Eifel im Ausnahmezustand1962 wütet einer der letzten Pockenausbrüche bei Monschau

Anfang Februar wurden die Bewohner von Lammersdorf frühmorgens von Polizeidurchsagen geweckt, die vor dem Pockenausbruch warnten.
Copyright: Verein für Heimatgeschichte und Dorfkultur Lammersdorf e.V.
„Wir werden alles tun, um zu verhindern, dass unser Krankenhaus mit Patienten aus dem Kreise Monschau belegt wird. Notfalls schlagen wir zu“, rief der Bürgermeister von Langerwehe, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Düren und reckte den beiden Regierungsbeamten aus Aachen die Faust entgegen. Ein Sprecher des Gemeinderats kündigte an: „Wir werden auf die Barrikaden steigen.“ Die Dörfler auf den Zuschauerbänken applaudierten und riefen: „Hört! Hört!“ und „Bravo!“ Ein Mann donnerte seinen Stock auf den Boden: „Wenn wir Maschinengewehre hätten, könnte man vor dem Krankenhaus aufziehen.“
Lebensbedrohliche Epidemie in Monschau
Auch wenn es in diesem März 1962 weder zum Barrikadenbau kam und die Wehrmachtsveteranen Langerwehes auch nicht zu den Waffen griffen, um ihr Krankenhaus vor dem Zugriff der Bezirksregierung zu verteidigen, so muss es für deren Beamte angesichts der bürgerkriegsartigen Stimmung doch recht bedrohlich gewesen sein. Denn die aufgepeitschte Stimmung verdankte sich realer Angst. Angst vor Patienten aus Monschau, denn dort, in dem einige Jahre später in der Gebietsreform aufgelösten Nachbarlandkreis Monschau hatte eine lebensbedrohliche Epidemie ihr Haupt erhoben und jeder Monschauer, auch wenn er nur ein gebrochenes Bein oder eine Blinddarmentzündung hatte, stand unter Generalverdacht, deren gefürchtete Erreger einzuschleppen: Ein Virus namens Variola, besser bekannt – und gefürchtet – als schwarze Pocken.
Die Pocken waren hochansteckend, ohne Impfung (die auch noch ein paar Tage später verabreicht werden konnte) starben etwa dreißig Prozent der Erkrankten. Wer sie überlebte war oft von den charakteristischen zurückbleibenden Narben entstellt. Weltweit beruhte jeder dritte Fall von Blindheit auf einer Pockeninfektion.
Der Autor

Steffen Kopetzky
Copyright: Marc Reimann
Foto: Marc Reimann
Schriftsteller Steffen Kopetzky, geboren 1971, lebt in Oberbayern und veröffentlichte zuletzt die Spiegel-Bestseller „Risiko“ (2015) und „Propaganda“ (2019).
Sein neuer Roman „Monschau“ erscheint am 23. März im Rowohlt Berlin Verlag (22 Euro). Darin erzählt Kopetzky vom Pockenausbruch in der Eifel, von einer Liebe im Ausnahmezustand und verwandelt ein Kapitel deutscher Geschichte in packende Literatur.Lesungen:25.3. Salonfestival digital4.5. Köln Literaturhaus 5. 5. Würselen Buchhandlung Schillings6.5. Düsseldorf Heinrich Heine Institut
Was seit dem 1. Februar 1962, mitten im Karneval, nicht nur die Menschen zwischen Aachen und Köln beunruhigte, sondern auch die gesamte bundesdeutsche und internationale Medienaufmerksamkeit fesselte, würde als die letzte große Variola-Epidemie in Deutschland historisch werden. Ein paar Wochen nach ihrem Ausbruch ächzte das Gesundheitssystem im Kreis Monschau unter den Belastungen, etliche Hausärzte hatten sich angesteckt, dazu Krankenschwestern, Rot-Kreuz-Mitarbeiter. Hunderte Menschen befanden sich in strenger Quarantäne. Und seit dem ersten Todesfall am 20. Februar stand das ganze Monschauer Kreiskrankenhaus St. Brigida unter Isolation und wurde von der Polizei bewacht, um zu verhindern, dass irgendjemand oder irgendetwas die Klinik verlassen konnte.
„Patient Nummer 1“ war der Mitarbeiter eines in der kleinen Eifelgemeinde Lammersdorf ansässigen Unternehmens gewesen, das Spezialöfen für die Industrie herstellte, der Otto Junker GmbH, schon damals einer von Deutschlands „Hidden Champions“. Mit autoritärem Führungsstil hatte Otto Junker seine Firma in den wenigen Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg zu einer ins europäische Ausland, aber auch bis nach China und Indien exportierenden Weltfirma mit mehr als zwölfhundert Mitarbeitern gemacht. Unter diesen war deshalb vor allem eine Kategorie von besonderer Bedeutung: Die der Auslandsmonteure. Es waren die Besten ihres Fachs, mussten sie doch in der Lage sein, die hochkomplexen Anlagen an ihren Bestimmungsorten aufzubauen und die dortigen Belegschaften in deren Bedienung zu unterweisen.
Die Spur der Krankheit führt nach Indien
Einer dieser Spitzenmonteure war der einunddreißig Jahre alte Josef Breuer. Im Mai 1961 hatte ihn Junker für ein halbes Jahr nach Indien auf Montage geschickt. Am 20. Dezember machte sich Breuer wieder auf den Weg nach Hause, um mit seiner Frau und den zwei Kindern Weihnachten in Lammersdorf zu feiern. Unklar ist, wie und wo genau er sich mit den Pocken infiziert hat, ob noch in Madras, dem heutigen Chennai, beim Zwischenaufenthalt am Drehkreuz des Jinnah International Airport in Karachi oder ob es die auffallend hübsche Stewardess der Air India war, von der Breuer sich später zu erinnern glaubte, sie habe seltsame schwarze Pickel auf der Stirn gehabt. Die Weiterreise von Karachi über Kairo und Rom mit der Lufthansa verlief reibungslos. Eigentlich wäre eine sofortige Blutuntersuchung im Hamburger Tropeninstitut firmeninterne Vorschrift gewesen, aber angesichts der unmittelbar bevorstehenden Feiertage verschob man diese ins neue Jahr. Breuer verbrachte geruhsame Tage mit seiner Familie und traf alte Freunde in den Kneipen von Lammersdorf.
Am 5. Januar begann er sich unwohl zu fühlen. Er vermutete, sich in der tief verschneiten Eifel erkältet zu haben, was nach dem Aufenthalt im subtropischen Madras nicht verwunderlich gewesen wäre. Beim Lammersdorfer Hausarzt wartete er zusammen mit einigen anderen Patienten auf seine Untersuchung. Sein Arzt schrieb ihn schließlich wegen eines „grippalen Infekts“ krank. Auch als ein paar Tage später an Fußsohlen und Handflächen pustelartige Hautveränderungen auftraten, dachte er nicht an Variola, sondern diagnostizierte Windpocken. Einer der Gründe dafür dürfte gewesen sein, dass Josef Breuer Jahre zuvor gegen das Pocken-Virus geimpft worden war. Ein anderer Grund: der Hausarzt hatte, genauso wie die übrigen, später hinzu gezogenen lokalen Ärzte, noch niemals Pocken gesehen. Diese werden, weshalb sie auch in das Fachgebiet der Dermatologie fallen, über die Erscheinung der Pusteln auf der Haut diagnostiziert.

Das schwer an den Pocken erkrankte Waltraut Breuer nach überstandener Infektion mit vernarbten Händen.
Copyright: Verein für Heimatgeschichte und Dorfkultur Lammersdorf e.V.
Wieder etwa zwei Wochen nachdem Breuer erste Symptome zeigte, ging es auch seiner achtjährigen Tochter Waltraud zunehmend schlecht. Ihr war übel und sie litt unter permanentem Juckreiz. Mit Unbehagen entdeckte ihre Mutter schließlich Pusteln am ganzen Körper. Der Hausarzt machte zusammen mit seiner Sprechstundenhilfe einen Hausbesuch, diagnostizierte Windpocken und riet, das Kind zu Hause zu lassen. Als die Mutter für Erledigungen nach Köln musste, bat sie den Nachbarsjungen, der sehr matten Waltraud Gesellschaft zu leisen. Der Vater war wieder in der Firma. In der Mittagspause saß er, umringt von zahlreichen Kollegen, in der Kantine. Alle waren begierig darauf, von seinen Erlebnissen während der sieben Monate in Indien zu erfahren.
Es erfolgten noch zahllose weitere Begegnungen und Treffen, Kundenbesuche in Köln, Bonn und Hennef, der (befundlose) Routine-Besuch im Hamburger Tropeninstitut und etliche Hausarztvisiten, bis es diesem Ende Januar dämmerte, womöglich einen Riesenfehler gemacht zu haben: Was den Vater, aber vor allem die achtjährige Waltraud seit Wochen quälte, waren keine Windpocken, sondern Variola.
Das könnte Sie auch interessieren:
Mittlerweile war das Kind lebensgefährlich erkrankt und hochansteckend, seine Isolation damit zwingend erforderlich. Der Fahrer des nun herbeigerufenen Krankenwagens, den man sich wie einen großen, rundumverglasten Kombi vorstellen muss, wie man sie früher hatte, trug das fiebernde Kind auf seinen Armen in den Wagen und raste mit ihr nach Aachen. Kurz vor sieben Uhr abends standen sie vor der Pforte der städtischen Krankenanstalten. Der diensthabende Arzt telefonierte mit dem Oberarzt. Dieser rief den Chef der Abteilung an, und der wiederum den Direktor der Krankenanstalten. Es dauerte, bis alle Herren versammelt waren. Gemeinsam betrachteten sie durch die Scheiben das delirierende Kind, das seit Stunden in dem ungeheizten Krankenwagen lag. Dann verzogen sie sich zur Beratung und telefonierten sich die Hierarchie der Gesundheitsbehörden hinauf.
Gegen zweiundzwanzig Uhr erhielt der Chefarzt des Monschauer Krankenhauses einen Anruf aus dem Innenministerium. Er solle das mit Pocken infizierte Kind aufnehmen. Aber, widersprach der Chefarzt, es gäbe in Simmerath – anders als in Aachen – keine Isolierstation. Zudem seien in Aachen doch zuletzt zahlreiche Ärzte immunisiert worden. Ja, aber die Stadt Aachen habe eine Aufnahme abgelehnt. Dann vielleicht nach Düsseldorf? Nein, auch das kam nicht in Frage. Das Kind stamme aus dem Kreis Monschau, es müsse in Monschau versorgt werden. Dies sei das letzte Wort.

Während der Epidemie wurde die Lammersdorfer Volksschule zur Quarantänestation für Kinder umfunktioniert.
Copyright: Heimatgeschichte und Dorfkultur Lammersdorf e.V.
So begann mitten in der Nacht die Improvisation einer Isolierstation in einem dafür ungeeigneten Gebäude. In den frühen Morgenstunden trug der Krankenwagenfahrer das völlig erschöpfte und stark hustende Mädchen in das für sie vorgesehene Zimmer. Eine Patientin, die sich interessiert aus dem Fenster lehnte, um zu sehen, was schräg gegenüber vor sich ging, würde einige Tage später erkranken – die vom nächtlichen Wind über beinahe zwanzig Meter fortgetragenen Viren hatten sie infiziert. Andere Patienten, deren Genesung weit genug fortgeschritten war, wurden am nächsten Tag vorzeitig entlassen. Weder Ärzte, noch Schwestern, das Küchenpersonal, die herbeigerufenen Handwerker und die Patienten natürlich am allerwenigsten, ahnten, dass sich das Virus durch Waltrauds Husten bereits im gesamten Krankenhaus verteilt hatte. Jeder von ihnen konnte infiziert und damit ein potentieller Überträger sein. „Über den Köpfen der Menschen im Kreis Monschau braute sich ein Unheil zusammen“, fasst Lokalhistoriker Jürgen Siebertz in seinem Buch über die Epidemie den Ereignishorizont dieses 1. Februar 1962 zusammen.
Die Pocken - hochansteckend, lebensgefährlich
Was sind die Pocken?
Die Pocken waren eine hochansteckende Infektionskrankheit. Die Erkrankung ging mit hohem Fieber und einem ganz typischen Hautausschlag mit Pusteln und Bläschen einher. Die Übertragung des Variola-Virus erfolgte von Mensch zu Mensch, aber auch über den Kontakt mit Gegenständen und Kleidung eines Erkrankten. Bereits im Alten Testament kommen die Pocken als sechste ägyptische Plage vor.
Impfung aus Kuhpocken
Während des Krieges um die amerikanischen Kolonien spielten die Briten zwei Decken und ein Halstuch von Pockenkranken den mit den Franzosen verbündeten Indianerstämmen in die Hände, um sie gezielt zu dezimieren. Englische Ärzte entdeckten 1796 eine erhöhte Resistenz bei Milchmägden, die Umgang mit Kühen hatten und von den Kuh-Pocken mild infiziert worden waren. Aus diesen Kuhpocken gewann man dann den ersten Impfstoff, daher das Wort „Vakzine“ von Lateinisch Vacca (Kuh).
Prominente Pocken-Erkrankte
Goethe war der erste bedeutende Autor, der über seine eigene Pockenerkrankung als Kind geschrieben hat. Er plädierte vehement für die Impfung, die von Beginn an heftig umstritten war. Immanuel Kant etwa war dagegen, weil man der Natur nicht vorgreifen solle. Weitere berühmte Pocken-Kranke: Elisabeth I. von England, Mozart, Beethoven, Charles Bukowski und Jürgen Prochnow. Josef Stalin ordnete an, seine tiefen Pockennarben auf sämtlichen Propaganda-Bildern zu retuschieren.
Das Ende der Pocken
Ein Koch aus Somalia war der letzte Mensch, den das Virus befiel – dies war im Oktober 1977.
An diesem Tag erreichte den einzigen aktiven Dermatologen Nordrhein-Westfalens, der sich mit den schwarzen Pocken auskannte, den Düsseldorfer Professor Günter Stüttgen, die dringliche Bitte aus dem Innenministerium, sofort in die Eifel aufzubrechen. Keiner der dort tätigen Ärzte wisse, was zu tun sei. Händeringend suchte Stüttgen nach Kollegen, die den Mut gehabt hätten, ihn zu begleiten. Aber keiner wollte sich auf dieses Risiko einlassen. Nur ein tapferer junger Arzt namens Constantin Orfanos erklärte sich bereit, seinen Doktorvater in den Hürtgenwald zu begleiten. „Ich war stolz darauf, ihm helfen zu dürfen“, erzählt Orfanos. „Stüttgen war in jeder Hinsicht ein Vorbild für mich. Ein fröhlicher, aber auch entschlossener Mensch.“
Während der siebzehn Jahre jüngere Orfanos sich als „Pockenbeauftragter“ für vier Wochen bei der Firma Junker einquartierte, um jeden Verdachtsfall unter den Mitarbeitern zu prüfen und falls nötig sofort zu isolieren, damit der Betrieb des wichtigsten Arbeitgebers der Region weiterlaufen konnte, musste Stüttgen selbst die Infrastruktur planen, die Maßnahmen zu ihrer Umsetzung veranlassen und später die auftretenden Verdachtsfälle begutachten, um die Ausbreitung des Virus so schnell wie möglich einzudämmen. Das Leben der Menschen änderte sich über Nacht völlig.
WHO erklärt den Landkreis zum „Internationalen Infektionsgebiet“
Am 2. Februar um fünf Uhr morgens weckten Lautsprecherdurchsagen der Polizei die Bewohner von Lammersdorf mit der grausigen Nachricht eines möglichen Pockenfalles. Polizisten und Zollbeamte wurden an den Straßen der Ortseingänge postiert und ermahnten jeden Durchkommenden, keinesfalls anzuhalten. Der Oberkreisdirektor schloss sämtliche Schulen und verbot – mitten im Karneval – Veranstaltungen jeder Art. Auf vielen Dörfern wurden eiligst Impfkampagnen durchgeführt und auf diese Weise in den nächsten Tagen hunderte von Menschen erreicht. Im Nachbarland Belgien reagierte nicht nur die Presse mit schauerlichen Titelbildern, sondern man schloss auch augenblicklich die Grenze. Am 4. Februar erklärte die WHO den Landkreis zum „Internationalen Infektionsgebiet“. Beinahe täglich tauchten neue Fälle auf, zeigten Menschen an den unterschiedlichsten Orten plötzlich Symptome.

Belgien machte die Grenze zur Eifel hin dicht. Am 4. Februar erklärte die WHO den Landkreis zum „Internationalen Infektionsgebiet“.
Copyright: Verein für Heimatgeschichte und Dorfkultur Lammersdorf e.V.
Die Pocken waren wie eine geisterhafte Hydra. Jeder neue Verdachtsfall zog sofort Kreise, da alle Kontaktperson in vorsorgliche Quarantäne mussten. Zunehmend erkrankten nun auch Ärzte und Krankenschwestern. Auch der unerschrockene Krankenwagenfahrer, der an der Gesundheitsbürokratie beinahe verzweifelt wäre, zeigte vierzehn Tage später erste Symptome. Am 20. Februar schließlich starb die Patientin aus dem Krankenhaus, die die Einlieferung der kleinen Waltraud von ihrem Fenster aus beobachtet hatte. Mit diesem Todesfall wurde nun das gesamte Krankenhaus unter Quarantäne gestellt, keiner der Patienten gleich welcher Station durfte mehr hinaus. Und niemand mehr hinein. Immer wieder musste Günter Stüttgen dafür kämpfen, bei neuen Verdachtsfällen und deren Kontakten, aber auch bei den Erkrankten die notwendigen Protokolle, Hygiene- und Isolationsregeln einzuhalten. Das Gesundheitssystem im Kreis Monschau stand kurz vor dem Zusammenbruch. Die vielen Schwestern, Rot-Kreuz-Mitarbeiter und freiwilligen Helfer ächzten unter der sich Woche für Woche hinziehenden Dauerbelastung. Aber es gab keine Alternative. Und es ging gut aus.
50.000 Impfungen, 7000 Menschen in Quarantäne, eine Tote
Am 10. April wurden die letzten fünf Pockenpatienten aus der Isolierstation in Simmerath entlassen, das Krankenhaus danach gründlich gereinigt, desinfiziert und vierzehn Tage später, am 25. April wieder für die Öffentlichkeit geöffnet. Die erste Bilanz: eine Tote, vier sehr schwer Erkrankte, dreiunddreißig mittelschwer Erkrankte. Siebenhundert Personen befanden sich zeitweilig in Quarantäne und etwa 50.000 wurden geimpft. Im Ganzen konstatierten die Ärzte einen „extrem milden Verlauf“ der Epidemie.
Josef Breuer, „Patient Nummer Eins“, lebt hochbetagt bis heute in Lammersdorf. Seine Tochter Waltraud, die so sehr unter den Pocken gelitten hatte, konnte nach ihrer genau vierzig Tage währenden Isolation wieder gesund das Krankenhaus verlassen. Die Narben, die sie sich zugezogen hatte, heilte Professor Stüttgen mit modernsten Methoden. Sie heiratete und führte ein glückliches Leben – bis heute.

Der Düsseldorfer Dermatologe Günter Stüttgen (m.) bekommt für seinen Einsatz gegen den Pockenausbruch ein Jahr später das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Copyright: Archiv Familie Stüttgen
Die Breuers und die anderen Erkrankten von Monschau waren nur eine Handvoll von ungefähr fünfundsiebzig Millionen, die damals auf der Erde jedes Jahr von den Pocken befallen wurden, die allermeisten von ihnen im globalen Süden. Angesichts einer sich zunehmend verschränkenden Welt und des zunehmenden Flugverkehrs, entschlossen sich die Supermächte erstmals zu einer koordinierten Zusammenarbeit: 1966 wurde von der WHO ein internationales Team gebildet, das die systematische Eradication koordinierte. Nach den 300 Millionen Todesopfern, die Variola alleine im 20. Jahrhundert gefordert hatten, gelten sie seit 1979 als ausgerottet. Die erste Krankheit bei der das bislang gelungen ist. Nur in zwei Laboren, eines in den USA und eines in Russland lagern noch Variola-Stämme – und vielleicht, aber das ist nur eine Horrovision, für die es keine Belege gibt, irgendwo in den Geheimarsenalen von Bioterroristen, die auf ihre Gelegenheit warten.