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Babylon Köln
Wer war Hannes Miebach, den die nationalsozialistischen Machthaber auf Melaten ehrten?

Lesezeit 6 Minuten
Einen Tag nach der Kommunalwahl am 13. März 1933 übernahmen die Nationalsozialisten die Macht im Rathaus.

Aufmarsch: Einen Tag nach der Kommunalwahl am 13. März 1933 übernahmen die Nationalsozialisten die Macht im Rathaus. Oberbürgermeister Konrad Adenauer war tags zuvor aus Köln geflohen.

Auch in Köln dominierten in den 20er und 30er Jahren Armut und politische Unruhen. Die Grabstätte des Nationalsozialisten Hannes Miebach findet sich noch heute auf Melaten.

Der berüchtigte Kapitän Ehrhardt höchstpersönlich war am 25. Januar 1935 auf dem Melatenfriedhof. Jener Freikorpsführer, der mit seiner Brigade Ehrhardt bei fast allen gewalttätigen Angriffen auf die junge Demokratie der Weimarer Republik die Hände im Spiel gehabt hatte. Hermann Ehrhardt hatte maßgeblich mitgemischt beim antidemokratischen Kapp-Putsch im März 1920. Die Leute seiner Geheimorganisation Consul standen hinter der Ermordung von Walther Rathenau und Matthias Erzberger. Nun stand er am Grab von Hannes Miebach, der fünf Tage zuvor mit nur 31 Jahren bei einem Flugzeugabsturz über der Ostsee ums Leben gekommen war.

Wer war aber dieser Hannes Miebach, den die nationalsozialistischen Machthaber mit dem allersten Staatsbegräbnis überhaupt auf Melaten ehrten? Warum standen neben der Brigade Ehrhardt unter anderem SA, SS und Hitler-Jugend Spalier?

„Lieber Hannes Miebach, du warst einer der ersten, vielleicht der erste Nationalsozialist in Köln“, erklärte Ehrhardt in seiner Grabrede. Tatsächlich hatte sich der fanatische Nationalist Miebach stets sehr engagiert gezeigt – insbesondere bei gewalttätigen Auseinandersetzungen mit anderen politischen Gruppierungen. Nachdem er schon als Dreizehnjähriger von daheim ausgerissen war, um im Ersten Weltkrieg zu kämpfen, fand er 1922 zur rechtsradikalen Geheimorganisation Consul von Hermann Ehrhardt. Besonderen Hass hegte Miebach auf die sogenannten Rheinischen Separatisten. Diese fragten sich, ob es nicht von Vorteil für das Rheinland wäre, wenn es sich vom preußisch geprägten Deutschen Reich löste und ein besseres Verhältnis zu Frankreich suchte. Frankreich fand diesen Gedanken eines eigenständigen Pufferstaats sehr reizvoll. Deutsche Nationalisten aber natürlich überhaupt nicht, da sie hierdurch das Reich geschwächt sahen.

Publizist Joseph Smeets reizte die Behörden

Prominenteste Stimme des Rheinischen Separatismus war in Köln der Publizist Joseph Smeets. Der reizte die deutschen Behörden mit nicht immer sehr wahrheitsliebenden Artikeln. Wiederholt verurteilten ihn deutsche Gerichte wegen Verleumdung oder Beleidigung. Das Rheinland aber war nach dem Ersten Weltkrieg besetzt, sodass die Rheinlandkommission das letzte Wort hatte. Und hier legte Frankreich gegen jegliche Bestrafung des Separatisten Smeets immer wieder ihr Veto ein. Sehr zum Missfallen von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung. Erster Höhepunkt war der sogenannte Richterstreik in Köln. Strafkammer und Schöffengericht unterbrachen am 12. Oktober 1922 ihre Sitzungen, um ausdrücklich dagegen zu protestieren, dass die von deutschen Gerichten über Smeets gesprochenen Urteile nicht umgesetzt wurden. Und weil man an die Rheinlandkommission schlecht herankam, wuchs der Zorn auf Smeets, der als französischer Agent beschimpft wurde.

Am 17. März 1923, abends gegen 19.15 Uhr, drang Hannes Miebach unter nichtigem Vorwand in Smeets' Wohnung in der Luxemburger Straße ein und feuerte mehrmals auf Joseph Smeets und dessen Schwager. Letzterer war sofort tot. Smeets selbst wurde schwer verletzt und sollte 1925 an den Spätfolgen des Attentats sterben. Miebach ergriff die Flucht. Er bekam aber die Korridortür nicht geöffnet. Hektisch zerschlug er die darin eingelassene Glasscheibe und quetschte sich durch die Scherben. Draußen, wo sich, vom Lärm aufmerksam geworden, schnell eine Menschenmenge versammelt hatte, rief er laut nach einem Schutzmann und stiftete dadurch so viel Verwirrung, dass er selbst unbehelligt Richtung Barbarossaplatz davoneilen und unerkannt entkommen konnte.

„ Du fandest Schutz vor den Häschern“

„Ich sehe dich noch vor mir, wie du 1923 nach München kamst und mir meldetest, dass du die Separatistenführer Smeets und Kaiser zusammengeschossen habest, den Arm in der Binde infolge einer Verwundung, die du durch einen Sprung durch das Fenster dir zugezogen hattest“, erinnerte sich Hermann Ehrhardt 1934 an Miebachs Grab. „Wir haben dich notdürftig zusammengeflickt und du fandest Schutz und Sicherheit vor den Häschern in den Reihen der Brigade der ehemaligen Organisation Consul.“

Miebach wurde ein enger Vertrauter Ehrhardts und war gerne bereit, in seinem Auftrag weitere Attentate auszuüben. So 1924, nachdem in der Pfalz unter Führung von Heinz-Orbis ein separatistischer Staat ausgerufen worden war.

„Du wusstest, dass der geradeste Weg zum Herzen von Verrätern noch immer die Pistolenkugel gewesen ist“, verkündete Ehrhardt an Miebachs Grab. „Und so drangst du in dem von den Franzosen besetzten Speyer in das Zimmer ein, in dem Heinz Orbis mit seinen Genossen tagte, und ihr schosset die ganze Gesellschaft zusammen. Zurückgekehrt nach abenteuerlicher Flucht, erledigtest du die ganze Angelegenheit mit deiner Meldung: Befehl ausgeführt.“

Wieder war Miebach unerkannt entkommen. Fünf Menschen hatten in Speyer ihren Tod gefunden: zwei Separatisten, zwei der Attentäter und ein Unbeteiligter.

Ende März 1933, zehn Jahre nach dem Anschlag auf Smeets und kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, gab es dann ein neues Gesetz: Es versprach eine Amnestie für alle jene, „die sich im Kampfe für die nationale Erhebung aus vaterländischem Überschwang zu Straftaten haben hinreißen lassen“. Und nun gab sich Miebach als der gesuchte Attentäter zu erkennen. Die nationalsozialistischen Machthaber, immer auf der Suche nach vermeintlichen Heldengeschichten, waren begeistert. Und als Miebach 1934 starb, ließen sie die Gelegenheit nicht aus, den mehrfachen Mörder zum Märtyrer ihrer sogenannten Bewegung zu erklären.

Die Straßen, die in Köln und andernorts nach Miebach benannt worden waren, sind längst wieder vom Stadtplan verschwunden. Das denkmalgeschützte Ehrengrab von Kölns erstem Nationalsozialisten steht aber immer noch auf Melaten.


Reaktion des NS-Dokumentationszentrums

Die Rundschau bat das NS-Dokumentationszentrum (NS-DOK) um eine Einordnung. Dessen Leiter Henning Borggräfe erklärte auf Anfrage: „Hannes Miebach war nach Kenntnis des NS-DOK Teil des weitverzweigten Organisationsnetzwerks extrem Rechter bis rechtsterroristischer Gruppierungen in der Zeit der Weimarer Republik. Inwieweit er nach der Gründung der Kölner NSDAP 1921 in den frühen 1920er-Jahren eines der ersten Kölner NSDAP-Mitglieder war, ist hier nicht bekannt.“

Bei der Formulierung „einer der ersten Kölner Nationalsozialisten“ handele es sich „um eine rückblickende Zuschreibung durch die Nazis selbst, die gegebenenfalls eher auf der gemeinsamen Weltanschauung basiert als auf einer Organisationszugehörigkeit“, so Borggräfe.Das NS-DOK habe Kenntnis davon, dass das Grab von Hannes Miebach weiterhin auf Melaten existiert. „Dies gilt auch für andere Gräber ehemaliger Nationalsozialisten beziehungsweise Angehöriger extrem rechter Gruppierungen aus der Zwischenkriegszeit auf Kölner Friedhöfen. Eine systematische Bestandsaufnahme zu diesem Thema ist – anders als beispielsweise im Fall belasteter Straßennamen – bisher nicht erfolgt.“

Zur Frage, wie die Stadt mit dem Grab umgehe, ob es auf Melaten Hinweise für die Friedhofsbesucher gebe, erklärte die Stadtverwaltung:

„Es gibt keine erläuternden Informationen über Miebach am Grab, seitens der Friedhofsverwaltung ist nichts Derartiges geplant. Für diese Grabstelle würde bei einer entsprechenden Anfrage kein neues Nutzungsrecht oder keine Patenschaft an der denkmalgeschützten Grabanlage vergeben.“Auf die Frage, wer für den Unterhalt des Grabes aufkomme, hieß es von der Verwaltung: „Das Grabmal der Grabstelle Miebach steht unter Denkmalschutz. Der Stadt Köln obliegt die Verkehrssicherungspflicht.“

Treffen von mutmaßlichen Rechtsextremisten an dem Grab hat es in der Vergangenheit offenbar nicht gegeben? „Es liegen der Friedhofsverwaltung keine Kenntnisse darüber vor, dass es derartige Treffen an der Grabstelle jemals gegeben hat“, teilte die Stadt mit. (fu)