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Rundschau-Debatte des TagesZwei Staaten – warum klappt das nicht?

Lesezeit 5 Minuten
Israeli soldiers work on an armored military vehicle along Israel's border with the Gaza Strip, in southern Israel, on Monday, Nov. 20, 2023. The Israeli military has deployed hundreds of thousands of troops in and around Gaza as it conducts a ground offensive against Hamas militants inside the territory. (AP Photo/Ohad Zwigenberg)

Israelische Soldaten entlang der Grenze zum Gaza-Streifen

Seit Jahrzehnten sind alle Lösungsansätze für den Nahost-Konflikt gescheitert. Jetzt ist ein Frieden zwischen Israelis und Palästinensern erst recht in weite Ferne gerückt. Trotzdem – oder gerade deshalb – gewinnt ein altes Modell derzeit neue Bedeutung.

Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern hat in diesem Jahr schon mehr Todesopfer gefordert als je zuvor in seiner Jahrzehnte alten Geschichte. Angesichts dieses katastrophalen Ausbruchs der Gewalt treten nun wieder Forderungen nach einer friedlichen Lösung des Konflikts in den Vordergrund.

Was hat es mit der Zwei-Staaten-Lösung auf sich, die nun wieder ins Spiel kommt?

Damit ist ein unabhängiger palästinensischer Staat gemeint, der friedlich Seite an Seite mit Israel lebt. Bundeskanzler Olaf Scholz verwies am Wochenende erneut auf diese Regelung und äußerte die Hoffnung, dass nach einem Sieg über die terroristische Hamas die Chancen auf eine friedliche Koexistenz zweier Staaten realistischer sein könnte als in den letzten Jahren.

Auch US-Präsident Joe Biden schrieb in einem Meinungsstück in der „Washington Post“: „Soviel ist klar: Eine Zwei-Staaten-Lösung ist der einzige Weg, um die langfristige Sicherheit sowohl des israelischen als auch des palästinensischen Volkes zu gewährleisten.“ Auch wenn es im Moment den Anschein habe, als sei diese Zukunft nie weiter entfernt gewesen, „ist sie durch die Krise dringender denn je geworden“.

Warum herrscht in Nahost immer noch kein Frieden?

Es gab immer wieder intensive Bemühungen um eine friedliche Einigung zwischen Israel und den Palästinensern, vor allem von Seiten der USA. Präsidenten wie George W. Bush, Bill Clinton, Barack Obama und selbst Donald Trump scheiterten aber letztlich an einem dauerhaften Kompromiss. Störmanöver gab es von beiden Seiten. Clinton sagte rückblickend, er habe sich wahrhaft „umgebracht“ im Versuch, den Palästinensern zu einem eigenen Staat zu verhelfen. „Ich hatte einen Deal, den sie abgelehnt haben“, erzählte er. „Er hätte ihnen den ganzen Gazastreifen, 96 bis 97 Prozent des Westjordanlands mit Landkompensation in Israel gegeben.“

Das letzte bekannte Angebot an Palästinenserpräsident Mahmud Abbas kam 2008 vom damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert. Auch er bot Abbas fast das ganze Westjordanland und die arabischen Viertel Ost-Jerusalems sowie die Altstadt unter internationaler Kontrolle an. Abbas sagte später, Olmert habe ihn gedrängt zu unterzeichnen, ohne ihm die Landkarte zum genaueren Studium zu überlassen. Letztlich scheiterten die Verhandlungen daran, dass beide Seiten sich in den Knackpunkten nicht einigen konnten: der künftige Grenzverlauf, die palästinensische Flüchtlingsfrage, der Status von Jerusalem, die Siedlungen sowie die Verteilung von Ressourcen, besonders Wasser.

Sah die Lage in den vergangenen Jahrzehnten schon einmal besser aus?

Als hoffnungsfroheste Zeit der Friedensbemühungen galt die Unterzeichnung der Osloer Friedensabkommen 1993. Die gemeinsame Prinzipienerklärung führte zur Einrichtung der Palästinensischen Autonomiebehörde. Sie ist zuständig für die Versorgung der Bevölkerung in den von ihr verwalteten Gebieten. Diese Regelung war allerdings ursprünglich nur auf einen Zeitraum von fünf Jahren angelegt – langfristige Hoffnungen auf einen eigenen Staat für die Palästinenser blieben bis heute unerfüllt. Seit 2014 hat es keine ernsthaften Verhandlungen mehr gegeben. Die Unterstützung für eine Zwei-Staaten-Lösung sank danach – auf beiden Seiten.

Ist der israelische Siedlungsbau ein Hindernis für eine Friedensregelung?

Ja. Israel hat seit der Eroberung des Westjordanlands im Sechstagekrieg 1967 seine umstrittenen Siedlungen dort systematisch ausgebaut. 1993 lebten rund 110000 israelische Siedler im Westjordanland. Heute ist die Zahl auf etwa eine halbe Million gestiegen, einschließlich Ost-Jerusalems sind es sogar 700000. Die Siedler leben inmitten von drei Millionen Palästinensern. Die UN stufen diese Siedlungen als großes Hindernis für eine Friedensregelung ein, weil sie kaum noch ein zusammenhängendes Territorium für die Palästinenser zulassen. Gewalttätige Attacken von Siedlern auf Palästinenser haben sich während des neuen Gaza-Kriegs noch deutlich verschärft. Palästinenser klagen auch immer wieder über massive Einschränkungen ihres täglichen Lebens durch die israelische Besatzung.

Hat die Hamas überhaupt Interesse an einem Friedensprozess?

Die islamistische Terrororganisation hat seit Beginn des Friedensprozesses immer wieder darauf abgezielt, diesen mit Anschlägen auf Israelis zu torpedieren. Sie hat kein Interesse an einer friedlichen Koexistenz, sondern will den Konflikt anheizen. Ihr Endziel ist die Einrichtung eines islamisch geprägten Staates auf dem Gebiet des gesamten historischen Palästina; den Staat Israel will die Hamas zerstören.

Vor dem Hintergrund einer Welle blutiger Anschläge der Hamas wurde der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu 1996 zum ersten Mal gewählt. Sein Amtsvorgänger Izchak Rabin war von einem jüdischen Fanatiker ermordet worden, der weitere Gebietskonzessionen an die Palästinenser verhindern wollte. Netanjahu wird vorgeworfen, er habe das Erstarken der Hamas im Gazastreifen geduldet oder sogar gefördert. Als Rivale der gemäßigteren Fatah von Präsident Abbas habe sie der Spaltung des palästinensischen Volkes gedient, um so einen Staat Palästina zu verhindern. Viele rechtsorientierte Israelis halten einen palästinensischen Staat für ein untragbares Sicherheitsrisiko für Israel.

Kann die Autonomiebehörde nach dem Krieg Gaza regieren?

Biden macht sich nun dafür stark, dass eine „revitalisierte“ palästinensische Autonomiebehörde nach dem Krieg auch im Gazastreifen wieder die Kontrolle übernimmt. Die Hamas hatte sie 2007 gewaltsam von dort vertrieben. Netanjahu lehnt dies jedoch vehement ab. Umfragen zeigten noch vor dem Krieg, dass mehr als die Hälfte der Palästinenser für die Rückkehr zu einem bewaffneten Aufstand sind. Attentäter werden von großen Teilen der palästinensischen Gesellschaft als Helden im Kampf gegen die israelischen Unterdrücker gefeiert. Es sei Aufgabe Israels, „nach einem Sieg sicherzustellen, dass Gaza die Bürger Israels nie wieder bedrohen kann“, sagte Netanjahu. Man werde keiner neuen Führung zustimmen, „die Terrorismus unterstützt, Terroristen und ihre Familie bezahlt, und ihre Kinder dazu erzieht, Juden zu ermorden und den Staat Israel auszulöschen.“

Sitzt Netanjahu als Regierungschef immer noch fest im Sattel?

Ob sich der Ministerpräsident angesichts des kolossalen Versagens am 7. Oktober nach dem Krieg als Regierungschef halten kann, ist ungewiss. Laut Umfragen würde gegenwärtig die Partei von Benny Gantz, Minister im Kriegskabinett, mit Abstand stärkste Fraktion vor Netanjahus Likud. Gantz hatte sich letztes Jahr für eine unabhängige palästinensische „Einheit“ ausgesprochen – jedoch keinen vollständigen Staat. (dpa)