Schrebergartenglück„Ich bin jedes Mal dankbar, wenn ich in den Garten komme“
Köln – Hinter dem Gartentor liegt eine andere Welt. Ein Klischee – und doch ist etwas Wahres dran. Hier ist dasselbe Wetter wie draußen, dieselben Geräusche der Stadt sind zu hören. Oftmals ist der Gartenbesuch kurz und in den Alltag gequetscht, das Handy in der Tasche. Aber kaum ist das Tor geschlossen, verändert sich die Atmosphäre. Hier ist ruhiger, friedlicher. In den paar Schritten vom Eingang zu meinem Garten verschiebt sich die Aufmerksamkeit. Weg von dem einem Alltag, hin zu einem anderen: Sind die Bohnen gekeimt? Ist der Salat noch da? Blüht die Küchenschelle schon, und geht es der neu gepflanzten Mirabelle gut? Oft schwingt eine kleine Aufregung mit.
Im Garten selbst dann ein erster prüfender Blick in die Runde. Oft bringt er freudige Überraschungen, manchmal aber auch Ärger. Schön, wenn in den Beeten zwischenzeitlich vergessene Hyazinthen, Tulpen und Nelkenwurz blühen. Apfelblüten und erste Johannisbeeren lassen das Herz höher schlagen. Erleichterung macht sich breit, wenn die Bohnen aus dem Gröbsten raus sind und die Zucchini die ersten Blüten tragen. Wenn dagegen die Mäuse sämtliche Knospen der Lenzrosen abgefressen haben, wenn die Schnecken überhand nehmen oder der Fuchs mal wieder zwischen den Salaten auf Toilette war, ist die Stimmung etwas vermiest. Meine Vorstellung von diesem Stückchen Land ist nur eine von vielen Möglichkeiten, die es bietet. In solchen Momenten wird mir aber auch klar: Dies ist nicht „mein“ Garten. Selbst wenn ich die Pacht bezahle und mehrmals in der Woche vorbeischaue, selbst wenn ich Pläne mache und gestalte, bin ich hier eigentlich zu Gast.
Der Garten von Vögeln, Kröten und Hummeln
Den größten Teil der Zeit gehören die 250 Quadratmeter anderen Lebewesen. Diversen Vierbeinern und Vögeln, aber auch Kröten, die ich manchmal in feuchten Ecken finde. Hummeln, die ihr Nest im Gemüsebeet anlegen. Zünslerraupen, die am Buchsbaum nagen und Reiswanzen, die sich in Rekordgeschwindigkeit vermehren. Und das sind nur diejenigen, die ich überhaupt wahrnehme. Von anderen weiß ich eher, als dass ich sie sehe: Fledermäuse und Nachtfalter. Unbekannte Wesen, die sich einen gemütlichen Liegeplatz im Farn eingerichtet haben. Unzählige Kleinstlebewesen im Boden. Die hungrige Maus, die ständig neue, lästige Gänge gräbt.
Der Garten ist ein großes Netzwerk, in dem so vieles seinen Platz erobert und ihn verteidigt. Auch die Gärtnerin muss ihren erst finden. Das war mir nicht klar, als ich begann.
Basilikum auf dem Balkon
In meiner Kindheit gab es ein großes Grundstück mit Rasen, Rabatten und einem richtigen kleinen Gemüseacker. Es wurden Kartoffeln angebaut, Bohnen und Möhren, manchmal Erdbeeren. Hier schien alles von alleine zu wachsen, das Gärtnern war eher mit Freude verbunden und sah nur selten nach schwerer Arbeit aus.
Dennoch hat es Jahrzehnte gedauert, bis ich selber einen Garten hatte. Bis dahin habe ich auf Balkons Kräuter und Ringelblumen in Töpfen gezogen, die beste Basilikumernte meines Lebens eingefahren und mit mäßigem Erfolg versucht, Stockrosen im Kübel zu ziehen. Doch irgendwann war Blumenerde aus der Tüte nicht mehr genug. Ein Mietfeld brachte tolles Gemüse ein, aber mir fehlte, etwas Dauerhaftes anpflanzen zu können. Stauden, Beerensträucher oder einen Baum.
Vorbehalte überwinden
Aber ein Schrebergarten? Zu viele Vorbehalte gab es: Ordnung, Spießigkeit, Fahnenmasten, eine Zwangsgemeinschaft, wo ich doch nur gärtnern will. Irgendwann gewann dieses Bedürfnis die Oberhand und der Mut war da, das Wagnis einzugehen. Mit Glück haben wir einen wunderbaren Garten ergattert. Die Realität zeigt, dass es auch ohne Fahnen und Spießigkeit geht, selbst die Definition von Ordnung bietet einen gewissen Spielraum. Die Zwangsgemeinschaft ist in Wahrheit eine freundliche Nachbarschaft, für die ich jedes Mal wieder dankbar bin, wenn ich in den Garten komme. Denn zum Besten an dieser anderen Welt gehören nicht nur die Pflanzen und Tiere, sondern auch die Menschen, mit denen ich sie teile. Wir quatschen über den Gartenzaun, mal kürzer oder länger, je nach Stimmung, und arbeiten gemeinsam. In guten Zeiten trinken wir Kaffee und feiern Feste, aber selbst in Corona-Zeiten ist der Garten ein Ort, an dem man sich ohne Probleme begegnen und austauschen kann: eine Hecke bietet einen natürlichen Abstand.
Gärtnern macht gelassen. Nach acht Jahren weiß ich: Es geht fast nie nach Plan. Der Zufall spielt immer mit. Mal ist es zu nass, oft zu trocken. Saat keimt nicht, Pflänzchen ertrinken oder verdursten. Mal werden sie von Schnecken abgeraspelt, mal von Tauben gepickt. Mehltau hemmt die Zucchini, Kartoffeln faulen, da eine unbedachte Gärtnerin sie dorthin gepflanzt hat, wo im Vorjahr Tomaten standen. Frostspanner leben im Apfelbaum und der Giersch mogelt sich jedes Jahr einen halben Meter weiter vor. Das Netzwerk Garten besteht aus unzähligen Verflechtungen, und ich versuche darin, sanft eine Richtung vorzugeben – zu sanft manchmal, ohne Chemie, Fallen und Köder.
Eine stetige Verpflichtung
Soll eine Richtung eingehalten werden, bedeutet Garten auch Verpflichtung. Ohne ein stetiges Gegensteuern wachsen Hahnenfuß und Nachtkerzen in den Beeten anstatt Petersilie und Mangold. Dann überziehen wilde Erdbeeren die Staudenbeete, dann vergammeln Johannisbeeren am Strauch. Was reif ist, muss geerntet werden – gleich, ob das gerade in den Alltag passt oder nicht.
Manches wiederum regelt sich von alleine. So scheint der Buchsbaumzünsler, seit ein paar Jahren in den Buchsbäumen zu Hause, nie die Oberhand zu gewinnen – die Sträucher sind grün und lebendig. Blattläuse, die sich explosionsartig vermehren, sind meist genauso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen sind – leichte Beute für andere Insekten und Vögel.
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Manches bleibt aber reine Sisyphos-Arbeit. Jedes Jahr entferne ich Dutzende Schösslinge, die an Pflaumenbaum und Hartriegel treiben. Der Gilbweiderich widersteht allen Versuchen, ihn einzudämmen. Ähnlich ist es bei der Quecke, die vor gar nicht allzu langer Zeit wie aus dem Nichts aufgetaucht ist und sich trotz Jätens nicht aufhalten lässt. Aber der Garten entschädigt für alles. Nicht nur mit der Ernte, wenn der frische Salat besser schmeckt als alles, was es im Laden gibt. Wenn es mehr Bio-Äpfel gibt, als wir essen können und wenn mitten im Winter die selbst geernteten Johannisbeeren aus der Truhe kommen. Sondern auch mit kleinen Wundern. Wenn es die Bohnen über Nacht geschafft haben, an den Stangen emporzuranken. Wenn sich die feinen Knospen der Quitte öffnen und man kaum glauben kann, dass aus diesen zarten Ansätzen einmal riesige Früchte werden. Wenn die Wildrose über und über in Blüte steht. Oder wenn der lila Günsel im Rasen mal wieder hoch geworden ist und von Bienen summt.
Darum wächst auch jedes Frühjahr aufs Neue die Vorfreude. Mit dem Sortieren des Saatguts, mit dem Pläneschmieden und dem Herbeisehnen, wie alles wächst. Wenn sich in dieser anderen Welt die ersten grünen Blättchen im Jahr zeigen – selbst das frische Laub des Giersch stimmt dann fröhlich. Dann werden die Ärmel hochgekrempelt, und die Gärtnerin hofft wieder, dass sie vielleicht in diesem Jahr endlich mal alles in den Griff bekommt.