Banater Schwaben. Deshalb wurde mein Vater nach seiner Flucht in Deutschland als Vertriebener aufgenommen. Nach Köln ist er gekommen, weil eine Tante hier lebte.
Haben Sie noch Beziehungen zur Heimat Ihrer Eltern?
In Rumänien leben Onkel, Tanten und meine Omas. Als Jugendlicher habe ich alle Sommerferien dort verbracht, und heute versuche ich, so oft wie möglich hinzufahren.
Sie haben lange den Wunsch gehegt, einmal in Köln zu boxen. 2022 gegen Rafael Bejaran war es so weit.
Das war brutal klasse! Die Stimmung in den Satory-Sälen war die beste, die ich je hatte. Ich hatte Spaß, die Leute hatten Spaß, man hat einfach gemerkt: Die stehen hinter dir, die wollen, dass du gewinnst!
Wie wirkt sich das auf Sie aus?
Man spürt diese Atmosphäre, die pusht dich nach vorn. Ich hatte gut 1000 Zuschauer, aber seitdem kann ich mir vorstellen, wie das für Fußballer sein muss, die vor 80 000 spielen.
Warum verdeutschen viele osteuropäische Boxer ihre Namen? Stichwort „Felix Sturm“, der ja gebürtig Adnan Ćatić heißt.
Da müssen Sie den Felix fragen. Aber natürlich hat es mit der Vermarktbarkeit zu tun, deutsche Namen zogen damals besser. Heute hat sich das meiner Erfahrung nach geändert.
Haben Sie selbst mal überlegt, Ihren Namen zu ändern?
Nein, nie. Obwohl ich auf die deutschen Namen meiner beiden Uromas zurückgreifen könnte.
Eine Weile wurden Sie von Jürgen Brähmer trainiert, dem ehemaligen WBA- und WBO-Weltmeister, der einige Jahre im Gefängnis verbracht hat.
Wir haben aktuell keinen direkten Kontakt. Aber von ihm trainiert zu werden, war sehr gut für mich, weil er ein großer Sportler war, von dem ich viel lernen konnte.
Wie fühlt sich ein Niederschlag an?
Da siehst du einen Blitz, und dann liegst du schon am Boden. (lacht)
Empfinden Sie das als Demütigung?
Also ich bin ja erst ein einziges Mal zu Boden gegangen, als Amateur, ist ewig her. Demütigend fand ich das nicht, ich habe eher gedacht: Na warte, jetzt bin ich dran!
Wie definieren Sie als Sportler Respekt?
(schweigt lange) Was der holländische Hockeyspieler nach dem Olympiafinale gemacht hat, war respektlos. Wenn man gewonnen hat, macht man sich nicht lächerlich über den Verlierer. Wenn das Ding vorbei ist, muss man sich die Hand geben. So ist das im Sport.
Welche miesen Tricks gibt es im Ring?
Dauerndes Halten zum Beispiel, oder versteckte Tiefschläge. Die Grenzen der Sportlichkeit muss jeder selbst abstecken.
Wie weit gehen Sie?
Jeder Sportler hat eine gewisse Aura, die auch ohne Worte und Gesten wirkt. Ich denke, ich bin ehrlich und korrekt, und deswegen werde ich auch mit Respekt behandelt.
Was lernt man vom Boxen für den Alltag?
Dass das ganze Leben ein Kampf ist!
Boxtreffer gelten nur oberhalb des Hosenbundes. Was halten Sie von Ganzkörpersportarten, etwa von asiatischen Kampfsportvarianten?
Für mich gab es immer nur das Boxen. Aber im Kölner Olympiastützpunkt, da war ich manchmal mit den Judokas zusammen. Das sind dermaßene Maschinen, solche Monster! Dasselbe gilt für Ringer, Gewichtheber und diese Jungs. Die tauchen in den Medien nicht so oft auf, aber ich habe Riesen-Respekt vor denen.
Sie sind amtierender Europameister der IBF, einem der vier großen Boxverbände. Was bedeutet Ihnen der Titel?
Am Ende des Tages zählt für mich nur der WM-Gürtel. Alles andere sind Schritte dorthin. Letztes Jahr stand ich vor einem Ausscheidungskampf für die Weltmeisterschaft. Aber der wurde so oft verschoben, ich musste mich so lange auf Top-Niveau fit halten, dass ich mir schließlich eine Verletzung zuzog, einen Muskelbündelriss in der Wade.
Wie wollen Sie das Ziel, Weltmeister zu werden, dennoch erreichen?
Zunächst mal muss ja der Promoter seine Arbeit machen und mir die richtigen Kämpfe organisieren. Ich selbst kann nur immer weiter Gas geben. Ich bin topfit, immer im Training und zu allem bereit!
Sie haben ein paar Semester Sportmanagement studiert. Mit Abschluss?
2019 habe ich abgebrochen. In dem Jahr war ich drei Monate in Miami, habe geheiratet und war schließlich ein halbes Jahr im englischen Boxzentrum in Sheffield. Da passte kein Studium mehr zwischen, und dann kam auch noch Corona. Aber die Leute von der Uni haben mir gesagt: Denis, du kannst jederzeit wieder da anfangen, wo du aufgehört hast.
Also werden Sie nach Ihrer aktiven Karriere Boxpromoter?
Mein Plan B ist, dass ich dem Boxen immer verbunden bleiben werde. Ich habe eine erste Trainerlizenz und will dieses Jahr alle weiteren Lizenzen machen. Ich bin davon überzeugt, ein guter Trainer werden zu können.
Was würden Sie im Boxsport als erstes ändern, wenn Sie Präsident des deutschen Verbandes wären?
Ich würde diese ganzen verschiedenen Olympiastützpunkte auflösen und alles zentralisieren. So wie das in England und Frankreich schon seit Jahren gehandhabt wird. Da trainieren die Besten permanent miteinander, da ist der nationale Zusammenhalt viel größer, während bei uns die Stützpunkte miteinander konkurrieren.
Ihre Frau Reem Alabali-Radovan ist die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Was hat es für Nachteile, mit einer Politikerin verheiratet zu sein?
Gar keine. Ich bin in erster Linie mit meiner Frau verheiratet und nicht mit einer Politikerin. Letztlich ähneln sich die Politik und der Sport in vielen Punkten, da können wir gegenseitig voneinander lernen.
Sie haben eine anderthalbjährige Tochter. Wie gut ist ihr Jab?
(lacht) Sie ist noch ein bisschen zu jung. Im Ring war sie auch noch nicht. Aber sagen wir so: Sie ist viel in Bewegung.
Würden Sie ihr erlauben zu boxen?
Klar, wenn sie das irgendwann möchte. Aber es gibt ja genug andere Sportarten. Für mich ist nur wichtig, dass ich immer hinter ihr stehen werde, zu hundert Prozent!