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Rundschau-Debatte des TagesWarum steigt die Zahl der Verkehrsunfälle in NRW?

Lesezeit 4 Minuten
Ein Fahrradhelm liegt bei einer Verkehrsunfallaufnahme auf dem Boden.

Fast 500 Menschen starben im vergangenen Jahr auf den Straßen in Nordrhein-Westfalen. (Symbolbild)

Auf den Straßen des gesamten Bundeslands sind im vergangenen Jahr der offiziellen Statistik zufolge 485 Menschen gestorben. Und das, während die Fallzahlen deutschlandweit eher sinken. 

Motorradfahrer seien die „Sorgenkinder“ der diesjährigen Verkehrsunfallbilanz in Nordrhein-Westfalen, sagte Innenminister Herbert Reul am Montag bei der Vorstellung der Zahlen. Bei den Bikern herrsche nicht weniger als „Alarmstufe Rot“, stellte der CDU-Politiker fest. In Zahlen: 86 Motorradfahrer sind im vergangenen Jahr in NRW ums Leben gekommen – 28 mehr als 2023 und so viele wie seit fünf Jahren nicht mehr. Insgesamt waren es in NRW 485 Verkehrstote (+ 35). Kaum Trost spendet da die Tatsache, dass die Statistik weniger Verletzte (rund 78.500) aufwies.

„Hinter jedem Verkehrstoten steckt ein trauriges Schicksal“, betonte Reul. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) besorgt vor allem, dass sich die Zahl der Verkehrstoten in NRW gegen den eher positiven Bundestrend entwickelt hat. „35 Getötete mehr im vergangenen Jahr zeigen deutlich, dass NRW bei der Verkehrsüberwachung besser werden muss“, forderte GdP-Vize Jörg Brackmann. Zu hohe Geschwindigkeiten blieben die Verkehrsunfallursache Nummer eins. „Da müssen wir ansetzen, da tun wir im Moment zu wenig“, so Brackmann.

Motorräder

Reul legte derweil ein besonderes Augenmerk auf die verunglückten Motorradfahrer. Obwohl die FDP-Opposition im Landtag kritisierte, der Minister solle es nicht bei „moralischen Appellen“ belassen, scheint Risikominimierung hier tatsächlich auch eine Frage der Einsicht zu sein. In 51 von 86 Fällen waren die getöteten Motorradfahrer im vergangenen Jahr nämlich selbst die Unfallverursacher.

Überhöhte Geschwindigkeit und fehlender Abstand seien die Hauptursachen für Motorrad-Unfälle, erklärte Verkehrspolizistin Friederike Evers. Manche gefährdeten sich auch durch waghalsige Überholmanöver oder den Blick aufs Handy. „Viele dieser getöteten Motorradfahrer waren noch ganz jung, hatten ihr ganzes Leben noch vor sich“, beklagte Reul. Aber auch Wiedereinsteiger der Generation 50 plus überschätzten sich nicht selten. „Viele sagen: Das ist wie Radfahren, das verlernst Du nicht. Die Unfallzahlen zeigen aber, dass es nicht so ist“, konstatierte der Minister.

Neben dem Fahrsicherheitstraining, das die NRW-Polizei traditionell zu Beginn jeder Motorradsaison bewirbt, präsentierte Reul in diesem Jahr eine moderne Airbag-Weste. Das Oberkörperpolster bläst sich im Ernstfall auf wie eine Schwimmweste und kann einen Genickbruch verhindern. Kostenpunkt: rund 500 Euro.

E-Scooter

Kaum erfreulicher ist die Lage bei Unfällen mit E-Scootern. 2594 Verunglückte an Rhein und Ruhr standen zu Buche – ein Plus von 22 Prozent. 335 Schwerverletzte gab es, zudem acht Todesopfer. Im Vorjahr waren es noch vier Tote. Häufig sind die Nutzer der Leihgeräte selbst schuld an den Unfällen, weil sie alkoholisiert fahren oder die Verkehrsregeln grob missachten. 262 Unfallopfer waren unter 14 Jahre, obwohl sie in diesem Alter noch gar keine E-Scooter nutzen dürfen. „Sagen Sie dem Nachwuchs, wie gefährlich das ist. E-Scooter sind keine Spielgeräte“, appellierte Reul an die Eltern.

Illegale Autorennen

Ein Dauerproblem bleiben in NRW illegale Autorennen. Die Polizei registrierte im vergangenen Jahr 2270 solcher Rennen, wovon 578 Unfälle nach sich zogen. 15 Menschen sind dabei gestorben – ein trauriger Spitzenwert. Die leichtsinnigen Piloten sind im Schnitt 26 Jahre alt. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Einstufung illegaler Autorennen als Straftatbestand vor knapp acht Jahren keine sonderlich große Abschreckungswirkung gehabt hat.

Reul machte dagegen eine andere Rechnung auf: „Die Polizei ist im Erkennen der Rennen besser geworden. Auch das führt natürlich zu steigenden Zahlen.“ Der Minister hielt ein Airbag-Steuergerät in die Höhe, das in Autos verbaut ist. Es zeichnet Daten auf, mit denen sich ein Unfall rekonstruieren lässt.

E-Bikes und Fahrräder

Eine gemischte Bilanz zeigt sich beim Radfahren. Bei Pedelecs steigen die Unfallzahlen weiter an, was auch mit gestiegenen Nutzerzahlen zu tun haben dürfte. Im vergangenen Jahr kam es zu rund 7200 Unfällen, was ein sattes Plus von 400 bedeutet. 43 Pedelec-Fahrer wurden getötet (plus 3). Es geht längst nicht mehr allein um übermütige Senioren, die vom Tempo der elektrisch unterstützten Räder überrascht werden. Auch die Zahl der verunglückten Jüngeren nimmt zu.

Bei Radfahrern, die sich allein auf ihre Muskelkraft verlassen, hat sich die Lage dagegen entspannt: Rund 13.400 Unfälle mit Radfahrern bedeuteten einen spürbaren Rückgang von 1000 im Vorjahresvergleich. Neben den Fußgängern, die ebenfalls seltener in Unfälle verwickelt wurden, sind die Radfahrer somit die Gewinner der Jahresbilanz.

Prävention

Die Präventionsarbeit im Verkehrssektor bleibt ein mühevolles Geschäft. Obwohl die Autos immer robuster werden und moderne elektronische Assistenzsysteme allerlei Unaufmerksamkeiten auffangen können, bleiben die Unfallzahlen in NRW erschreckend hoch. Verkehrspolizistin Evers erklärt sich das so: „Jeder geht von sich erstmal davon aus: Ich bin ein guter Fahrer, mir passiert nichts, ich habe ein super Auto und das ist total sicher. Man muss in die Köpfe der Menschen kommen.“