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Interview

Sterneköchin Julia Komp im „anderen Gespräch“
„Fische filetieren ist wie Yoga“

Lesezeit 8 Minuten
„Krasses Freiheitsgefühl“: Julia Komp auf dem Rücken eines Pferdes beim Ausritt rund um die Felsenstadt Petra (rechts) in Jordanien.

„Krasses Freiheitsgefühl“: Julia Komp auf dem Rücken eines Pferdes beim Ausritt rund um die Felsenstadt Petra (rechts) in Jordanien.

Sterneköchin Julia Komp über Entspannung in einem nicht ganz so entspannten Beruf und über das Entspannendste überhaupt: Urlaub in fernen Ländern.

Wie ist das Entspannungslevel gerade? Zehn ist super entspannt, eins überhaupt nicht entspannt.

Dann würde ich sagen: eins. Entspannung als Selbstständige in der Gastronomie ist schwierig. Neben der täglichen Arbeit geht es auch nach Feierabend weiter. Wenn ich zuhause bin, denke ich darüber nach, was wir noch verbessern können. Dazu der Papierkram und die Mails, gerade ganz besonders die Suche nach Service-Personal. Es sind so viele Themen, die man von außen nicht auf den ersten Blick sieht.

Gibt es Hoffnung auf Besserung?

Gott sei Dank stehen wir kurz vor den Betriebsferien. Aber man muss sagen, dass wir trotzdem total dankbar sind. Entspannt zu sein, würde auch bedeuten, dass nicht genug zu tun ist. Wir sind sehr froh, dass wir viele gute Gäste haben, die uns regelmäßig besuchen und dass auch schon Freundschaften daraus entstanden sind. Auch für unser Team sind wir sehr dankbar. Umso mehr Gäste wir haben, umso stressiger, aber auch besser läuft es. Unter Druck arbeiten viele am besten. Natürlich ist es manchmal knackig, aber das macht auch den Spaß aus, den es in der Gastronomie gibt. Wir sind froh, dass alle am gleichen Strang ziehen.

Wie kommen Sie zur Ruhe?

Die einzige Zeit, die ich mir bis jetzt nicht so krass gekürzt habe, ist die Schlafenszeit. Ich brauche mindestens sieben Stunden Schlaf, sonst wird's schwer. Nach weniger als sieben Stunden Schlaf morgens die Augen aufzumachen, ist mein Horror.

Julia Komp: Unfall mit Fisch

Gibt es Momente, in denen Sie während der Arbeit Entspannung finden?

Fische filetieren ist wie Yoga. Eine Aufgabe, bei der man nicht nachdenken muss. Vor vier Monaten habe ich mir beim Filetieren aber in den Finger geschnitten, so richtig mit Vollnarkose und Operation. Jetzt habe ich ein eher schwieriges Verhältnis zu Fischen (lacht). Aber es wird langsam wieder besser. Auch eine gute Entspannungs-Aufgabe in der Küche: eine Kiste Erbsen palen, also die Schoten aufbrechen und die Erbsen rausholen.

Wenn die Arbeit so viel Energie raubt, wie steuern Sie dagegen?

Die Arbeit in der Küche ist nicht gut für den Rücken. Deswegen ist Sport die beste Medizin. Bei meinen früheren Stationen im Schloss Loersfeld oder im Lokschuppen in Mülheim gab es schöne Möglichkeiten, laufen zu gehen. Hier habe ich die Lust am Laufen ein bisschen verloren, weil man erstmal an etlichen Ampeln vorbei muss, bis man loslaufen kann. Aber es ergeben sich immer neue Möglichkeiten, Energie aufzutanken.

Julia Komp in der Felsenstadt Petra in Jordanien.

Julia Komp in der Felsenstadt Petra in Jordanien.

Haben Sie eine sportliche Alternative gefunden?

Spazieren ist auch gut. Und dann habe ich noch ein oder zweimal in der Woche Personal Training gemacht, mit Fokus auf den Rücken. Dann kam aber eine Phase, in der mich das zu sehr beansprucht hat und ich einfach zu müde war. Jetzt gehe ich vier- bis fünfmal in der Woche zu den Kursen im Agrippabad gegenüber – mal Yoga, mal Pilates – und es macht richtig Spaß.

Entspannungs-Spaziergang am Rhein

Gibt es Orte in Köln, die entspannend sind?

Wir gehen manchmal am Rhein spazieren, auf der rechten Rheinseite bis nach Mülheim. Dort haben wir früher gewohnt und Yunus' (Yunus Özananar, Julia Komps Lebensgefährte und Geschäftspartner, Anm. d. Red.) Eltern wohnen dort immer noch. Dann laufen wir bis zur Pizzeria „Localino“, treffen uns da, trinken etwas und laufen wieder zurück. Auch ein Einkauf auf der Ehrenstraße mit anschließendem Feierabendrink gibt mir das Gefühl von Entspannung.

Finden Sie die Natur entspannend?

Ja. Wenn man sich wirklich aufrafft und morgens früh unterwegs ist, dann ist es anders als um 15.30 Uhr. Dann hat man eine komplett andere Luft. Die Blüten erwachen aus ihrem Schlaf, die ersten Sonnenstrahlen zeigen sich. An so was kann ich mich erfreuen. Besonders toll ist das natürlich im Urlaub: Der Geruch fremder Länder und natürlich eine ganz andere Vegetation.

So richtig entspannen können Sie also nur, wenn Sie hier wegkommen?

Ja, schon. Zuletzt waren wir in Jordanien. Das war echt fantastisch. Wir haben dreieinhalb Tage eine Rundreise gemacht. Wir waren in der Hauptstadt Amman, in der Mosaik-Stadt Madaba, in der Felsenstadt Petra und sind durch die Wüste bis zum Toten Meer gefahren. Wir haben nicht viel geschlafen, sind morgens immer früh los, aber es war trotzdem extrem entspannend. Das hat mir neue Energie und so viele Glücksgefühle gegeben.

Dann haben wir eine Tour mit Pferden über umliegenden Berge gemacht. Über diese Felsen zu galoppieren und überall nur andere riesige Felsen zu sehen, war beeindruckend. Als dann die Sonne ganz langsam untergegangen ist und ein leichter Wind aufkam, war das ein krasses Freiheitsgefühl.
Julia Komp

Was genau hat für diese Gefühle gesorgt?

Wir sind 16, 17 Kilometer durch das Tal bei der Felsenstadt Petra gelaufen. Dann haben wir eine Tour mit Pferden über die umliegenden Berge gemacht. Über diese Felsen zu galoppieren und überall nur andere riesige Felsen zu sehen, war beeindruckend. Als dann die Sonne ganz langsam untergegangen ist und ein leichter Wind aufkam, war das ein krasses Freiheitsgefühl. Da konnte ich mal wirklich runterfahren.

Sie sind viel rumgekommen in der Welt. Wo sind die Menschen am entspanntesten?

In vielen armen Ländern sind die Menschen viel glücklicher und entspannter. Zum Beispiel in Thailand: Es gibt Straßenhändler, die haben einen kleinen Stand, verdienen nicht viel Geld, aber sind glücklich. Die unterhalten sich mit den Leuten vom Stand daneben. Die Kinder spielen davor, alle essen gemeinsam um 12 Uhr zu Mittag. Abends essen sie wieder gemeinsam. Und sie strahlen. Wann kommt es hier mal vor, dass dich auf der Straße jemand anstrahlt?

Gibt es weitere Beobachtungen in anderen Ländern?

Kambodscha ist eines der ärmsten Länder, die ich auf meiner Reise gesehen habe. Die Familien sind zum Teil sehr arm. Und trotzdem sind die Menschen total herzlich, winken einem zu und lächeln. Diese Herzlichkeit, vor allem gegenüber Fremden, ist bei uns in Deutschland wirklich im Keller.

Warum kriegen die Menschen das anderswo auf der Welt hin?

Ich weiß es nicht, vielleicht sind sie einfach mit weniger zufrieden und wir sind zu materialistisch veranlagt. Viele denken nur an ihren eigenen Vorteil und es geht immer darum, aus welchem Grund man gerade unzufrieden ist. Natürlich ist nicht jeder so. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Auf Bali leben Menschen für die Religion

Sind die Menschen in anderen Kulturen von Grund auf glücklich und entspannt, oder fördern sie das auch aktiv?

Auf Bali verzichten die Menschen auf Arbeit und Geld, um fünf Tage ihren Gott zu verehren. Sie essen nichts, um das Essen ihren Göttern zu opfern. Nach dem Aufstehen bringen sie als erstes ein kleines Räucherstäbchen zum kleinen Tempel vor ihrer Haustür. Der Hinduismus ist dort über alles gestellt. Die Religion gibt den Menschen aber scheinbar viel zurück. Die Leute sind dort total ausgeglichen und glücklich.

Ist das System hierzulande vielleicht einfach nicht auf Entspannung ausgelegt?

Die Lage in Deutschland ist aktuell sehr angespannt. Viele große Firmen wandern weg, junge Leute, die eine coole Idee haben, gehen ins Ausland, weil die Bürokratie zu groß ist, wir haben extremen Fachkräftemangel. Es läuft ganz offensichtlich vieles schief. Aber die da oben verschließen scheinbar die Augen. Und das macht es noch frustrierender. Da ist Entspannung schwierig.

Julia Komp in Jordanien

Julia Komp in Jordanien

Versuchen Sie, sich bei anderen Kulturen etwas abzuschauen, wenn Sie wieder zurück nach Deutschland kommen?

Immer wenn ich nach Hause komme, nehme ich mir vor, entspannter zu sein, nicht so abgehetzt, nicht so getaktet. Aber du vergisst das total schnell. Dann fährst du wieder hinter dem Traktor her, bist im Stress und hast nicht so viel Zeit. Und dann merkst du, wie du drängelst und versuchst, den Traktor zu überholen. Da muss man sich immer wieder ermahnen.

Selbstliebe ist ein schöner Anfang. Wenn man sich selbst mag, ist das Leben einfacher.
Julia Komp

Und was können wir uns im Umgang mit anderen Menschen abschauen?

Selbstliebe ist ein schöner Anfang. Wenn man sich selbst mag, ist das Leben einfacher. Wenn man selbst irgendwo mit einem Lächeln hinkommt, ist es auch einfacher, ein Lächeln zurückzubekommen.

Jeder muss also bei sich selbst anfangen.

Ich würde mir wünschen, dass jeder sich an seine Nase packt und ein bisschen mehr positive Energie ausstrahlt. Dazu gehört aber auch, dass man ein bisschen was für die Gesellschaft leisten muss, um später die Lorbeeren zu ernten. Und ich wünsche mir von allen den Ehrgeiz weiterzumachen, wenn etwas mal nicht so gut läuft. Wenn alle an dieser Sache arbeiten, dann kann die Stimmung insgesamt trotz der angespannten Lage in Deutschland auch wieder entspannter und positiver werden.

Ein Restaurant-Kritiker hat ihr „Sahila“ mal als Entspannungsoase bezeichnet. Ist es Ihnen wichtig, so etwas für Ihre Gäste zu sein?

Ja, natürlich. Die größte Entspannung für mich ist eine Reise. Wenn die Leute bei uns ein Menü essen, dann machen sie auch eine kleine Reise. Jeder Gang repräsentiert ein Land, dazu erzählen wir Geschichten, wo das Gericht herkommt und was es im jeweiligen Land für eine Bedeutung hat.

Hat es der Ausritt in Jordanien auch schon auf den Teller geschafft?

Ja, im letzten Apero gab es Hummus und Falafel. Dazu haben wir von der Kultur und den historischen Bauwerken, von der Felsenstadt Petra und vom Toten Meer erzählt. An diesen Geschichten und an den Reaktionen der Gäste erfreue ich mich sehr.


Zur Person

2016 bekam Julia Komp (35) ihren ersten Michelin-Stern im Schloss Loersfeld in Kerpen. Sie wurde somit mit 27 Jahren zur jüngsten Sterneköchin Deutschlands. Vor der Corona-Pandemie hing Komp ihren Stern an den Nagel und ging für 14 Monate auf Weltreise, um in über 30 Ländern kulinarische Inspiration zu finden.

Nach einem kurzen Zwischenstopp im Mülheimer Lokschuppen eröffnete sie 2021 ihr erstes eigenes Restaurant, das in der Kämmergasse zwei Konzepte vereint. Im „Sahila“ gibt es internationale Spitzenküche, jeder Gang repräsentiert ein Land, jedes Menü ist eine kulinarische Weltreise. Nebenan in der „Yulia Mezzebar“ serviert Komp mit ihrem Team Mezze, also kleine Gerichte zum Teilen. Der Schwerpunkt liegt auf Gerichten aus der mediterranen Küche und dem Orient.

2023 bekam Komp einen Michelin-Stern für ihr „Sahila“.