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100 Jahre Studierendenwerk Köln„Unter Studierenden gibt es eine große Verunsicherung“

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Szenen aus der „GOA“: Schick gekleidete Studis in der „Gaststätte ohne Alkohol“ in den 20er, 30er Jahren. 

Köln100 Jahre Kölner Studierendenwerk – ist Ihnen in Zeiten der Corona-Pandemie angesichts der großen Herausforderungen zum Feiern zumute?

Natürlich, in den 100 Jahren hat das Werk seine Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit bewiesen und sich erfolgreich weiterentwickelt. Aber das Feiern ist vielleicht eingeschränkt, ein Betriebsfest haben wir bewusst für den Spätsommer geplant, ein Festakt im Rathaus findet am 27. Oktober statt.

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Jörg J. Schmitz

Was sind die größten Herausforderungen?

Wir verharren zu einem großen Teil noch in Kurzarbeit, vieles können wir noch nicht wieder öffnen, weil die Hochschulen nur zum Teil Präsenzveranstaltungen anbieten. Wir sind sehr froh, dass das Kurzarbeitergeld verlängert wurde, das sichert uns ökonomisch ab. Es ist trotzdem eine Herausforderung, die Mitarbeitenden auch mental im Unternehmen zu halten. Das gelingt bisher ganz gut. Gott sei Dank haben die Studierenden drei Freisemester bekommen. Unsere Bafög-Antragszahlen sind gestiegen. 21 600 Anträge auf Überbrückungshilfe haben wir 2021 bearbeitet. In der psychosozialen Beratung haben wir bis zu 30 Prozent mehr Anfragen. Unser Team konnten wir etwas aufstocken, aber es reicht nicht, um dem Ansturm gerecht zu werden.

Über welche Probleme klagen Studierende?

Über Vereinsamung zum Beispiel oder wie das Studium unter den Corona-Bedingungen zu bewältigen ist, gesundheitliche Sorgen. Ein großes Thema ist auch, wie man digital und hybrid studiert. Es gibt eine große Verunsicherung.

Haben Sie genug Unterstützung, das alles zu bewältigen?

Hier geht mein ausdrücklicher Dank an Bund und Land, wir waren froh, den Rettungsschirm in Anspruch nehmen zu können und für Zusatzkosten Geld zu erhalten. Das sichert uns finanziell ab. Wir stoßen aber auch an Grenzen. Und wir müssen die Sozialbeiträge erhöhen. Wir haben gravierende Einbußen, in unserem Hauptbereich Gastronomie erwirtschaften wir bei komplettem Betrieb nur höchstens 50 Prozent des Umsatzes. Wir müssen die Beiträge erhöhen, sonst werden wir unsere Kapitalrücklagen aufbrauchen müssen. Eigenkapital benötigen wir aber für Projekte wie Wohnhaus-Bauten. Wir brauchen mehr Flächen und Wohnhausplätze. Beschlossen wurde eine Erhöhung um fünf Euro zum Sommersemester, insgesamt sind es dann 80 Euro Sozialbeitrag. Weitere Erhöhungen kann ich nicht ausschließen.

Zu den Wohnprojekten gehören auch umfangreiche Sanierungen. Wie sieht es mit dem Spoho-Wohnturm aus, sind schon alle ausgezogen?

Im März wollen wir das geschafft haben. Jede Mieterin oder Mieter erhält ein alternatives Angebot vom Werk in einer Unterkunft, die er sich allerdings nicht aussuchen kann. Die 340 Plätze bleiben nach der Sanierung erhalten, aber während der Bauphase werden die Kapazitäten knapper. Mit den aufwendigen Arbeiten am Uni-Center sind wir fast fertig. Wir sind zuversichtlich, dass in den nächsten Jahren etwa 600 bis 700 zusätzliche Wohnplätze geschaffen werden können. Gerade begonnen hat der Bau des neuen Servicehauses auf dem Unicenter-Parkplatz.

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Haben Sie Wünsche zum 100. Geburtstag des Werks?

Ja, dazu gehören unter anderem weiter steigende Bafög-Antragszahlen. Es besteht nach wie vor ein großes Systemproblem, das Instrument der Bafög-Studienfinanzierung ist nicht mehr zeitgemäß. Die neue Bundesregierung ist da sehr aufgeschlossen. Ziel ist eine Reform, damit mehr Studierende Zuschüsse erhalten. Und wir haben zum Beispiel eine Aktion #futureWerk gestartet und sammeln Anregungen von Studierenden, wie wir als Dienstleister ihr Leben einfacher und besser machen können. Auch wenn wir bei manchen Ideen erstmal schlucken und überlegen müssen, wie wir sie umsetzen können. Zum Beispiel die, einen eigenen Fahrradverleih anzubieten.

Chronologie: Von der Studentenburse bis zum Werk

Gastronomie, Wohnen, Beratung in allen Lebenslagen, Studienfinanzierung, Kitas – das Spektrum der Arbeit des Kölner Studierendenwerks ist sehr umfangreich. In 100 Jahren hat sich einiges getan. Ein paar historische Daten im Überblick.

1922

gründen Studierende und Dozierende die Kölner Studentenburse aus der Hungersnot heraus, die 1928 in Studentenwerk umbenannt wird und 1929 mit Milch und Brötchen eine erste Gastronomie startet. Im gleichen Jahr eröffnete die Studentenburse die GoA, die „Gaststätte ohne Alkohol“ in der Claudiusstraße . Nach den Jahren der Nazidiktatur und des Zweiten Weltkriegs gründete sich 1946 das Kölner Studentenwerk auch mit Unterstützung der britischen Besatzungsmacht neu. Im Keller der Universität entsteht zunächst eine provisorische Mensa. Im selben Jahr wird als erstes neugebaute Studierendenwohnheim Deutschlands 1948 das Haus Kerpener Straße gebaut. In den 50er und Jahren expandiert das Werk zusehens, weitere Wohnheime und Mensen entstehen.

1960

zählt die Uni rund 12 700 Studierende, das Werk zählt 244 Wohnplätze. Heute ist es für rund 89 000 Kölner Studierende zuständig und bietet 5000 Plätze in ihren Häusern an, wobei die Nachfrage erheblich größer ist.

1972

werden gleich zwei Wohntürme errichtet: Der Turm an der Sporthochschule und das Uni-Center, in dem das Werk möblierte Apartments vermietet. Im Sommer 2022 werden nach vierjähriger Schadstoff-Sanierungsphase im bewohnten Hochhaus I des Uni-Centers alle 378 Apartments saniert und mit neuen Möbeln ausgestattet sein.

1974

wird das Werk Anstalt des öffentlichen Rechts, die Zentralmensa wird eröffnet. Zwei Jahre später protestieren Studierende gegen Mieterhöhungen und steigende Preise in Cafeterien, die auf Weisung des Ministeriums erhoben werden. Auch die Speisekarte wandelt sich im Lauf der Zeit.

1980

bietet eine Mensa erstmals Vegetarisches an. Nach dem Erfolg einer ersten fleischlosen Aktionswoche wird eine vegetarische Speise fester Bestandteil des Speiseplans. Es kommen neue Mensen hinzu für immer mehr Studierende.

2015

kommt es zur Umbenennung von Studenten- in Studierendenwerk und die Marke „Werk“ wird gelb. (MW)