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Rheinland für EntdeckerMärchenhafte Schlösser und Nachkriegsschick am Niederrhein

Lesezeit 7 Minuten

Malerisch gelegen: Schloss Rheydt. 

Prächtiger Pfau vor malerischer Schlosskulisse, Rad- und Wanderwege in allen Schattierungen von Grün, die geometrische Strenge eines Nachkriegs-Kaufhauses, ein kunstvoll verschnörkeltes, goldüberzogenes Salzgefäß aus dem 17. Jahrhundert – Schönheit ist individuell. Ein Ausflug mit dem Auto oder per Fahrrad zu den Schlössern Rheydt, Wickrath und Dyck sowie in die Innenstadt von Mönchengladbach-Rheydt bietet entsprechend unterschiedliche Facetten – es wird eine kurzweilige Zeitreise, die mit einem Theaterbesuch, einem Kneipenbummel oder einem Abendessen in einem Restaurant abgeschlossen werden kann.

Das Renaissance-Schloss Rheydt, auch durch seine 20 frei umherlaufenden Pfauen bekannt, wäre beinahe zur Ruine verfallen; die nahe Rheydter Innenstadt wurde im Zweiten Weltkrieg durch Luftangriffe zu einer grauen Trümmerwüste. Bürger sammelten von 1988 bis 1997 umgerechnet knapp eine Million Euro als finanzielle Grundlage, um die marode Schlossanlage doch noch zu retten. Die Stadt selbst hatte kein Geld für die Sanierung, die mehr als zwölf Millionen Euro kosten sollte. Um eine attraktive Rheydter City kämpfen die Bürger und Kommunalpolitiker zurzeit. Der erste Erfolg: Sie ist als denkmalgeschützt anerkannt worden, was Hauseigentümer und Gastronomen in die Pflicht nimmt.

Abstecher nach Liedberg

Die Bildungsreise in Sachen Stadtgeschichte und Architektur startet von außerhalb und führt dann in die Stadt, empfiehlt Ulrich Elsen, seit 1989 im Stadtrat und seit 2014 Mönchengladbachs Zweiter Bürgermeister. „Ich würde noch Liedberg im Kreis Neuss einbinden. Das Pfadfindergrab am Liedberger Schloss war für mich als Kind ein magischer Ort. Und dann kann man im Restaurant von Schloss Rheydt die erste Kaffeepause machen.“

Bürgermeister Ulrich Elsen 

Das historische Liedberg, an der Bundesstraße 230 auf einer Quarzit-Kuppe gelegen und zum Rhein-Kreis Neuss gehörend, ist mit seinen Fachwerkhäusern, einer Kirche und dem Mühlenturm einen Abstecher wert, auch wenn das Schloss in Privatbesitz und damit öffentlich nicht zugänglich ist. Unmittelbar vor dem Gebäude, 1166 erstmals in Dokumenten erwähnt, führt ein Pfad nach links in eine Senke. Dort wurden am 22. Juni 1930 drei Jungen aus Düsseldorf in einem Felsenkeller vom lockeren Quarzsand verschüttet. Ein Denkmal erinnert daran. Biegt man kurz vor der Unglücksstelle an der Weggabelung nach rechts ab, eröffnen sich reizvolle Ausblicke in die Landschaft.

Renaissance am Niederrhein

Schloss Dyck liegt nur knapp vier Kilometer entfernt, Schloss Rheydt etwas mehr als sechs und Schloss Wickrath rund zwölf. Daraus lässt sich eine attraktive Fahrradrundstrecke zusammenstellen. Das Schloss Rheydt ist allerdings für einen nur kurzen Zwischenstopp zu schade: Es gehört zu den wenigen erhaltenen deutschen Schlössern aus der Renaissance-Zeit, die Vorgängerbauten stammen aus dem Mittelalter. Im Städtischen Museum kann man Stunden verbringen, zum Beispiel in der „Wunderkammer“, einer einzigartigen Sammlung von Objekten, die die Denkweise der Menschen in der Renaissance und des Barock erklären. So zeigt der Museumspädagoge Klaus Möhlenkamp den aus den Harry-Potter-Büchern bekannten „Stein der Weisen“: „Es handelt sich in Wirklichkeit um eine Versteinerung aus dem Magen einer Ziege, der man besondere heilsame Wirkung zuschrieb. Deshalb wurden sogar Fälschungen aus Kuhmägen verkauft.“

Schloss Wickrath ist nur von außen zu besichtigen, Drinnen gibt es Ställe und Wohnungen.

Unter einer Hördusche erfährt der Besucher über Lautsprecher, dass Fußball in Japan erst durch deutsche Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg eingeführt worden ist. Zur legendären Elf von Ninoshima gehörte 1916 ein Spieler aus dem heutigen Mönchengladbach. Im Rittersaal verwirren zwei Gemälde der Reichsfreiherren Wilhelm und Otto von Quadt den kundigen Betrachter. Sie waren nämlich einst die Herren von Schloss Wickrath. „Die Bilder sind hier aber sicherer verwahrt“, erläutert Möhlenkamp. Das Wasserschloss Wickrath im Süden Mönchengladbachs ist seit der Gartenschau Euroga 2002 bekannt. Die Gebäude wurden im historischen Ochsenblut-Rot neu gestrichen, die sehens- und erwandernswerten barocken Außenanlagen saniert.

Furchtbar geometrisch

Wer hier nicht bleiben will, den führt – nur fünf Kilometer weiter – auf dem Rheydter Marktplatz eine Zeitreise in die Fünfziger Jahre. „Der Stadtplaner Alfons Leitl und sein Team haben 1947 die Chance genutzt, die zu mehr als 90 Prozent zerstörte Innenstadt neu entstehen zu lassen“, sagt Ulrich Elsen. „Leitl setzte in der Architektur auf eine streng geometrische Anordnung. Wer Fachwerkidylle zum Maßstab nimmt, findet die Stadt furchtbar. Die Schönheit der klaren Linien erschließt sich nicht auf den ersten Blick.“

Leitls Architektur ist an der Hauptstraße besonders gut zu erkennen: „Die vor- und zurückspringende Häuserzeile hat ihren eigenen Reiz und wird als Kammbebauung bezeichnet“, sagt der Bürgermeister. Beinahe sei Leitls Idee auch das prächtige Rathaus zum Opfer gefallen, weil es zur Nüchternheit der Nachkriegsarchitektur nicht passte. „Rheydter Bürger haben sich dagegen erfolgreich gewehrt“, sagt Elsen.

Geometrischer Nachkriegsschick aus Mönchengladbach

Mönchengladbach und Rheydt, das waren vor der kommunalen Neuordnung 1974 zwei selbstständige Städte. Daraus resultierende Kuriositäten sind zwei Hauptbahnhöfe und zwei Citys – und die Trennung in den Köpfen mancher Alteingesessenen. Gleich zwei Innenstädte nebeneinander verschärften mutmaßlich die Probleme in Rheydt – wie den Leerstand der Ladenlokale. So ist das Kino „Atlantis“ längst untergegangen. „Aber an der Nordseite des Marktplatzes gibt es die Evangelische Hauptkirche von 1902. Und das nostalgische Eiscafé Sagui kann ich nur empfehlen.“

Rheydt und Alt-Mönchengladbach verbindet eine Straße, die vor allem für Fahrradfahrer interessant ist. Ulrich Elsen: „Die Allee ist eine wunderschöne Straße. Sie zeugt von seinerzeitigen Selbstbewusstsein der Rheydter Bürgerschaft und setzt damit den schon am Rathaus erkennbaren Repräsentationswillen im weiteren Stadtbild fort.“

Adressen, Infos und noch mehr Tipps für Schlösser-Fans

Wasserschloss Dyck, 41363 Jüchen; Telefon: 021 82 82 40.

Geöffnet: Di bis So 10 bis 18 Uhr. Tagesticket: 9,50 Euro, erm.: 1,50 Euro, Kinder unter 7 Jahren frei.

www.stiftung-schloss-dyck.de

Schloss Rheydt, Schlossstraße 508, 41238 Mönchengladbach. Telefon: 02166 928900. Geöffnet: Di bis Fr, elf bis 17 Uhr; Sa und So 11-18 Uhr. Museum: 6 Euro, Familienticket 12 Euro.

www.schlossrheydt.de

Weitere Tipps für Schlösser-Fans

Wer das Wasserschloss Dyck bei Jüchen als Ziel wählt, der findet in der Anlage mit Vorburgen und ihrem englischen Landschaftsgarten ein sehr breites Angebot für Familien, Gartenfreunde und kulturell Interessierte, durch das man nicht hetzen sollte. Zwei Dauerausstellungen laden ein zur Zeitreise ins 17. bis 19. Jahrhundert. Den Erwachsenen werden unterschiedliche Führungen angeboten; zur offenen Führung kann man sich um 14 Uhr an der Kasse melden.

Übernachten: Schloss Dyck hat auch ein Hotel.

Tipps für Kinder: Sie können das „Grüne Klassenzimmer“ besuchen, Geburtstage feiern, Apfelsaft pressen oder auf den Spuren Harry Potters unterwegs sein. Gespensterjagd, Töpferkurs und Feste feiern wie eine Prinzessin oder ein Ritter – ausgesprochen kinderfreundlich sind auch das Schloss Rheydt und das Städtische Museum. Kindergeburtstage sind hier sehr begehrt. Fast jeden Tag findet ein Fest statt.

Schloss Rheydt: Über aktuelle Veranstaltungen wie das Ritterfest, die Sommermusik auf der Turnierwiese oder den Töpfermarkt im Schloss informiert auch die städtische Marketinggesellschaft. Der Besuch der Parkanlagen ist frei.

Für Aktive: Ein Tipp für Autofahrer, die mit dem Rad weiterfahren wollen, aber keines dabei haben: Im Restaurant „Purino“ des Schlosses, wo man sehr schön auf der Terrasse mit Blick auf den malerischen Schlossgraben sitzt, sind Räder auszuleihen (drei Stunden kosten vier Euro, der ganze Tag zwölf).

Der Foto-Tipp: Durch den zweiten Torbogen gehen, auf die prächtigen Pfauen warten, die vielleicht sogar das Rad schlagen, und sie dabei vor dem Hintergrund des Herrenhauses aufnehmen.

Das Schloss Wickrath ist nur von außen zu besichtigen. Hier residiert das Rheinische Pferdestammbuch. Die Zuchtorganisation war 1892 in Wickrath gegründet worden und hat 2002 seinen Sitz von Bonn nach Mönchengladbach zurückverlegt. Seitdem wird der Ostflügel wieder als Pferdestall genutzt, der Westflügel enthält Wohnungen. Die Gastronomie (Tel.: 02166 / 846063) ist dienstags von 14 bis 18 Uhr und mittwochs bis sonntags ab 11 Uhr geöffnet.

www.pferdezucht-rheinland.de

www.wickrather-schloss.de

Im Zentrum von Rheydt ist die Auswahl an Restaurants groß. Der historische Ratskeller bietet rheinische Geselligkeit. Es gibt: Alt, Kölsch und Ueriges. Eintopf, Schnibbelkuchen oder Sauerbraten. Montag ist Ruhetag, sonst ab 17 Uhr geöffnet, Mittwoch, Samstag und Sonntag auch von 11 bis 15 Uhr. Telefon: 02166 / 99 800 74.