Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Rundschau-Debatte des TagesRückt ein Frieden für die Ukraine wirklich näher?

Lesezeit 5 Minuten
Am Verhandlungstisch in Dschidda.

Am Verhandlungstisch in Dschidda.

In Dschidda ringen die USA dem angegriffenen Land die Bereitschaft zu einer befristeten Waffenruhe ab. Unter enormem Druck stimmt Kiew auch einem Einfrieren der Front zu. Allerdings muss Russland der Vereinbarung erst noch beipflichten.

Nach Marathonverhandlungen in Saudi-Arabien haben Kiew und Washington auf dem Weg zu einem möglichen Frieden vorgelegt. Die Ukraine hat ihre grundsätzliche Zustimmung zu einer von den USA forcierten Waffenruhe gegeben. Das Ergebnis wurde international mit Erleichterung aufgenommen, nachdem sich die Beziehungen zwischen der Ukraine und ihrem wichtigsten Verbündeten nach einem Eklat zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus zuvor massiv verschlechtert hatten. Beide Seiten sprachen nach Verhandlungsende von einem Kompromiss und gar einem Durchbruch. Eine anschließend veröffentlichte gemeinsame Erklärung gab erste Einblicke in die Vereinbarungen. Washington und Kiew waren sich vor allem in einem einig: Jetzt ist Moskau am Zug.

Was wurde in Dschidda zwischen den USA und der Ukraine vereinbart?

Die ukrainische Seite gab bei den Gesprächen mehrere Positionen auf. Der von den europäischen Partnern unterstützte Vorschlag einer zunächst begrenzten Waffenruhe in der Luft und zur See wurde verworfen. Kiew erklärte sich zu einer auf 30 Tage befristeten umfassenden Feuerpause bereit. Die ukrainische Seite verzichtete auch auf die Vorbedingung, dass vor einer Einstellung des Feuers bereits Sicherheitsgarantien gewährt werden sollen. Im Gegenzug nahmen die USA ihre Waffenlieferungen wieder auf und stimmten auch der zuvor eingestellten Weitergabe von Geheimdienstdaten zu.

Welche Konzessionen hat die Ukraine dabei gemacht?

Kiew räumt zwar ein, dass das Eingehen auf die US-Forderung nach einer kompletten Waffenruhe ein Kompromiss ist, redet aber nicht von Zugeständnissen. In der gemeinsamen Erklärung wird das lang diskutierte Rohstoffabkommen, dessen Unterzeichnung in Washington scheiterte, in einem eigenen Absatz erwähnt. Äußerungen der US-Seite lassen den Schluss zu, dass das bisher bekannte Dokument noch einmal überarbeitet werden oder der Folgevertrag die von Trump ursprünglich vorgebrachten Forderungen stärker berücksichtigen könnte. Der sich auf dem Schlachtfeld aktuell abzeichnende Rückzug der Ukrainer aus dem russischen Gebiet Kursk findet zwar unter starkem Druck der russischen Armee statt. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass dies Teil der Vereinbarung zwischen den USA und der Ukraine sein könnte, um Moskau gesprächsbereiter zu machen.

Wie reagiert Russland auf die Vereinbarungen von Dschidda?

Moskau reagierte zunächst zurückhaltend. Der Kreml warte auf „Details“ von den USA, hieß es. „Wir haben in diesen Tagen auch Kontakte mit den Amerikanern geplant, bei denen wir erwarten, vollständige Informationen zu erhalten“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow . Erst nach einem Studium der Vorschläge werde es eine Antwort geben. Außenminister Sergej Lawrow ließ parallel dazu durchblicken, dass Moskau bei den Friedensverhandlungen bei seinen Maximalforderungen bleiben wolle. Er sehe nur wenig Raum für Kompromisse. „Es geht hier nicht um Territorien, sondern um Menschen, denen ihre Geschichte mittels Gesetzen genommen wurde“, sagte der russische Chefdiplomat, womit er ukrainische Gesetze meint, die nach Darstellung Moskaus die russischsprachige Bevölkerung der Ukraine diskriminieren.

Welche Vorbehalte gibt es gegen eine umfassende Waffenruhe?

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach sich zunächst für einen Verzicht auf Luftschläge und Seeangriffe aus, da das leichter zu überwachen sei. Kiew übernahm diese Argumentation und bestand dabei auf der Gewährung von Sicherheitsgarantien. Vorher kritisierten sowohl Moskau als auch Kiew eingebrachte Vorschläge für Feuerpausen unter Verweis auf die Erfahrungen zwischen 2014 und 2022 in der Ostukraine. Die damaligen Vereinbarungen wurden immer wieder gebrochen.

Eine effektive Überwachung entlang der damals wesentlich kürzeren Frontlinie zwischen ukrainischen Truppen und den von Moskau unterstützten Separatisten war trotz des Einsatzes einer Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nicht möglich. Beide Kriegsparteien sprachen sich auch bisher gegen eine Waffenruhe ohne umfassende Friedensvereinbarung aus, da keine der beiden Seiten Interesse an einem bloßen Einfrieren des Krieges hat.

Welche Druckmittel haben die USA, falls Russland nicht mitspielt?

Kritiker bemängeln, dass die seit Beginn des Krieges vor drei Jahren immer wieder verschärften Sanktionen nichts gebracht hätten. Tatsächlich hat Russland nicht eingelenkt – und verzeichnete 2024 sogar ein auf der Rüstungsindustrie basierendes Wirtschaftswachstum. Allerdings haben die erst jüngst verhängten Maßnahmen gegen die Schattenflotte, die Moskau für seinen Rohstoffexport nutzt, Wirkung gezeigt. Eine Verschärfung – vor allem in der Umsetzung der schon verhängten Sanktionen – wäre für die seit dem Jahreswechsel stark abbremsende russische Wirtschaft schmerzhaft. Mit neuen Waffenlieferungen an die Ukraine könnten die USA zudem den Preis weiterer russischer Eroberungen in eine für den Kreml unannehmbare Höhe treiben. (dpa)


Tote bei Angriff auf Odessa – Russischer Vormarsch in Kursk

Ungeachtet der Verhandlungen in Dschidda gehen die Kämpfe in den Kriegsregionen unvermindert weiter. Bei einem russischen Raketenangriff auf die südukrainische Hafenstadt Odessa wurden Behördenangaben zufolge vier Menschen getötet und ein Frachtschiff beschädigt. Bei den Toten handele es sich um syrische Staatsbürger, erklärte der ukrainische Vize-Regierungschef Oleksij Kuleba. Der russische Angriff sei in der Nacht zum Mittwoch während der Beladung des Frachters mit Weizen erfolgt. Das Schiff sei rein zivil genutzt worden.

Die ukrainische Luftwaffe teilte mit, dass Russland die Ukraine in der Nacht insgesamt mit drei Raketen und 133 Drohnen angegriffen habe. 98 Drohnen seien abgeschossen worden. In der Heimatstadt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Krywyj Rih, wurde laut Behördenangaben eine 47-jährige Frau bei einem Raketenangriff getötet. Bei russischen Luftangriffen in der östlichen Region Donezk kamen drei weitere Menschen ums Leben.

Die russische Armee erklärte derweil, sie habe fünf Dörfer in der Region Kursk zurückerobert. Die Truppen rückten erfolgreich vor, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Staatsmedien berichteten sogar von einem Eindringen russischer Truppen nach Sudscha. Russische Medien veröffentlichten Videos, die zeigen sollen, wie Soldaten im Zentrum der Stadt Fahnen schwenkten. Sudscha stellt die wichtigste Position der ukrainischen Armee in der grenznahen Region dar – eine Rückeroberung durch Russland wäre ein herber Rückschlag. Am Dienstag hatte Moskau bereits Geländegewinne von „mehr als 100 Quadratkilometern“ vermeldet. (afp)