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Anklage gegen Apothekerin nach GifttodPlötzlich geht es um versuchten Mord

Lesezeit 4 Minuten

In der Heilig-Geist-Apotheke in Longerich wurden die verunreinigten Glukosemittel verkauft.

  1. Ein Jahr nach dem Tod einer jungen Frau und ihres per Notkaiserschnitts zur Welt gebrachten Babys durch verunreinigte Glukose ist Anklage gegen eine Apothekerin aus Köln erhoben worden.
  2. Die Staatsanwaltschaft wirft der 50-Jährigen versuchten Mord durch Unterlassen vor.
  3. Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Köln – Der Gifttod einer Schwangeren (28) und ihres Babys durch ein verunreinigtes Glukosepräparat aus der Heilig-Geist-Apotheke in Longerich hatte vor knapp einem Jahr bundesweit für Aufsehen gesorgt. Gegen eine Apotheken-Mitarbeiterin ist das Ermittlungsverfahren „mangels hinreichenden Tatverdachts“ eingestellt worden, einer Apothekerin (50) droht dagegen ein Gerichtsprozess. Denn jetzt hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Frau erhoben, und das nicht nur wegen fahrlässiger Tötung, sondern auch wegen zweifachen versuchten Mordes. Der Rechtsanwalt der Frau weist alle Vorwürfe zurück. Die Antworten zu den wichtigsten Fragen:

Wie begründet sich der schwere Vorwurf?

In der Anklageschrift ist von „versuchtem Mord durch Unterlassen“ die Rede. Am 17. September 2019 hatte eine Kundin der Apotheke die verunreinigte Lösung bei ihrem Gynäkologen geöffnet, diese aber nach nur einem Schluck wegen des bitteren Geschmacks wieder weggestellt. Zwei Tage später war dann die 28-Jährige nach der Einnahme des gleichen Gemischs zusammengebrochen und bewusstlos ins Krankenhaus gebracht worden, wo sie am Nachmittag des gleichen Tages starb.

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Auch ihr per Notkaiserschnitt in der 25. Schwangerschaftswoche zur Welt gebrachtes Baby überlebte nicht. Bei den Ermittlungen wurde eine Vergiftung durch Lidocain festgestellt. Dabei handelt es sich um ein Betäubungsmittel. Laut Anklage hätte die Apothekerin „spätestens um die Mittagszeit“ nach einer Besprechung mit ihren Kollegen und einer Ärztin wissen müssen, dass eine Lidocainvergiftung durch das Verwechseln zweier Gefäße in Betracht kommt. Sie habe jedoch „pflichtwidrig eine entsprechende Mitteilung an das Krankenhaus unterlassen“, heißt es, eine vergiftungsspezifische Behandlung sei dadurch verzögert worden. Den Tod des Opfers habe sie „billigend in Kauf genommen“, juristisch sei damit das Merkmal der „Verdeckungsabsicht“ erfüllt.

Hätte die Schwangere sonst überlebt?

Wohl nicht, so die Einschätzung der Staatsanwaltschaft. Da sich dies aber nicht abschließend klären lässt, kommt es zu einer juristischen Besonderheit. Die Apothekerin wird wegen einer versuchten Tat angeklagt, obwohl Frau und Baby ja letztlich gestorben sind. Der zweite Vorwurf ist die fahrlässige Tötung, denn die Frau soll „unbewusst“ zwei Standgefäße verwechselt und die Glukose-Mischung mit Lidocainhydrochlorid verunreinigt haben.

Dass die Staatsanwaltschaft gleichzeitig zwei verschiedene Anklagevorwürfe formuliert, erklärt das Landgericht in einer Stellungnahme so: „In rechtlicher Hinsicht stellt das versuchte Tötungsdelikt das schwere Delikt dar. Es scheint daher auf den ersten Blick widersprüchlich, dass die Staatsanwaltschaft gleichzeitig auch Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhebt. Sie hält dies allerdings aus Klar-stellungsgründen für erforderlich“, heißt es.

Wie bewertet die Verteidigung den Fall?

Vollkommen anders. Vertreten lässt sich die Frau durch die Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen + Partner in Freiburg. Die Anklage, sagt Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas, „entbehrt jeglicher Grundlage“. Die Vorwürfe seien „falsch“, an den entscheidenden Stellen stütze sich die Argumentation der Staatsanwaltschaft „auf Spekulationen“. Weder sei den Ermittlern die Klärung der Frage gelungen, wie genau es zur Verunreinigung der Glukosemischung kam, noch sei geklärt, wer dafür verantwortlich ist. Er sei „zuversichtlich“, dass sich im Laufe des Verfahrens „die Unschuld unserer Mandantin erweisen wird“.

Was sind die Argumente der Anwälte?

Für die Schuld der 50-Jährigen gibt es aus Sicht der Verteidigung schlicht „keinen Beweis“. Die Staatsanwaltschaft lasse einen zentralen Punkt außer Acht. Als die Apothekerin vom Zusammenbruch der Schwangeren erfuhr, habe sie das Glukosegefäß dem Krankenhaus zur Verfügung gestellt. Warum hätte sie das ohne rechtliche Veranlassung tun sollen, wenn sie gleichzeitig etwas hätte verheimlichen wollen? „Dieser Aspekt wird vollkommen ignoriert“, schreibt Dr. Morton Douglas in einer Stellungnahme. Seine Mandantin habe stets als Ansprechpartnerin für Polizei und Krankenhaus zur Verfügung gestanden.

Was ist in der Apotheke geschehen?

Nach Angaben der Verteidigung hat die Apothekerin 50 Gramm Glukose aus einem Vorratsbehälter abgefüllt. Sie habe zudem eine Geschmacksprobe von Glukose und Lidocain genommen, beide seien „unauffällig“ gewesen. „Der Sachverhalt ist tragisch. Es kann jedoch keine Verurteilung unserer Mandantin wegen der angeklagten Taten begründen“, so das Fazit. Die Staatsanwaltschaft wirft der Frau dagegen eine „sorgfaltswidrige Verwechslung“ der beiden Gefäße vor. Anschließend seien die verunreinigten Abfüllungen an die beiden Kundinnen verkauft worden, die diese dann später in der Praxis ihres Frauenarztes zu sich nahmen.

Wird es zu einer Gerichtsverhandlung kommen?

Das entscheidet sich im sogenannten Zwischenverfahren. „Bis dahin kann es einige Wochen dauern“, sagt Gerichtssprecher Professor Jan F.Orth. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung können sich nach erfolgter Anklageerhebung nun schriftlich äußern. Zuständig für den Fall ist die 11. Große Strafkammer des Landgerichts, die als Schwurgericht zusammentritt. Die Richter müssen entscheiden, ob sie die Anklageschrift für die Hauptverhandlung zulassen.