Das Viehplätzchen-Viertel in Euskirchen kämpft um seinen Ruf. Die Bewohner haben sich Aktionen einfallen lassen, um das Viertel attraktiver zu machen.
Problem-ViertelDas Viehplätzchen in Euskirchen soll schöner werden
Die Anwohner kämpfen – für das Viehplätzchen, gegen den schlechten Ruf des Viertels und damit auch für sich. Dieser Kampf ist anstrengend, kräftezehrend. Es ist ein Kampf, der kleinen Schritte. Die Freunde des Viehplätzchens, wie sich der Zusammenschluss einiger Anwohner nennt, nehmen ihn auf sich.
Einer diese Schritte sind Aktivitäten, die sich im öffentlichen Raum abspielen – wie ein Trödelmarkt auf der Kapellenstraße und ein Nachbarschaftsfest. Oder die Bepflanzung von Beeten. „Das Viertel ist lebenswert“, sagt Anwohnerin Claudia Hegeler. Es sei wichtig, dass man etwas tue, sich das Viertel auf gewisse Weise auch zurückhole.
Einig sind sich die Freunde des Viehplätzchens, dass die Razzia im vergangenen Juni ein Zeichen zum fast zu späten Zeitpunkt war. „Es war kurz davor, dass die Dealer das Viertel übernehmen“, sagt Horst Werner, der an der Kapellenstraße wohnt.
Am Euskirchener Viehplätzchen waren bei Razzia 100 Polizisten im Einsatz
Die Bilanz der Polizei konnte sich sehen lassen. In den durchsuchten Wohnungen und Häusern rund um die Kapellenstraße, den Rüdesheimer Platz und die Kessenicher Straße stellten die Beamten neben einem fünfstelligen Betrag an Bargeld auch Drogen, Spielautomaten sowie verschiedene Waffen sicher. Auch eine kleine Cannabisplantage samt Equipment beschlagnahmten die knapp 100 Beamten.
Zudem machte die Polizei in der Folgezeit den sogenannten Sporttreff dicht – auch wenn die Siegel anschließend noch mehrfach gebrochen wurden. „Nach der Razzia wurde es deutlich ruhiger“, sagt ein Anwohner, der namentlich nicht genannt werden möchte. Er ist aber sicher, dass sich das Dealen lediglich verlagert habe – in Richtung Gartenstraße/Parkhaus Entenpfuhl.
Dennoch hat sich etwas im Bewusstsein der Anwohner getan. „Es hat uns gezeigt, dass wir der Stadt und der Polizei nicht egal sind. Dass Anwohner wichtiger sind als Dealer“, sagt ein Anwohner. Mittlerweile ist Sommer, die Abende sind lang. Und schon sind sie zurück: die Probleme und Problemmacher. Und die Polizeieinsätze sind gestiegen. Mehrfach waren die Beamten im Einsatz.
Sommernächte sind für Anwohner des Viehplätzchen eine Herausforderung
Und die Präsenz dürfte nicht weniger werden: Behördenleiter und Landrat Markus Ramers erneut die strategische Fahndung ausgerufen. Die gilt für die Euskirchener Innenstadt und damit auch fürs Viehplätzchenviertel. „Die Lautstärke im Sommer ist mehr als grenzwertig“, sagt ein Anwohner.
Um eine bessere Handhabe gegen die Szene zu haben, die sich im Viehplätzchen trifft, ist auch die Stadt kreativ geworden. Sowohl vor dem Kiosk als auch auf dem Rüdesheimerplatz hat die Stadt Spielgeräte aufstellen lassen und dort Spielplätze deklariert. Auf denen darf kein Alkohol konsumiert werden.
Gäste und Bewohner gehen aggressiv miteinander um
Was sich im vergangenen Jahr aber als Rohrkrepierer herausgestellt hat: Die Außengastronomie der Kneipe am Viehplätzchen und der Klientel vor dem Kiosk harmonierten nicht. Mittlerweile hat die Stadt die Konzession für die Außengastro wieder kassiert. Der Grund: Je länger der Abend, umso mehr Alkohol wurde konsumiert und desto aggressiver gingen beide Seiten miteinander um.
Trotz Razzia, trotz Ruhestörungen, trotz stetiger Kontrollen: Die Euskirchener Polizei hat eine eindeutige Meinung zum Viehplätzchen. „Das Viertel ist nicht der Wilde Westen von Euskirchen“, sagt Franz Küpper, Pressesprecher der Euskirchener Polizei. Der Bereich zwischen Hohe Straße, Kapellen- und Bischofstraße sei keine No-go-Area, so Küpper: „Wir können aber nachvollziehen, dass es ein gewisses Gefühl der Unsicherheit gibt.“
Bürgermeister Reichelt: Prozess kann nicht von heute auf morgen umgekehrt werden
Denn, so der Pressesprecher: „Dort findet Kriminalität statt. Die Betäubungsmittelszene haben wir ebenfalls im Fokus.“ Entsprechend werde es weiterhin Schwerpunkteinsätze geben – wie die Razzia im Juni 2022.
Seit 2019 fanden laut Küpper zehn durch Behördenleiter angeordnete strategische Fahndungen mit einer Dauer von jeweils 28 Tagen statt. Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt sagt: „Ein Prozess, der seit drei Jahrzehnten in die falsche Richtung läuft, kann nicht innerhalb eines Jahres umgekehrt werden.“
Viehplätzchen war mal ein pulsierendes Viertel
Es seien dicke Bretter zu bohren und viele Protagonisten unter einen Hut zu bringen. Dazu zählen laut Reichelt Ordnungsamt, Polizei, Jobcenter, Caritas sowie Fördergeldgeber und Eigentümer. Er habe das Viehplätzchen als pulsierendes Viertel in Erinnerung, sagt der Bürgermeister.
Davon ist das Areal derzeit weit entfernt, auch wenn die Arbeit der „Freunde des Viehplätzchen“ erste Blüten trägt – im wahrsten Sinne. Dank einer Förderung in Höhe von 1000 Euro ist das Blumenbeet Kapellenstraße/Wolfsgasse umgestaltet worden. Lange war das Beet wie ein überdimensionales, ungepflegtes Grab, das fast schon ein Symbolcharakter für das Viertel hatte.
Angst vor Vandalismus haben die Viehplätzchen-Freunde nicht. „Wir haben hier andere Probleme. Vandalismus aber eigentlich nicht“, erklärt Horst Werner. Auch die Caritas hat vor einiger Zeit kleine Blumentöpfe an Laternen und Schildern angebracht – der mit Abstand überwiegende Teil hängt noch. Die Polizei will die Kontrollen nicht nur im Viehplätzchen-Viertel aufrechterhalten.
Anwohner haben sich für das Viertel in Euskirchen viel vorgenommen
„Es konnten in der Vergangenheit nicht nur am Viehplätzchen, sondern auch an anderen ausgewählten Schwerpunkten im Innenstadt-Bereich Festnahmen durchgeführt sowie Straf- und Ordnungswidrigkeitsanzeigen gefertigt werden“, sagt Pressesprecher Küpper. Für die Innenstadt gibt es ihm zufolge seit mehr als zehn Jahren ein Präsenzkonzept. Es sieht vor, in Brennpunkten der Innenstadt offen gegen die Straßenkriminalität vorzugehen.
Zudem gibt es seit Ende 2021 den Runden Tisch „Viehplätzchenviertel“. Dort diskutieren Anwohner, Polizei und weitere Organisationen über die Zustände des Viertels – initiiert von den Anwohnern. „Wir werden die sichtbare Polizeipräsenz in der Euskirchener Innenstadt mindestens weiterhin beibehalten. Zudem erhöhen wir den Fahndungs- und Kontrolldruck. Und natürlich werden wir Straftaten und Ordnungswidrigkeiten konsequent verfolgen“, so Küpper.
Auch das Ordnungsamt werde weiter kontrollieren, ergänzt Bürgermeister Reichelt, der die Arbeit von „AnKE“ (Anlaufstelle Konfliktmanagement Euskirchen) lobt. Die städtischen Mitarbeiter seien täglich im Viertel unterwegs.
Und die Freunde des Viehplätzchens? Die wünschen sich eine Art Ladenlokal, in dem Kaffee getrunken, gespielt oder Netzwerkarbeit betrieben werden kann – damit der Weg der kleinen Schritte weitergegangen werden kann. Für eine Art Quartiersmanager hat der Rat den Weg frei gemacht – ein weiterer kleinerer Schritt. Und das nächste Nachbarschaftsfest ist für den 10. September geplant.
Vier Millionen Euro flossen in das Viehplätzchen-Viertel
Es sollte der Startschuss in eine bessere Zukunft werden. 2009 begann die Stadt mit der Sanierung des Viehplätzchen-Viertels. Sie sollte den Niedergang des Quartiers stoppen, das am Rand des Euskirchener Zentrums liegt.
Vier Millionen Euro flossen in das Viertel, allein 700.000 Euro in den Rüdesheimer Platz an der Bendengasse. Es folgten ehrgeizige Projekte wie Graffiti-Aktion und Viehplätzchen-WM. Doch die Euphorie ist verflogen, der Alltag zurück, das Viertel durch Kriminalität und öffentlichen Drogenkonsum wieder zum Problemviertel geworden.
Der Landtagsabgeordnete Klaus Voussem (CDU) will die Situation nicht schönreden: „Alle hochgesteckten Sanierungsziele sind nicht erreicht worden, so ehrlich muss man sein“. So sei die angestrebte soziale Durchmischung der Bevölkerungsschichten nicht geglückt.
Auch die Nutzung des Rüdesheimer Platzes habe man sich anders vorgestellt, sagt der Vorsitzende des städtischen Planungsausschusses, der das Sanierungskonzept maßgeblich mitbestimmt hat: „Ein sozialer Brennpunkt ist das Viertel nicht, aber eins, auf das wir ein Auge haben müssen.“ (tom)