Selbst renommierte Sterne-Restaurants finden keine Servicekräfte. Wie Gastronomen das bewerten und was sie sich einfallen lassen.
„Für viele sind wir nur Tellertaxis“Auch in der Spitzengastronomie mangelt es an Personal – Warum das so ist
„Ich schlage Alarm“, sagt Yuriy Apelyushynskyy, Betriebsleiter des „Ox & Klee“, Kölns höchst bewertetem Restaurant. Bei Apelyushynskyy hat sich beruflich eine ungeplante Änderung ergeben: Er ist als Führungskraft wieder im Service. Warum? Weil es selbst für ein Restaurant wie seines schwer ist Servicepersonal zu rekrutieren. Er erzählt von einem Mitarbeiter, der vom Chef de Rang zum Restaurantleiter befördert wurde. „Der hatte allerdings nie einen richtigen Maître über sich, der ihm alles beibringen konnte. Und wir haben ihn ins kalte Wasser geworfen.“ Das sei dem Mitarbeiter zu viel geworden. Auch die Nachfolgerin sei gerade mal ein halbes Jahr geblieben. Deshalb kehrte Apelyushynskyy in den Service zurück, um nun eine neue Kraft behutsam anzulernen. „Ganz ehrlich: Wieder im Service zu sein, macht Spaß. Als Betriebsleiter denkt man strategisch, blickt in die Zukunft, löst tägliche Probleme. Am Gast ist es ein anderes Arbeiten.“
Guten Nachwuchs zu finden, ist schwer. „Es ist wie beim Führerschein: In der Ausbildung lernt man nur die Basics. Erst durch Interaktion mit Menschen dann die Praxis. Der Nachwuchs will heute zu viel zu schnell“, sagt Apelyushynskyy. Berufseinsteiger wüssten, wie händeringend Leute gesucht werden, wollten zu schnell nach oben und scheiterten dann. Das wolle er ihnen ersparen. Die neue Generation würde sich mit ihrer Karriere-Geschwindigkeit auch selbst zu viel Druck machen, müsste aber auch lernen mit Rückschlägen umzugehen. „Dann kommt die Kritik bei Google, in der Zeitung. An alten Hasen prallt sowas ab, die haben diese gewisse Hornhaut.“
Seit 2019 nur sechs ordentliche Bewerbungen für eine Ausbildung zum Restaurantfachmann
Apelyushynskyy fordert deshalb einen Leader-Kurs in der Berufsschule. „Die lernen da nur die Basics, aber erhalten nicht die Chance, hinter den Horizont zu schauen.“ Allerdings seien die Klassen aktuell leer. „Ich bekomme jeden Tag eine Bewerbung zum Koch, aber seit 2019 nur sechs ordentliche für eine Ausbildung zum Restaurantfachmann – zwei davon haben angefangen und nach sechs Wochen wieder aufgehört.“ Am Arbeitspensum könne das nicht liegen, in seinem Restaurant würde nur vier Tage die Woche gearbeitet, es gebe jeweils nur einen Service.
Wie ist die Situation auf dem Land? Max Wilbrand kehrte nach Wanderjahren, die ihn unter anderem nach Bangkok und Zürich führten, zurück in den Familienbetrieb, die „Post“ in Odenthal. „Ich glaube es bewegt sich langsam dorthin, dass es auf dem Land wieder mehr Betriebe gibt, die nur überleben können, weil die ganze Familie mit anpackt. Und es wird sich hier auch so entwickeln, dass Köche mehr servieren. Die können die Speisen in der Regel ohnehin besser erklären.“
Für die Arbeit im Service fehlt die Anerkennung
Die problematische Entwicklung im Service wäre noch vor fünf Jahren so nicht abzusehen gewesen. „Aber es wird viel zu wenig zum Thema Service gemacht in den Medien oder bei Wettbewerben, da fehlt die Anerkennung. Wir sind für viele nur Tellertaxis. Das merkt man in letzter Zeit auch viel bei Gästen, die mit einem umgehen, als wäre man ihr Sklave.“ Viele Kollegen wollten sich das nicht antun. Hinzu komme: „Viele Leute mit Ausbildung im Service haben durch Corona gemerkt: Es geht auch anders. Ich muss nicht jedes Wochenende bis ein, zwei Uhr im Restaurant stehen, verdiene mehr Geld, und muss mir den mentalen Druck nicht geben.“
Es würden sich zudem immer weniger Abiturienten für eine Ausbildung im Service bewerben, so Wilbrand weiter. Dabei seien die Löhne überall angehoben worden. Und es würden einem weltweit die Türen offenstehen. Die Anzahl an Mitarbeitern mit Migrationshintergrund sei allerdings gestiegen.
Die positiven Aspekte der Branche werden zu wenig gewürdigt
Der Gastronom aus Odenthal fordert: „Wir müssen daran arbeiten, dass die Anerkennung steigt. Köche haben Fernsehshows und Social Media Auftritte. Aber es wird auch für Köche schwieriger, wenn es niemanden mehr gibt, der das Essen rausbringt und den Gästen einen schönen Abend bereitet. Wenn das Essen nicht schmeckt, sagt der Gast ‚Schlechter Tag, aber kann mal passieren‘. Wenn der Service unfreundlich ist: ‚Da gehe ich nie wieder hin!‘“
Ronja Morgenstern, bis zur Schließung Betriebs- und Restaurantleiterin des „Prunier Cologne“, betont die schönen Seiten des Berufs. „Als Gastgeberin bin ich das Gesicht und die Seele meines Restaurants. Ich habe jeden Tag die Chance etwas Neues zu erleben – von meinen Gästen zu lernen und inspiriert zu werden, großartige zwischenmenschliche Erfahrungen zu machen und mein Umfeld schöner zu gestalten. Das ist leider ein Aspekt der Branche, der viel zu wenig gewürdigt wird.“ Die Lorbeeren für einen gelungenen Abend streiche in der Regel die Küche ein. „Das ist ein bisschen so, als würden Sie bei den Oscars nur die Kamera, die Maske und das Kostümbild auszeichnen und die Schauspieler gingen leer aus. Klingt verrückt, oder?“
Das Rheinland sei für Servicemitarbeiter aber ein guter Boden. „Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Rheinländer sehr offen sind und auch mal über sich selbst lachen können. Das macht sie meist zu sehr angenehmen Gästen!“
Frauen müssten sich in der Gastronomie mehr beweisen
Die Zukunft in ihrem Beruf sieht auch Morgenstern kritisch. „Gastronomie ist Raubbau am eigenen Körper. Durch den permanenten Stress, den Schlafmangel, die schlechte Ernährung und die schlechten Angewohnheiten steht man ständig unter Spannung. Die Prioritäten haben sich verschoben – während es früher wichtig war, Sicherheit und ein geregeltes Einkommen zu haben, liegt das Hauptaugenmerk mittlerweile auf Selbstverwirklichung und Mental Health Care.“
Bei Frauen käme hinzu, dass sie sich nicht nur gegenüber ihren Vorgesetzten mehr beweisen müssten, sondern auch ihrem Team und den Gästen gegenüber. „Das Bild von der Frau als Führungskraft hat in der Branche kein großes Renommée. Mir wurde mehr als einmal gesagt, dass ich doch bitte meinen Chef an den Tisch holen soll, während man auf meinen Auszubildenden deutete. Einen deutlich jüngeren Mann, dem ich zum damaligen Zeitpunkt in Sachen Kompetenz und Auftreten offensichtlich überlegen war. Aber ich war eben eine Frau, es war undenkbar, dass ich ein Sternerestaurant führe.
Die in einer Gastronomiefamilie aufgewachsene Ronja Morgenstern ist mittlerweile im Mode-Business tätig, hat gerade ihre erste eigene Kollektion kreiert – aber die von ihr so geliebte Gastronomie werde immer ein Teil von ihr bleiben, in der sie mal mehr, mal weniger wirkt.