Nicht alle Familien feiern gerade Weihnachten: Eine Familie aus Euskirchen hat kurz zuvor das Chanukka-Fest gefeiert.
Kein WeihnachtenEine jüdische Familie aus Euskirchen feiert das Lichter-Fest Chanukka
Die Weihnachtsferien haben Miriam und David Mazzig (Namen geändert) früher häufig in Israel verbracht. In Euskirchen sei es in der Weihnachtszeit für eine jüdische Familie nämlich ziemlich langweilig, sagt David Mazzig.
„Es ist kalt und grau und alles hat zu“, erläutert seine Frau. Was Miriam Mazzig am wenigsten an der Weihnachtszeit mag, ist die Plötzlichkeit, mit der ab dem 24. Dezember alles zum Stillstand kommt. „Bis dahin gibt es Konzerte und Events bis zum Abwinken – und dann plötzlich nichts mehr, gar nichts mehr.“ Und dieses „Nichts“ reiche hinein bis in den Februar. Es sei ein Loch im Kalender, in das man falle.
Fernreisen halfen der Familie immer gegen den Winter-Blues
Um der grauen Kleinstadt-Tristesse und schlecht gelaunten Gesichtern zu entgehen, unternahmen Miriam und David Mazzig „ganz früher“ nicht nur Reisen nach Israel, sondern auch nach Indien, Namibia oder Südafrika. „Überall dorthin, wo die Frauen so schön bunt angezogen sind“, sagt David Mazzig. Mit „ganz früher“ meinen die Mazzigs: vor der Flut. Denn die hatte dafür gesorgt, dass der Alltag der Familie nach der Katastrophe hauptsächlich im Garten stattfand.
„Ein Jahr lang habe ich nur gefroren“, sagt Miriam Mazzig. Seitdem sei sie „allergisch“ gegen Kälte. Deswegen hatten die Mazzigs eigentlich überlegt, nach dem überstandenen Hochwasser diesen Jahreswechsel wieder in Israel zu erleben. Doch nach dem Wasser brach die nächste Katastrophe herein – über die Mazzigs und jede andere jüdische Familie auf der ganzen Welt: Am 7. Oktober verübte die Hamas einen terroristischen Angriff auf Israel.
In der Küche der Mazzigs hängen viele Familienfotos. Auf einem davon ist ihr Sohn Ben Mazzig als Teenager zu sehen. Er steht hinter zwei kleinen Kindern, die am Tisch sitzen. „Die Kinder meiner Cousine“, sagt Miriam Mazzig. „Die sind gerade in Gaza.“ Mehr sagt sie nicht.
In diesem Jahr fliegt die jüdische Familie nicht nach Israel
Deswegen fliegen Miriam und David dieses Jahr nicht nach Israel, um Verwandte zu besuchen. „Man stört da nur“, sagt David Mazzig. Sie selbst bekämen über die Winterferien auch kaum Besuch von Verwandten: „Alle ausgerottet“, kommentiert er das knapp.
In Euskirchen selbst gebe es zudem kaum gläubige Juden. Jedenfalls keine, die in einer Gemeinde vor Ort gebunden wären. Und keine, zu der die Familie Kontakt habe. „Ab und zu merkt man dann aber doch, dass es hier noch ein paar weitere gibt“, sagt Miriam Mazzig. Oft durch Zufälle: Etwa den, dass man in Euskirchen auf der Straße jemanden mit einem Rucksack vorbeilaufen sehe, den man selbst auch gekauft hat – in einem kleinen Laden in Israel.
In Euskirchen gibt es kaum jüdische Familien
An den jüdischen Feiertagen fahren die Mazzigs deswegen häufig nach Bonn. Da gebe es noch eine Gemeinde. Etwa 800 Mitglieder, schätzt David Mazzig. „Aber viele alt und inaktiv.“ In den Synagogen sei es wie in den Kirchen: Es kämen die ganz Alten und die ganz Jungen. Der Mittelbau fehle. Das komme daher, dass das Leben sich in dieser Zeit viel um den Beruf drehe, sagt er.
Gerade erst ist das jüdische Lichterfest zu Ende gegangen. Chanukka dauert acht Tage und fällt in manchen Jahren auch mit Weihnachten zusammen. Miriam Mazzig erklärt: „Damals hatten die Griechen Israel besetzt. Sie wollten nicht, dass die Thora (also die jüdische heilige Schrift) gelesen wird.“ Doch dann seien die Makkabäer gekommen und hätten die Griechen verjagt.
Aus diesem Grund feiern Juden Chanukka
„Das ist natürlich die absolute Kurzfassung“, sagt Miriam Mazzig, lacht und fährt fort: „Doch der Tempel war entweiht, denn die Griechen hatten ihn Zeus gewidmet.“ Deswegen hätten die Makkabäer den Tempel wieder eingeweiht. „Und eigentlich brennt in unseren Synagogen überall ewiges Licht, doch es gab nicht mehr genug Öl für die Menorah (den siebenarmigen Leuchter), um auch in dieser Synagoge das ewige Licht brennen zu lassen.“ Das Öl in dem Kännchen, das es noch gegeben hatte, hätte maximal für einen Tag gereicht, so die Geschichte.
„Doch dann passierte ein Wunder und der Leuchter brannte acht Tage“, sagt Miriam Mazzig. Das sei zufällig genauso lang wie es daure, koscheres Öl herzustellen, um die Kerze brennen zu lassen. „Deswegen feiern wir das Fest mit den Kerzenleuchtern, den soganannten Chanukkias, und einer Menge Zeug, das wir in Öl frittieren.“ An jedem der acht Abende werde dann eine Kerze angezündet und etwas Fettiges gegessen, erklärt sie. Latkes, also Reibekuchen, isst die Jüdin in dieser Zeit am liebsten.
Aber natürlich gehe es einem schlecht und alles rieche nach Fett, wenn man sich acht Tage lang allein von Frittiertem ernähre. Deswegen beschränke man sich an einigen Tagen auf einen fettigen Nachtisch. „Dann essen wir nur Sufganiot“, sagt sie. Das sind Berliner.
Durch die Schule haben sich auch christliche Traditionen eingeschlichen
An jedem der acht Chanukka-Abende bekommt Ben Mazzig außerdem ein kleines Geschenk. „Das kommt daher, dass er in einem christlichen Umfeld aufgewachsen ist und an Weihnachten in der Schule bemitleidet wurde.“ „Och du armes Kind, du kriegst ja gar keine Weihnachtsgeschenke“, hätten Lehrer und Erzieher ihm immer wieder gesagt. Der habe dann entgegnet: „Doch, ich bekomme jeden Abend eines.“ Miriam Mazzig lacht. „Und plötzlich wollten alle Kinder in seiner Klasse Juden werden.“
Auf dem Tisch liegt „Sea, Salt und Paper“, ein Kartenspiel, das in diesem Jahr zum Spiel des Jahres gekürt wurde. Das hat der inzwischen Über-30-Jährige in diesem Jahr zu Chanukka bekommen. Irgendwie sei die Geschenktradition geblieben, sagt Miriam Mazzig. Und nach dem Essen singe und spiele die Familie an den Feiertagen nun mal gerne. Neben modernen Kartenspielen, auch immer ganz traditionell: nämlich mit dem vierseitigen Kreisel.
Vier Buchstaben sind darauf. Ihr Bedeutung: Nes gadol haia po, zu Deutsch: Ein Wunder ist geschehen. Je nachdem, welcher Buchstabe gewürfelt wird, entscheidet sich, ob und wie viel Geld man aus oder in die Mitte nehmen oder legen darf. Den Kreisel kenne man aus auch aus jeder guten deutschen Spielesammlung, sagt David Mazzig. Da stehe dann nur ein bisschen was anderes drauf, nämlich: „Nimm zwei“, oder „Gib alles“.
Traditionell wird an den Abenden des Lichterfests mit dem Kreisel gespielt
„Das spielen wir oft mit den Schokotalern, die es dankenswerterweise oft zur Weihnachtszeit gibt.“ Was den christlichen Kindern Christbaumschmuck und Krippe sei, das sei den jüdischen Kindern die Kreiselsammlung.
Dann steht die Mutter auf, geht zum Schrank und zieht eine massive Schublade heraus. Sie ist voll mit Kreiseln aus Plastik, Kreiseln aus Holz, selbstgebauten Kreisen, und Kreiseln, in denen man kleinen Süßigkeiten verstecken kann. „Die kaufen wir immer bei kreiselparadies.de“, sagt sie. Das ist eine Internetseite, auf der man jeden nur vorstellbaren Kreisel in seinen virtuellen Warenkorb packen kann.
Der Kreisel sei ein traditionelles Symbol für das Chanukka-Fest. Denn damals, im besetzten Israel, hätten die Griechen die Juden viel und häufig überprüft, um ihnen ihre Religionsausübung zu verbieten, sagt Miriam Mazzig. Doch wann immer es brenzlig wurde, hätten diese bloß ihre Kreisel aus der Tasche geholt und unschuldig gespielt.
Um die gezeigten Kreisel alle wieder in die Schublade einzuräumen, muss die Mutter rangieren. Beinahe zu viele sind es. Dann packt sie die Schublade weg. Bis zum nächsten Jahr. Da fällt das jüdische Chanukka-Fest nämlich fast genau auf das christliche Weihnachtsfest.