Am Kyllradweg bemalen Jennifer Finke und Monica Breuer Betonelemente, die dort vor Jahrzehnten abgestellt wurden.
AusflugstippKronenburg hat jetzt eine Freiluftgalerie am Kyllradweg
Vor Jahrzehnten wurden 23 tonnenschwere Betonelemente nahe des ehemaligen Kronenburger Bahnhofs abgestellt. Jetzt werden sie zur spannenden Freilichtgalerie. So nennen die Künstlerinnen Monica Breuer und Jennifer Finke ihr Open-Air-Projekt: Sie malen die Innenwände der in dichter Doppelreihe stehenden Hohlformen aus. Durch die wurde vor fast 50 Jahren die Kyll umgeleitet, während die Staumauer des Kronenburger Sees gebaut wurde.
„Betonteile, kostenlos abzugeben.“ Viele Jahre hatte die Gemeinde Dahlem versucht, die Elemente loszuwerden. Doch keiner wollte sie haben. Die voluminösen Hohlquader wucherten über die Jahrzehnte zu, die Natur nahm sich ihren Platz um die Fremdkörper einfach zurück.
Corona verzögerte Kunst-Projekt in Kronenburg
„Ich hatte vor fünf Jahren zum ersten Mal die Idee, die Formen auszumalen“, erinnert sich die unweit lebende Monica Breuer. Corona kam dazwischen, doch Ende 2023 besichtigte sie mit Künstlerfreundin Jennifer Finke, die in Leverkusen und Kronenburg lebt, die auf 60 Meter in Doppelreihe aufgestellten Betonformen. Was könnte man aus den jeweils 2,40 Meter hohen, 2,30 Meter breiten und rund zwei Meter tiefen Elementen machen? Es geht – theoretisch – um bis zu 92 Innenwände.
Am 3. Januar kam es zum entscheidenden Telefonat mit Bürgermeister Jan Lembach. „Er fand die Idee gut“, erinnert sich Monica Breuer und grinst: Wenn man schon sonst nichts mit dem Betonmüll machen kann.
Seit April arbeiten die Künstlerinnen an Freilichtgalerie in Kronenburg
Am 6. April machten sich Breuer und Finke an die Arbeit. Sie teilten sich auf: Fünf doppelte Quader und einen einzelnen will Breuer gestalten. In der Mitte bleiben zwei Formen frei, die gerade als Küche genutzt werden: Tisch, Stühle, Thermoskanne, Materiallager befinden sich hier. Dann folgen fünf Doppelformen für Jennifer Finke. Sitzbänke, Fahrradständer und Mülleimer fehlen noch, Flyer sind gerade frisch gedruckt. Eine Beschilderung zum eher abgelegenen Kunstareal am Ortsrand von Kronenburgerhütte, unmittelbar am Kyllradweg, wäre wünschenswert.
Zunächst wurde die Fläche freigeschnitten. Der Boden unter der Grasnarbe ist dicht durchwurzelt, die bodennah abgeschnittenen Wurzelstümpfe haben Breuer und Finke deshalb farbig gekennzeichnet, um auf mögliche Stolperfallen hinzuweisen. Die beiden arbeiten in einer Welt, in der die Natur sich ihr Reich zurückerobert hat.
In den gut zehn Zentimeter breiten Spalten der Übergänge von der vorderen zur hinteren Reihe der Formteile sind in fast 50 Jahren Bäume gewachsen: Ahorn, Holunder, Esche, Pappel, Haselnuss. Manchmal suchten die Äste den direkten Weg zwischen den Decken hoch ins Licht, manchmal wuchs ein Seitenast im Bogen nach vorne in Richtung Radweg. Finke und Breuer haben das gleich als Teil eines Kunst-Natur-Dialogs verstanden: Betonmüll wird grün.
Radfahrer und Spaziergänger können bei Galerie-Entstehung zu sehen
„Ich male zum ersten Mal in einem Open-Air-Atelier, das war zu Beginn schon seltsam“, erinnert sich Jennifer Finke, die wie Monica Breuer jede freie Minute zur Arbeit an der Freilichtgalerie nutzt. Sie habe zuerst überlegt, einen Vorhang als Sichtschutz während der Arbeit zu nutzen. Doch was ist schon dabei, wenn Radfahrer oder Spaziergänger ihnen bei der Umgestaltung des „Betonmülls“ zusehen und Fragen stellen? Das motiviere eher, stellen Finke und Breuer mittlerweile fest.
Eine andere Frage war die, welche Farben für den glatten Beton geeignet sind. Normale, witterungsbeständige und lichtfeste Acrylfarbe jedenfalls nicht: Der Beton saugt die Feuchtigkeit schnell auf. Da kam die Spende eines Farbenhändlers aus Stadtkyll gerade recht: Er versorgte die Künstlerinnen mit Abtön-Fassadenfarben und tiefgründigen für den Voranstrich. „Beton ist unsere Leinwand“, sagt Monica Breuer. Und auch die wird in aller Regel erst grundiert, bevor sie bemalt wird.
Eifeler Künstlerinnen lassen sich von Umwelt inspirieren
Der größte Schritt war und ist der Eingriff der Kreativen in das Beton-Biotop. Das ist den Frauen bewusst. Während sie erzählen, kringelt sich eine silbrig-graue Blindschleiche in einer Ecke. Monica Breuer erlebte diese Welt gleich an einem der ersten Tage: „Vor der Schwelle saß eine große Kröte, die sofort unter der Bodenplatte verschwand. Sie scheint hier zu leben.“ Also gestaltete sie eine Wand dieses Kästchens, wie sie die Formteile nennt, mit einer überdimensionalen, goldenen Aztekenkröte.
Das Bild erinnere sie zudem an ihre zweijährige Malausbildung in Kolumbien. Weil hier aber nicht Südamerika, sondern die Eifel ist, hat sie auf einer hinteren Wand einen grünen Laubfrosch verewigt. Genauer einen Froschkönig samt Aufforderung: „Kiss me!“
„Dornröschen“ schläft in der Burgturmkemenate, ein Sonnenstrahl fällt durchs Fenster auf die Märchengestalt, deren Gemach von Dornen eingehegt und versperrt ist. Monica Breuer hat eine Wand im Schatten der angrenzenden Sträucher und Bäume zur Märchenszene im Großformat ausgemalt. Dornen wachsen auch ganz real um die Form herum. Das und die geheimnisvolle Halbschattenatmosphäre dieser Betonform habe sie inspiriert.
Vergleichbare Anregungen findet sie auch für andere Kästchen: Das 100-jährige Bestehen der Feuerwehr in Kronenburg etwa ist thematisiert. Im „Meer“ hat sie nicht nur Seitenwände, sondern auch Boden und Decke gestaltet: Links das wilde Meer mit Wellengang und Feuer speienden Vulkan, rechts das stille Meer mit Papierschiffchen und Offshore-Windkraftanlagen, an der Decke der blau-weiße Himmel samt Möwen, auf dem Boden der Grund, an dem „Arielle, die Meerjungfrau“ einsam ihre Kreise zieht. Und da man alle Kunst-Würfel betreten kann, ist man flugs in einer Art immersiven Kunstraum gelandet.
Ein Porträt von Salvador Dalí kann man in Kronenburg bestaunen
Eine andere Doppelwand widmet Breuer der Geschichte der Betonformen selbst. Ein unter Betonputz versteckter, in den Zwischenraum gerammter Keil verbindet die beiden „Leinwände“: Dargestellt sind die eng hintereinander gestellten Teile, durch die die Kyll umgeleitet wurde.
Jennifer Finke geht stilistisch andere Wege. Wo Breuer anekdotenreich ihre Bilderzählungen entwickelt, ist Finke eher auf eine auch formal reduzierte Aussage konzentriert. „Ich betrete eines meiner Abteile und lasse das auf mich zukommen. Der Stil entwickelt sich aus dem Thema“, so Finke. Etwa „Surrealismus“: Spöttisch-neugierig schaut da ein übergroßer Salvador Dalí aus dem Betonbild heraus, exakt nach einem bekannten Foto des Künstlers abgemalt, nur die Gesichtsfarben sind grell und bunt.
Nebenan will Finke den Kleinsten eine große Bühne geben: Libelle, Ameise, Wespe und die gereckten Fühler einer Riesenschnecke starren aus dem Wandbild. „Hier war wirklich immer eine Schnecke“, so Finke. Also hat sie dem Tierchen eine ganze Wand gewidmet. Andernorts waren es wiederum drei Mäuse, die sich an die Künstlerin gewöhnt hatten. Sie hatten vermutlich im Mauerwerk der einstigen Verladerampe für den Güterverkehr des Bahnhofs ihre Gänge und Nester, glaubt Finke.
Künstlerin bindet Graffito in Freiluftgalerie ein
Das Abteil, das vermutlich besonders bei jungen Besuchern beliebt sein wird, ist mit einem bunt wimmelnden Monster-Klassentreffen bevölkert: einäugige, freundlich dreinschauende, karottenähnliche Wesen unter den verrücktesten Frisuren. Auf der Wand daneben hat Finke einen Wald mit skurrilen Fantasiebäumen entworfen, in friedlicher Eintracht zu sehen sind Fuchs, Igel und Eichhörnchen. Aus dem Mittelspalt dieser besonderen Kinderwelt hat sich ein kräftiger Haselnussbaum den Weg gebahnt, ein Ast kann als Sitzbank für die kleinen Kunstfreunde dienen.
Ob der legendäre Apfelschuss aus Wilhelm Tell, der an die Freilichtaufführung des Schiller-Dramas vor mehr als 100 Jahren auf dem Burgring von Kronenburg erinnert, ob eine Spiegelung einer Eifelmaler-Ansicht von Kronenburg in den Sonnengläsern einer blonden Pop-Art-Schönheit, oder „Mutter Natur“, die sich aus ihrer zerstörten Umwelt befreien will wie aus einem Pullover, ob „Supermann und Pixelfrau“: Die Freilichtgalerie ist eine Überraschungsreise in 23 Kisten.
Auch ein Unbekannter hat sich verewigt: „Chill“ steht auf einer Wand, in schwarz gesprayt. Den Schriftzug hat Finke stehen lassen, aber die schwungvollen Linien umfunktioniert: Jetzt dienen sie einem Kletterer als Steig, einem Skater als Sprungrampe, oder als Haken für den Korb eines Basketballers. So hat diese Galerie, die zugleich eine Kunstinstallation im Dialog aus Betonobjekten und deren kreativer Umwandlung ist, schon ihre eigene Kunstgeschichte.
Die Freilichtgalerie am Kyllradweg ist am Ortsrand von Kronenburgerhütte, Neuer Weg, neben dem ehemaligen Bahnhof zu finden. Wegweiser werden noch erstellt, derzeit ist das Gelände über die Ausschilderung „Parkplatz Kyllradweg“ erreichbar. Bei den Kunst- und Kulturtagen, 6. bis 11. August, sind Hintergründe, Geschichte, Originalskizzen und mehr im Haus Jovy zu sehen.