Der türkische Präsident holt im Gaza-Krieg immer wieder gegen Israel und den Westen aus. Nun kommt er nach Deutschland. Für Kanzler Scholz wird das eine schwierige Gratwanderung.
Heikler BesuchOlaf Scholz empfängt türkischen Präsidenten Erdogan in Berlin
Es ist ein sehr heikler Besuch eines schwierigen Verbündeten: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kommt Ende nächster Woche zu einem Abendessen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach Berlin. Daneben will er am Freitag auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier treffen. Ein Hauptthema: Der Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas, zu dem Erdogan eine völlig andere Haltung hat als seine Nato-Partner. Nach der Terrorattacke auf Israel mit 1400 Toten hat er die Hamas als „Befreiungsorganisation“ bezeichnet, während die USA und die EU sie als Terrororganisation einstufen.
Das Programm Erdogans in Berlin ist noch nicht im Detail bekannt. Eins steht aber wohl schon fest: Auf einen Besuch des Länderspiels Deutschland gegen die Türkei am Samstag (18.11.) verzichtet der Fußball-Fan. Der Deutsche Fußball-Bund hatte bereits vor wenigen Tagen bekanntgegeben, dass er nicht mit Erdogan rechne.
Der Besuch eines ausverkauften Stadions mit Zehntausenden türkischen Fans hätte den ohnehin schon umstrittenen Besuch Erdogans auch sicherheitsmäßig noch schwieriger gestaltet. Es hätte sich dann auch die Frage gestellt, wer neben ihm auf der Tribüne Platz nimmt. Scholz mit Sicherheit nicht. Steinmeier vielleicht? Angesichts der aufgeheizten Stimmung mit Blick auf den Gaza-Krieg auch schwer vorstellbar.
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Erdogan wirft Israel „Faschismus“ vor
Der erste Deutschland-Besuch Erdogans seit drei Jahren wird auch so schon kompliziert genug. Der Kanzler hatte den türkischen Staatschef nach dessen Wiederwahl zum Präsidenten im Mai dieses Jahres eingeladen. Nach der Terrorattacke der Hamas ist Erdogan nun mehrfach mit scharfen Verbalattacken gegen Israel und seine westlichen Verbündeten aufgefallen. Israel warf er „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor und dem Westen Heuchelei.
Bereits in der Vergangenheit hatte der türkische Präsident Israel wegen der Palästinenserpolitik als „terroristischen Staat“ bezeichnet und sich immer wieder als Verfechter der palästinensischen Sache inszeniert. Am Freitag sprach er auf einer Gedenkveranstaltung zum Todestag des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk angesichts der Bombardierungen des Gazastreifens durch Israel sogar von „Faschismus“.
Kaum offene Kritik an Hamas-Nähe Erdogans
Von den Nato-Verbündeten kam bisher kaum offene Kritik an solchen Aussagen. Das gilt auch für Kanzler Scholz. „Es ist ja bekannt, dass die Bundesregierung eine sehr unterschiedliche Haltung und Einordnung gegenüber der Hamas hat“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Freitag lediglich. Viel mehr an Kritik ist nicht drin.
Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der am Donnerstag und Freitag Berlin besuchte, hält sich mit einer Bewertung der Äußerungen Erdogans zurück. „Es ist nie einfach, wenn wir innerhalb des Bündnisses unterschiedliche Ansichten haben“, sagte er in einem Interview. Das habe aber „in gewisser Weise keinen Einfluss darauf, was wir tun oder nicht tun, weil wir in diesem speziellen Konflikt keine Rolle spielen“.
Der Westen braucht die Türkei
Der Grund für die Zurückhaltung: Deutschland, die Nato und die EU brauchen die Türkei, die eine wichtige Brückenfunktion in die islamische Welt einnimmt. Das Land spielt auch bei der Steuerung der Zuwanderung nach Europa eine zentrale Rolle. In dem Gespräch zwischen Scholz und Erdogan wird es unter anderem um eine Wiederbelebung des EU-Türkei-Abkommen zur Unterbringung von Flüchtlingen in der Türkei gehen.
Hinzu kommt, dass in Deutschland rund drei Millionen türkischstämmige Menschen leben, so viele wie nirgendwo sonst außerhalb der Türkei. Auch deswegen haben Deutschland-Besuche türkischer Präsidenten schon immer eine besondere Bedeutung gehabt. Ein Treffen Erdogans mit in Berlin lebenden Türken ist bisher aber nicht bekannt. (dpa)