Es gibt immer noch viele Gründe, warum Millionen Türken zu Erdogan stehen. Wir blicken auf fünf davon.
Rundschau-Debatte des TagesFünf Gründe, warum Erdogan immer noch punkten kann
Trotz schwerer Probleme im Land halten Millionen türkischer Bürgerinnen und Bürger weiterhin zu ihrem Präsidenten. Dass er die Wahlen am 14. Mai verlieren wird, ist keineswegs ausgemacht..
Die AKP
Die 2001 von Erdogan gegründete Regierungspartei hat nach offiziellen Angaben rund elf Millionen Mitglieder und ist mit Abstand die stärkste politische Kraft in der Türkei. Das heißt, dass fast jeder sechste der 64 Millionen Wähler des Landes Mitglied der AKP ist. Rechnet man die Familien der AKP-Mitglieder hinzu, verbreitert sich die Basis für die Regierungspartei noch weiter. Erdogan verfügt damit über eine Stammwählerschaft, die für andere Parteien unerreichbar ist. Die zweitstärkste Partei, die oppositionelle CHP von Präsidentschaftskandidat Kemal Kilicdaroglu, hat knapp 1,4 Millionen Mitglieder. Alle anderen Parteien liegen unter der Millionengrenze.
Der Marsch durch die Institutionen
Erdogan hat die AKP zu einer Staatspartei gemacht. Ihre Gefolgsleute sitzen in Bürokratie, Justiz und Medien, was sich im Wahlkampf bemerkbar macht. Provinz- und Stadtverwaltungen stellen öffentliche Ressourcen wie Busse für AKP-Veranstaltungen zur Verfügung oder verpflichten ihre Beamten und Angestellten, an AKP-Kundgebungen teilzunehmen. Der auf dem Papier unabhängige staatliche Fernsehsender TRT widmete Erdogan im April fast 33 Stunden Sendezeit – sein Herausforderer Kilicdaroglu kam auf 32 Minuten. Hohe Posten im Staatsapparat sind für Bewerber ohne Mitgliedschaft in der AKP oder enge Beziehungen zur Regierung kaum zu erreichen. Regierungsnahe Konzerne verdienen an öffentlichen Ausschreibungen.
Die Wahlgeschenke
Weil Erdogan im türkischen Präsidialsystem die öffentlichen Finanzen kontrolliert, kann er nach Belieben teure Wahlgeschenke verteilen. Im Wahlkampf erhöhte er bisher den Mindestlohn und kündigte eine weitere Anhebung nach der Wahl an, senkte das Rentenalter für Millionen Türken und kappte die Gaspreise für Privathaushalte. Den Umfragen zufolge zahlt sich das für Erdogan aus.
Der Erdogan-Faktor
Der 69-jährige Staatspräsident wird von vielen seiner Anhänger regelrecht vergöttert. Sie nennen ihn „Chef“ und verehren ihn, weil er die Türkei in den frühen 2000er Jahren aus einer tiefen Wirtschaftskrise führte und in den Jahren darauf das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst abschaffte und den politischen Einfluss der Militärs beendete. Auch nach mehr als 20 Jahren an der Macht versteht es Erdogan, sich als Mann von der Straße zu präsentieren. Zu seiner zentralen Wahlkundgebung in Istanbul kamen am vorigen Wochenende hunderttausende Menschen. Erdogan ist ein glänzender Redner mit einem feinen Gespür für die Stimmung im Volk und polarisiert die Gesellschaft, um seine Anhänger zu motivieren. Im Wahlkampf wirft Erdogan der Opposition vor, mit der kurdischen Terrororganisation PKK gemeinsame Sache zu machen und dem Westen zu dienen.
Das „Jahrhundert der Türkei“
Die Vision von einer starken Türkei, die mit Weltmächten wie China, Russland oder den USA auf Augenhöhe ist, bildet den Kern von Erdogans Wahlkampf. Er präsentiert Drohnen, Kriegsschiffe und Elektroautos aus türkischer Produktion sowie neu entdeckte Erdgas- und Ölvorkommen als Grundlagen für ein „Jahrhundert der Türkei“ – und sich selbst als den Mann, der das Land in diese goldene Zukunft führen kann. Der Präsident kann damit von der schlechten Wirtschaftslage ablenken. Die Taktik funktioniere erstaunlich gut, sagt der Türkei-Experte Selim Koru. Erdogans Wähler wähnten sich in „der epischen Schlacht zwischen Gut und Böse“ auf der richtigen Seite, schrieb Koru in seinem Newsletter. „Das ist ein pure Dosis Nationalismus direkt in die Vene.“ Am Sonntag wird sich herausstellen, ob diese Dosis für Erdogan zum Sieg reicht.