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Corona-Depressionen„Die Folgen für die Psyche sind jetzt noch nicht absehbar“

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Was die Corona-Ausnahmesituation mit unserer Psyche macht, wird sich erst noch zeigen. Die Anfragen bei Therapeuten haben auf jeden Fall zugenommen. 

Köln – Beinahe ein Jahr befinden wir uns jetzt schon im Ausnahmezustand. Es gibt kein öffentliches Leben mehr, keine Reisen, kaum noch Hobbys, die Kinder gehen nicht mehr in die Schule und die Erwachsenen arbeiten zuhause. Nicht wenige haben auch eine Quarantäne hinter sich, bei der sie niemanden treffen und nicht einmal das Haus verlassen durften. Und über allem steht die Angst vor dem lebensgefährlichen Virus. Wie haben sich diese Erfahrungen auf unsere psychische Gesundheit ausgewirkt? Wir haben in der LVR-Klinik Köln und bei Psychotherapeuten nachgefragt.

Psychotherapeuten melden vermehrt Anfragen

„Es ist mit einem Anstieg von Anpassungsstörungen, Angsterkrankungen, Depressionen und Traumafolgestörungen aufgrund der COVID-19-Pandemie zu rechnen“, schrieb Prof. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, Psychiaterin, Neurologin, und Ärztliche Direktorin der LVR-Klinik Köln, bereits im Mai 2020 in einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt.

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Mit unserer Serie „Gesund durchs Jahr“ legen wir den Schwerpunkt ganz auf Ihre Gesundheit. Jeden Monat gibt es dazu ein Schwerpunktthema, zu dem jede Woche ein neuer Artikel erscheint. Im Februar geht es um das Thema psychische Gesundheit.

Jetzt sind weitere neun Monate Ausnahmezustand hinzugekommen. Der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) zufolge haben Ängste und depressive Gefühle seitdem zugenommen. Auch die Psychotherapeutenkammer NRW meldet vermehrt Anfragen. Ob diese speziell mit Corona zu tun haben, lässt sich nicht sagen. Zudem waren Therapieplätze schon vor der Pandemie so gut wie ausgebucht. Insofern gibt es keine verlässlichen Zahlen, auf die man zurückgreifen könnte. Aber es gibt Hinweise.

Panikattacken, Herzrasen, Antriebslosigkeit: Die Symptome sind vielfältig

„Wir arbeiten eng mit dem Patientenservice zusammen, der unter der Nummer 116 117 Termine mit Ärzten und Psychotherapeuten vermittelt. Dort hat man schon im Spätsommer mehr Anrufe von Menschen registriert, die psychotherapeutische Unterstützung brauchen. Auch die Kollegen signalisieren, dass sie deutlich mehr Anfragen haben“, sagt Erika Schneider-Kertz, Vorsitzende des Bundesverbands der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) Nordrhein und psychologische Psychotherapeutin in Köln. Die massive Belastung in der Pandemie äußere sich zum Beispiel in depressiven Einbrüchen, Panikattacken und Schuldgefühlen. Auch kämen vermehrt Menschen mit Existenzsorgen, „vom Verkäufer bis Geschäftsführer“.

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Prof. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, Psychiaterin, Neurologin, und Ärztliche Direktorin der LVR-Klinik Köln

Die LVR-Klinik in Köln hat zwar die Kapazitäten für geplante Therapien reduziert, bietet aber für akute Fälle unverändert Plätze an. In der ersten Welle seien mehr Menschen mit schweren psychischen Störungen wie Psychosen und akuten Rauschzuständen vor allem durch Alkohol in die Klinik gekommen. „Die Notfallsituationen waren in der ersten Phase vermehrt. Für die jetzige zweite Welle kann ich das noch nicht sagen“, erklärt Gouzoulis-Mayfrank.

Insgesamt seien momentan weniger Patienten als sonst in stationärer Behandlung: „Das liegt vor allem daran, dass viele sich jetzt nicht trauen, in eine Klinik zu gehen und aus Angst vor Ansteckung viel zu lange warten. Auch Menschen mit körperlichen Erkrankungen gehen momentan viel zu spät ins Krankenhaus.“

„Im Laufe der Zeit werden sich die Kerben in den Seelen zeigen.“

Hilfe finden

Die Depressionshilfe bietet unter der kostenlosen Nummer 0800/33 44 533 Hilfe an, die Telefonseelsorge ist ebenfalls kostenlos zu erreichen unter: 0800/111 0 111, 0800/111 0 222 und 116 123.Nach Psychotherapeuten können Sie beispielsweise über die Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung oder die Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein suchen.

Hilfe bietet auch das Online-Unterstützungsprogramm CoPE It der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LVR-Klinikums Essen. Das Programm besteht aus vier Modulen und stellt allen, die unter depressiven Symptomen wie Ängstlichkeit, Antriebslosigkeit oder Ärger leiden, Expertenwissen und Selbsthilfe-Trainings in Form von interaktiven Übungen, Podcasts und Videos zur Verfügung.

Hier finden Sie Hinweise und Tipps für Familien zu Stressprävention, die Seite „Corona und Du“ wendet sich an Jugendliche und Eltern.

Gouzoulis-Mayfrank und ihre Kollegen erwarten, dass sich die Folgen der Pandemie erst noch zeigen werden. Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) und Psychotherapeut in Münster, sagt: „Die Auswirkungen traumatisierender Ereignisse können mit starker Zeitverzögerung sichtbar werden.“ Und zwar erst dann, wenn die Menschen nicht mehr mit Funktionieren und Überleben beschäftigt sind. „Ich halte das für extrem wahrscheinlich, dass es so kommen wird. Deshalb muss man jetzt unbedingt die Früherkennung im Auge behalten“, ergänzt Gouzoulis-Mayfrank. Und Schneider-Kertz sagt: „Im Laufe der Zeit werden sich die Kerben in den Seelen zeigen. Die Betroffenen, die nicht mehr durchhalten, werden kränker und müssen sich irgendwann melden.“

Bloß schlecht drauf oder schon auf dem Weg in die Depression?

Doch wann weiß man, dass man nicht mehr nur schlecht drauf und antriebslos ist, sondern sich bereits auf dem Weg in die Depression befindet? Wann sollte man sich Hilfe holen? „Sorgen sollten Sie sich machen, wenn Sie mindestens zwei Wochen lang durchgehend traurig und antriebslos sind und auch keine Freude mehr an Dingen haben, die Ihnen sonst Spaß machen. Wenn diese Traurigkeit auch nicht durch schöne Erlebnisse aufzulockern ist. Wenn Sie sich nicht mehr entspannen und nicht mehr schlafen können oder wenn Sie keinen Appetit mehr haben“, erklärt Gouzoulis-Mayfrank. Auch wenn es immer wieder Angstanfälle bis zur Panik gebe und das Herz rase, obwohl es gesund ist, sei es ratsam, einen Arzt oder Therapeuten zu kontaktieren.

Frauen, junge Menschen und Vorerkrankte leiden am meisten

Ersten Studien zufolge sind 20- bis 40-Jährige, Frauen, Alleinlebende, Menschen mit Vorerkrankungen sowie Menschen mit besonders hohem oder niedrigem Bildungsstatus besonders anfällig für psychische Probleme. Auch eine anonyme Online-Befragung der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LVR-Klinikums Essen unter der Leitung von Prof. Martin Teufel ergab, dass Frauen und junge Menschen unter einer stärkeren seelischen Belastung leiden als der Durchschnitt. Am schwierigsten scheint die Pandemie aber für Menschen mit psychischen Vorerkrankungen wie Depressionen, Angsterkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen zu sein. „Viele berichten über verstärkte Symptome wie Schlafstörungen oder Antriebslosigkeit“, hat Teufel festgestellt. Die Umfrage läuft noch. (Hier können Sie daran teilnehmen.)

Tipps gegen Antriebslosigkeit

Erinnern an das, was Ihnen gut tut!

Einige Dinge können Sie auch unter Einschränkungen weiter machen, wenn auch ein bisschen anders als sonst.

Tagesstruktur schaffen

Versuchen Sie unbedingt, zu den gewohnten Zeiten zu arbeiten und richten Sie wenn möglich einen festen Arbeitsplatz in der Wohnung ein. Halten Sie per Telefon und digitale Medien Kontakt zu den Kollegen. Machen Sie sich auch einen Plan für freie Zeit. Gehen Sie im Hellen nach draußen und machen Sie nicht die Nacht zum Tag.

Bewegung

Machen Sie regelmäßige Atem- und Dehnübungen, am besten bei geöffnetem Fenster. Angst ist vor allem eine körperliche Reaktion. Durch Atmen und Bewegungsübungen signalisieren Sie sich selbst: „Jetzt in diesem Moment ist hier alles in Ordnung.“ Behalten Sie wenn möglich Ihre wöchentlichen Sportzeiten bei und weichen Sie gegebenenfalls auf Indoor-Aktivitäten aus.

Gut essen und trinken:

Ernährung ist für die psychische Stabilität eine wichtige Grundlage. Regelmäßige Mahlzeiten helfen außerdem bei der Aufrechterhaltung einer Tagesstruktur. Trinken Sie genug! Bei hohem seelischen Stress braucht der Körper mehr Flüssigkeit.

Soziale Kontakte halten

Nutzen Sie die wenigen Begegnungen – etwa auf dem Weg zum Supermarkt. Lächeln Sie den Menschen, die Sie sehen, aus der Distanz zu. Lächeln aktiviert Hirnareale, die für Ihr Wohlbefinden sorgen und vermittelt ein Gefühl von Solidarität. Sprechen Sie mit Ihrer Familie über die aktuelle Lage und nehmen Sie die Sorgen anderer ernst. Denken Sie auch an Alleinstehende in Ihrem Umfeld – jetzt ist die Zeit für regelmäßige Telefonate. Sich um andere zu kümmern, kann eine gute Bewältigungsstrategie sein.

Aufgaben erledigen

Nehmen Sie sich für jeden Tag eine kleine Aufgabe vor, die Sie erledigen wollen. Auch das hilft bei der Tagesstrukturierung und beugt depressiven Verstimmungen vor. Unser Gehirn liebt es, etwas geschafft zu haben!

„Bei manchen Menschen kommt auch alles zusammen: Melancholie, unsicherer Job und Stress in der Beziehung. Wenn alle Lebensbereiche so wackeln, ist die Gefahr groß, in eine Depression zu rutschen“, erklärt Dr. Christiane Zander-Wandmacher, stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbands der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) Nordrhein und Internistin mit Schwerpunkt auf Psychotherapie in Bonn.

Ewige Verlängerung des Lockdowns wirkt zermürbend

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Neben der Angst um Job und Gesundheit tun uns auch die ständig verlängerten Einschränkungen nicht gut. Der zweite Lockdown war Anfang November auf vier Wochen angelegt, jetzt sind fast vier Monate daraus geworden. Ein Ende ist nicht in Sicht. Was macht das mit den Menschen? „Aus meiner Sicht hat das etwas Zermürbendes. Man kann immer weniger Kraft aufbringen, um auf die Ressourcen zurückzugreifen. Kraft, um trotzdem Sport zu machen oder sich zu überlegen, mit wem man gerne telefonieren oder skypen würde. Das aktiv anzupacken, was noch schön ist, wird immer schwieriger“, sagt Erika Schneider-Kertz. Und weiter: „Wenn es wenigstens eine Aussicht auf ein Ende gäbe, wäre es vielleicht einfacher. Aber uns ist ja allen klar, dass es noch dauern wird.“