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Rundschau-Debatte des TagesDrehen nun auch die USA den Gashahn zu?

Lesezeit 5 Minuten
Auf einer Plattform am Pipeline-Verlegeschiff ·Castoro 10· vor Binz auf der Ostsee arbeiten Fachleute an der Verbindung zweier Leitungsstücke.

Vor der Küste des Ostseebades Binz auf Rügen arbeiten Verlegeschiffe an den Leitungen zum geplanten Flüssiggas-Terminal.

Der Bau neuer Terminals für den Flüssiggas-Export nach Europa wurde gestoppt. Die Energiewirtschaft befürchtet, Versorgungsengpässe in Deutschland.

Der Stopp des Baus neuer LNG-Terminals in den USA erfreut Klimaschützer. Aber er besorgt die deutsche Wirtschaft. Was steckt hinter der überraschenden Entscheidung von US-Präsident Joe Biden, den ehrgeizigen Ausbau der Flüssiggas-Infrastruktur in seinem Land vorerst auf Eis zu legen, und was sind die Folgen?

Was hat Biden in Sachen LNG-Exporte nach Europa getan?

Um die Flüssiggas-Ausfuhren nach Europa infolge des Stopps russischer Lieferungen auf Dauer zu sichern und weiter zu erhöhen, sollen in den USA neue LNG-Terminals gebaut werden. Deutsche Banken und Versorger wie EnBW wollen dafür Milliarden Euro investieren. Doch der US-Präsident hat am 26. Januar plötzlich „No!“ gesagt und ein Moratorium für den Terminal-Ausbau ausgerufen.

Gebaut und geliefert werden darf nur dann, wenn umfangreiche Klima- und Umweltprüfungen nachgeholt werden. Und das wird nicht leicht, denn das mit Fracking geförderte Schiefergas ist eine CO2- und Methan-Schleuder und heizt die Erderwärmung an. Außerdem werden durch den Bau neuer Terminals an der Küste am Golf von Mexiko gewaltige Umweltschäden angerichtet, wogegen sich immer mehr Betroffene zur Wehr setzen. Wie lange das Moratorium andauert, ist offen, aber mindestens bis zur US-Wahl im November. Sollte Joe Biden dann gegen Donald Trump gewinnen, könnte der LNG-Ausbau auf Dauer gestoppt werden.

Warum ist der Stopp des LNG-Ausbaus für Deutschland wichtig?

Deutschland bezieht gewaltige Mengen Flüssiggas aus den USA, um seinen Energiehunger nach dem Stopp der russischen Gaslieferungen zu stillen. 83 Prozent der LNG-Importe kommen von dort, das sind schon jetzt immerhin sieben Prozent des gesamten hiesigen Gasverbrauchs, heißt es beim Bundesverband der Deutschen der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) auf Nachfrage.

Und wenn bald weniger statt mehr importiert wird, kann das nicht nur die Preise hochtreiben. Es kann auch zum Problem für die Auslastung der im Eiltempo hochgezogenen LNG-Terminals an Deutschlands Küsten werden. Aktuell sehe man aber noch „keine direkten Auswirkungen des Genehmigungsstopps für neue LNG-Exportprojekte auf den Markt“, sagte BDEW-Chefin Kerstin Andreae unserer Redaktion. Die Preise seien in den vergangenen Tagen stabil geblieben. Auch die Gasversorgung sei sicher. Die Speicher sind schließlich voll.

Wird das Gas bei uns nach Bidens LNG-Moratorium teurer?

So richtig gelassen ist die Energiewirtschaft hierzulande jedenfalls nicht, denn: „Die LNG-Importe aus den USA bleiben für die Versorgungssicherheit Deutschlands und der EU wichtig“, betont Andreae. Ihr dringender Appell: „Deutschland und die USA sollten daher weiter gemeinsam an einem funktionierenden LNG-Markt und der Transformation der Energieversorgung arbeiten.“

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) weiß offenbar noch nicht so recht, was Bidens Entscheidung bedeutet. „Wir beobachten die Lage in den USA genau. Bewertungen können wir noch nicht vornehmen, da wir nicht spekulieren. Die Versorgungssicherheit besteht weiter“, heißt es auf Nachfrage aus seinem Ministerium.

Die Bundesnetzagentur in Bonn wird da schon etwas deutlicher: „Der ursprünglich geplante Ausbau weiterer LNG-Exportkapazitäten in den USA hätte zu einem höheren Angebot auf dem Weltmarkt geführt“, sagt ein Sprecher von Agentur-Präsident Klaus Müller. Und weiter: „Wie sich die Ankündigung der US-Regierung mittelfristig auf den Weltmarkt auswirkt, hängt davon ab, wie sich die Nachfrage – insbesondere in China und Asien insgesamt – entwickelt und wie andere Exportländer mit dem Ausbau ihrer LNG-Exportkapazitäten umgehen.“ Im Klartext: Höhere Preise sind keinesfalls auszuschließen.

Hat der Stopp des LNG-Ausbaus in den USA auch etwas Gutes?

Darauf hofft jedenfalls ein breites Bündnis von Natur- und Umweltschützern – und der Gemeinde des Ostseebades Binz auf Rügen. Dessen Bürgermeister Karsten Schneider schickte am Donnerstag gemeinsam mit den Chefs von Greenpeace, Deutscher Umwelthilfe, Naturschutzring, NABU, BUND und WWF einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Darin schreiben die Unterzeichner: „Herr Bundeskanzler, folgen Sie dem Vorbild von US-Präsident Biden: Sprechen Sie ein Moratorium für Bau und Genehmigung neuer LNG-Anlagen aus! Als erster wichtiger Schritt sollte dafür das besonders fragwürdige LNG-Terminal auf Rügen sofort gestoppt werden.“

Die Umweltverbände verlangen angesichts voller Gasspeicher und einer geringen Auslastung der neuen Terminals an der deutschen Küste von Scholz mehr Anstrengungen beim Klimaschutz. Konkret fordern sie, das LNG-Beschleunigungsgesetz auszusetzen und Umweltverträglichkeitsprüfungen wieder einzuführen. Zudem müsse die Alarmstufe des Notfallplans Gas zurückgenommen werden.

Wird der US-Präsident plötzlich zum Klimaschützer?

Die US-Regierung verkauft ihr LNG-Ausbaumoratorium natürlich mit Klima- und Umweltschutz-Argumenten. Nicht erst seit der Genehmigung gewaltiger Ölbohrungen in Alaska ist Biden bei denjenigen unten durch, die finden, auch die USA müssten endlich raus aus den fossilen Energien. Mit dem „No“ zu neuen Terminals will der US-Präsident sein Klimaschutz-Profil aufpolieren.

Aber natürlich nicht nur. Denn der Ausfuhr-Boom hat die heimische Chemie- und Stahlbranche inzwischen um einen Wettbewerbsvorteil gebracht. Sie würde das in den USA geförderte Fracking-Gas gern selbst nutzen, und zwar billig, anstatt alles nach Europa zu verkaufen. Der US-Verband der energieintensiven Industrien drängt deswegen schon länger auf Exportbeschränkungen für Erdgas.

Neben dem Klimaschutz dient Bidens Schritt also auch der eigenen Wirtschaft, gemäß der Devise seines Vorgängers und möglichen Nachfolgers: „America first“.


Zahlen

32 Vertreter der US-Öl- und Gasindustrie äußerten in einem offenen Brief ihre Besorgnis. Bei den Flüssiggasvorkommen der USA handele es sich um ein wichtiges geopolitisches Instrument, das dazu beitrage, Verbraucher vor zunehmender globaler Instabilität zu schützen und die Energiesicherheit wichtiger Verbündeter zu gewährleisten.

60 Abgeordnete des Europäischen Parlaments drückten wiederum in einem offenen Brief ihre Unterstützung für Bidens Pläne aus. „Europa sollte nicht als Vorwand für die Ausweitung der LNG-Exporte genutzt werden, die unser gemeinsames Klima gefährden“, hieß es darin. Europas Verbrauch an fossilem Gas werde bereits durch die aktuellen Importmengen gedeckt. (dpa)


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