Beinahe hätten Hugo Geppert die Wirren der Zeit in die Hände gespielt. Doch die Kölner Polizei kam ihm auf die Spur – und machte einen grausigen Fund aus einem Abflussrohr. Ein neuer historischer Kriminalfall in der Rundschau-Serie „Babylon Köln“.
Babylon KölnEhefrau zerstückelt und im Abfluss entsorgt
Menschenmassen zogen zur Aachener Straße, um ein Spektakel zu sehen. Die deutschen Truppen, die bis zu diesem Zeitpunkt noch weit in französischem Gebiet gestanden hatten, mussten laut Waffenstillstandsabkommen alle abgezogen werden und passierten dabei Köln. „Mitbürger! Flaggen heraus!“, ließ Oberbürgermeister Adenauer am Freitag, dem 18. November 1918 überall anschlagen. „In wenigen Tagen kommen unsere Frontheere. Mit Ruhm bedeckt, nicht geschlagen, weichen sie nach 51 Kriegsmonaten feindlicher Übermacht. Heißt die Helden, die Euch die Heimat geschirmt haben, willkommen!“ Vom 23. November bis zum 3. Dezember 1918 dauerte der Durchmarsch. Dann waren nach dem Kaiser auch die Soldaten weg und die Zukunft ob der bevorstehenden feindlichen Besetzung ungewiss.
Gelände der Werkbundausstellung in Deutz erstürmt
Die öffentliche Ordnung schien in Gefahr. Vor allem, als in der hungrigen Bevölkerung das Gerücht aufkam, dass die städtischen Vorräte vor den bald erwarteten Besatzungssoldaten auf die rechte Rheinseite in Sicherheit gebracht würden. Am Abend des 3. Dezember, nachdem die letzten deutschen Truppen die linke Rheinseite Kölns verlassen hatten, sammelten sich vor dem Proviantamt tausende Menschen und verlangten, dass die dort gelagerten Lebensmittel herausgegeben würden. Es kam sogar zu Schießereien, auch mit Maschinengewehren. Da gingen die Sorgen des alltäglichen Lebens fast unter.
Zur Polizei kam etwa tags darauf eine Frau, um anzuzeigen, dass ihre 51 Jahre alte Schwester verschwunden sei. Letztmals sei sie vor etwa drei Wochen gesehen worden. Sie mache sich große Sorgen, zumal es in der Ehe mit Hugo Geppert nicht ohne Konflikte zugehe. Ohne Konflikte ging es auch an diesem Tag auch in Köln nicht zu. Just an diesem Vormittag war das zum Heerespark umfunktionierte Gelände der Werkbundausstellung in Deutz von einer tausendköpfigen Menschenmenge erstürmt worden.
An den überrannten Wachtposten vorbei hatten sich Männer, Frauen und Kinder den Weg zu den Depots gebahnt. Das Geplünderte, unter anderem Öfen und Werkzeug, wurde in diesem Moment mit Pferdekarren, Handwagen und Schubkarren, teils mit den dort gelagerten vierräderigen Wägelchen abtransportiert. Natürlich nicht ohne Gegenwehr. Weithin gut zu hören waren die Maschinengewehrsalven. Unter Kontrolle war die Lage nicht.
Fleisch im Abfluss in Nippeser Wohnung gefunden
Trotzdem fanden die Polizeibeamte Zeit, um der Vermisstenanzeige nachzugehen und besuchten den Ehemann, den 55 Jahre zuvor in Myslowitz in Oberschlesien geborene Maschinisten Hugo Geppert, in der gemeinsamen Mansardwohnung in der Neusser Straße 317 in Nippes. Dieser meinte, seine Frau habe ihn wohl verlassen, auf jeden Fall sei sie zu seiner Schwester nach Breslau gereist. Weil der Polizei dies merkwürdig erschien, wurde Hugo Geppert vorläufig festgenommen, musste aber schon bald aus der Haft entlassen werden, weil ihm kein Vergehen nachzuweisen war.
Dann jedoch kam der Polizei zu Ohren, dass vor ungefähr zwei Wochen im Wohnhaus der Gepperts der Abort verstopft gewesen sei. Der Hauseigentümer, Metzger Heinrich, habe deshalb einen Klempner herbeigerufen, um im Keller nachzusehen. Gefunden habe dieser mehrere kleinere Stückchen Fleisch, die das Abflussrohr verstopften. Er habe sie in einen Sack gesteckt und zum Schutthaufen am Niehler Kirchweg gebracht. Umgehend machte sich die Polizei auf, um sie wiederzufinden. Sie war erfolgreich und beschlagnahmte den wiederentdeckten Sack.
Weitere Ehefrauen ermordet?
Untersuchungen ergaben, dass es sich tatsächlich um Menschenfleisch, genauer das Fleisch einer Frau handelte. Das rückte auch die Vorgeschichte des insgesamt dreimal verheirateten Geppert in ein anderes Licht, denn während seine erste Ehefrau wohl eindeutig eines natürlichen Todes gestorben war, war seine Frau aus zweiter Ehe vor etlichen Jahren spurlos verschwunden und schließlich für verschollen erklärt worden, so dass der Verdacht nahe lag, dass er sie ebenfalls ermordet haben könnte.
Geppert wurde am Abend des 6. Dezember 1918 festgenommen und ins Polizeigefängnis eingeliefert. Während tags darauf die letzten, in Deutz stationierten deutschen Truppen Köln verließen und den britischen Truppen wichen, legte Geppert schließlich doch ein Geständnis ab. Er sei mit seiner Frau in Streit geraten. Als sie ihm vorgehalten habe, dass er schwere Diebstähle in Brühl verübt habe, sei er in Wut geraten. Da habe er seine Frau erschlagen und dann, um die Tat zu verschleiern, die Leiche kleingehackt und die einzelnen Stücke ins Kloset geworfen.
Später revidierte er seine Aussage. Seine Frau sei vom Stuhl auf den Herd gestürzt und dann an den Folgen eines Schädelbruches gestorben. Weil er Angst vor einer falschen Anklage hatte, habe er die Leiche in Stücke geschnitten, die Teile dann in einen Sack getan, mit dem er bis zum Heumarkt gefahren sei und ihn schließlich in den Rhein geworfen habe. Lediglich die in der Eile zurückgelassenen Stücke habe er nachträglich ins Klosett geworfen.
Gefängnis für „brutales Verhalten“
Am 19. Januar 1919 wurde die Wahl zur Deutschen Nationalversammlung abgehalten. Deutschland hatte danach eine demokratisch legitimierte Regierung. Alle Bürger hatten erstmals gleiches Stimmrecht, auch Frauen. In dieser hoffnungsvollen Anfangszeit der Weimarer Republik sollte dann auch der Prozess gegen Geppert in der ersten Schwurgerichtsperiode des Jahres 1919, die am Montag, dem 10. Februar begann, verhandelt werden. Er verzögerte sich dann aber noch. Grund war unter anderem, dass eine Säge durch den renommierten Chemiker Dr. Loock in Düsseldorf auf Blut- und Fettspuren untersucht werden sollte, die Post sich jedoch weigerte, dieses Paket zu befördern.
So dauerte es dann bis Anfang Mai, bis Geppert im großen Schwurgerichtssaal des Appellhofgebäudes wegen tödlicher Körperverletzung angeklagt wurde. Das Verfahren endete, indem Geppert dem Antrag des Staatsanwalts entsprechend zu sechs Jahren verurteilt wurde. Gepperts brutales Verhalten nach der Tat rechtfertige nur Zuchthausstrafe, hieß es in der Begründung. Und ans Licht gebracht hatte das Verbrechen ein verstopftes Abflussrohr.