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„Beschämend“Wie es zu antisemitschen Darstellungen im Kölner Dom kam

Lesezeit 5 Minuten
domblatt-antisemitisch

Der Judaslohn wird übergeben: Dargestellt wir die Übergabe im Kinderfenster des Kölner Doms mit antisemitischen Attributen wie Hakennase und rötlichen Haaren.

  1. Bernd Wacker ist Doktor der Theologie und ehemaliger Leiter der Karl-Rahner-Akademie.
  2. Für das aktuelle Domblatt schreib er einen Beitrag über das sogenannte Kinderfenster im Kölner Dom, das lange übersehene antisemitische Darstellungen beinhaltet.
  3. Wie es zu diesen Darstellungen noch in den 1960er Jahren kommen konnte, darüber sprach mit ihm Ingo Schmitz.

Köln2006 veranstaltete die Karl-Rahner-Akademie in Zusammenarbeit mit dem Dombauarchiv eine Fachtagung, die sich mit den antijüdischen beziehungsweise antisemitischen Artefakten im Dom beschäftigte. Die Beiträge dieser Tagung wurden komplett im „Kölner Domblatt“ von 2006 veröffentlicht. Doch über das „Kinderfenster“ und seine judenfeindlichen Darstellungen findet man dort nichts.

Das „Kinderfenster“ hatten wir tatsächlich übersehen. Selbst als wir 2018 eine zweite, überarbeitete Auflage dieses Domblatts herausgaben, fehlte es in unserer Bestandsaufnahme immer noch. Erst die Kölner Kirchenzeitung machte uns im November 2018 auf dieses Versäumnis aufmerksam. Als ich das Fenster dann erstmals gründlich betrachtete, wurde mir klar, dass es unumgänglich war, seine Entstehung und Aussage sehr genau unter die Lupe zu nehmen.

Wieso konnten Sie dieses große, in den 1960er Jahren entstandene Fenster übersehen?

Ich habe einfach nicht damit gerechnet, dass solche Darstellungen, wie sie sich dort finden, nach dem Holocaust noch möglich seien. Denn der ganz, ganz überwiegende Teil antijüdischer Artefakte im Dom stammt ja aus dem Mittelalter beziehungsweise der Frühen Neuzeit und eben nicht aus dem späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert. Hinzu kommt die leicht abseitige Platzierung des Fensters in der Westwand ganz am Ende des nördliche Querschiffs und sein kleinteiliger Aufbau mit Dutzenden von Figuren in insgesamt 36 Einzelszenen, deren Entzifferung viel Zeit voraussetzt und kaum auf Anhieb gelingt.

Kinderfenster

Das Fenster  in der Gesamtansicht

Wie war es möglich, dass noch 20 Jahre nach Ende der Nazi-Herrschaft ein Fenster in einer der bedeutendsten Gotteshäuser Deutschlands unbemerkt antijüdische, ja gezielt antisemitische Inhalte verbreiten konnte?

In meinem Aufsatz im neuen „Domblatt“ habe ich versucht, darauf eine Antwort zu finden. Doch wer da letztendlich Regie führte, ist aus den Akten, die mir zugänglich waren, nicht zu ersehen. Die Idee, ein Fenster zu stiften, das möglichst von Kindern finanziert sein sollte, entstand im Umfeld des Domjubiläums von 1948. Bis sie umgesetzt werden konnte, dauerte es fast 20 Jahre. Ideengeber war der damalige Dompropst Hermann-Joseph Hecker, für den es keine Frage war, dass der Alte Bund zwischen Gott und dem jüdischen Volk durch die Kirche überboten und ersetzt sei. Das „Kinderfenster“ in der heute zu sehenden Form allerdings entstand erst, als er bereits verstorben war.

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Es ist ja nicht nur so, dass in dem Fenster judenfeindliche Klischees bedient werden, wie sie schon vor dem Dritten Reich zur Diffamierung genutzt wurden. Sie haben auch einen Fall von regelrechter Nazi-Propaganda in diesem Fenster ausgemacht.

In der Tat. In der fünften Bildzeile von unten sieht man von links nach rechts zunächst die alttestamentliche Szene, in der Josef von seinen Brüdern verkauft wird. Daneben ist, mit Hakennase und rötlichen Haaren, der geldgierig Judas zu sehen, der Jesus verkauft. Dann die Darstellung, in der Jesus durch den „Judaskuss“ verraten wird. Und schließlich, als letzte Szene in dieser Reihe: Eine Mutter, die mit ihren Kindern vor einem Fliegerangriff auf Köln flieht. Was damit gesagt werden soll, ist offensichtlich: Juden sind die ewigen Verräter! Das Weltjudentum ist für die Krieg und Zerstörung Deutschlands durch die Alliierten verantwortlich! Das ist die Propaganda der Nationalsozialisten.

Gestiftet von der Jugend Kölns

Zum Domjubiläum 1948 fand ein Pontifikalamt für die Schuljugend statt. Vor dem Dom versammelten sich rund 40 000 Kinder. Der Dom war noch gezeichnet von den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs. Vor allem die Fenster waren betroffen. Da wurde eine bereits ältere Idee neu aufgegriffen, beschrieben im Domblatt von 1950: Ein fenster im Südteil des Querhauses wird von der Kölner Schuljugend gestiftet, die bereits eifrig beim sammeln ihrer Spenden ist.“

Der damalige Dompropst Hermann Josef Hecker (1979 - 1960) nahm sich der Umsetzung an. Drei thematische Entwürfe sind von Hecker überliefert. Die sich deutlich von der heutigen Fassung unterscheiden. Für das jetzige Fenster der „fliehenden Mutter“ mit Anspielungen auf nationalsozialistische Propaganda hatte er vorgeschlagen: „Gefangennahme von Pius VI. durch Napoleon.“

Bernhard Kloß, Künstler und Glasmaler, wurde schließlich mit der Ausführung beauftragt, er schloss zwischen 1960 und 1965 seine bildnerischen Vorlagen ab. Mittlerweile gab es Veränderungen an sechs der neuen Fensterzeilen. Die Herstellung und Einsetzung der Scheiben erfolge von 1966 bis 1968. (ngo)

Die Scheiben, die Sie gerade beschrieben haben, sind in der ersten Hälfte der 1960er Jahre entstanden.

Diese Fensterzeile ist wirklich tief beschämend, und man fragt sich, was sich die Mitglieder des Domkapitels seiner Zeit dabei gedacht haben, als sie dieses Fenster anstandslos genehmigten. Auch sonst scheint es keinerlei Proteste gegeben zu haben, 1968 nicht und nicht 1993, als das Fenster aus dem Südschiff an die heutige Stelle versetzt wurde. Auch damals hat keiner die Darstellungen hinterfragt.

Obwohl der Rabbiner der Synagogengemeinde, Yechiel Brukner, jüngst gefordert hat, die antisemitischen Darstellungen im Dom sollten entfernt werden, hält man seitens der Verantwortlichen daran fest, die judenfeindlichen Artefakte als wertvolle historische Zeugnisse und Teil des Denkmals Kölner Dom an Ort und Stelle zu belassen, zugleich jedoch darüber aufzuklären, was es mit diesen Artefakten auf sich hat. Gerne wird dabei auf mittelalterliche Werke wie die „Judensau“ im Chorgestühl verwiesen. Ist diese Vorgehensweise auch im Fall des „Kinderfensters“ zulässig, dessen antisemitische Propaganda erst nach dem Holocaust entstand?

Ja, ich glaube, sie ist zulässig, denn auch diese Beschuldigung der Juden ist Teil der Schuldgeschichte, der sich Katholiken zu stellen haben. Selbst in der Zeit des II. Vatikanischen Konzils, in den Jahren der christlich-jüdischen Annäherung also, mangelte es an Sensibilität gegenüber der permanenten Gefahr des Antisemitismus. Wollen wir dieses Zeugnis einfach ins Museum entsorgen, so als ob all das ein für allemal vorbei sei? Ich glaube, das ist nicht der richtige Weg.

Aber wie dann damit umgehen? Genügt es, ein Buch dazu zuschreiben oder eine Broschüre herauszugeben und im Dom auszulegen?

Nein! Historische Aufklärung ist unerlässlich, aber nicht genug. Es müssen neue Formen entwickelt werden, mit diesem furchtbaren Erbe umzugehen. So könnte ich mir durchaus vorstellen, dass man das „Kinderfenster“ oder andere Artefakte zu bestimmten Anlässen für einige Zeit verhängt oder sie in liturgischen Zusammenhängen eigens thematisiert. Gerne weise ich darauf hin, dass das Domkapitel in nächster ein Kunstwerk ausloben wird, das sich mit der christlich-jüdische Geschichte beschäftigen und auf seine Weise deutlich machen soll, dass christlicher Glaube und jede Form von Judenfeindschaft unvereinbar sind.