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Kirchenrechtler im InterviewMüssen sich Staat und Kirche trennen, Herr Schüller?

Lesezeit 5 Minuten
Thomas Schüller, Theologe und Kirchenrechtler.

Thomas Schüller, Theologe und Kirchenrechtler.

Thomas Schüller ist Professor für Kirchenrecht. In seinem neuen Buch fordert er eine Entflechtung von Staat und Kirchen. Raimund Neuss hat mit ihm darüber gesprochen.

Herr Professor Schüller, Sie schreiben über eine „unheilige Allianz“ von Staat und Kirchen. Die Ampelkoalition möchte diese Allianz an einem Punkt auflösen: Die Staatsleistungen, also Zahlungen der Bundesländer etwa zur Finanzierung von Bischofsgehältern, sollen gegen Einmalzahlung abgelöst werden. Wird das klappen?

Nein. Das ist zwar ein 100 Jahre alter Verfassungsauftrag, es gibt eine politische Mehrheit im Bund. Aber in den Ländern stellen das auch die eigenen Parteikollegen in Frage, egal ob der grüne Ministerpräsident Kretschmann in Stuttgart oder der SPD-Mann Stefan Weil in Hannover. Sie wissen zweierlei: Erstens, die Kirchensteuereinnahmen werden einbrechen, und wenn auch noch die Staatsleistungen fehlen, könnten die Kirchen viele Leistungen nicht mehr erbringen, an denen die Länder interessiert sind. Zweitens: Für die Länder wäre die Ablösung ein großes fiskalisches Problem. Die Kirchen, vor allem die katholischen Bistümer in NRW, wären verhandlungsbereit. In NRW machen Staatsleistungen aber nur 2,2 Prozent der Kirchenhaushalte aus.

Interessanterweise denken viele Politiker im Gegenteil darüber nach, ob auch islamische Verbände wie die Ditib Zahlungen vom Staat bekommen sollten. Erleben wir den umgekehrten Prozess?

Das wären keine Staatsleistungen. Die Verbände haben wenige Mitglieder, also würden Kirchensteuern wenig nützen. Deshalb die Diskussion, ob der Staat ihnen helfen soll, von ausländischen Geldgebern – vor allem vom türkischen Staat – unabhängig zu werden. Letzten Endes will man den Islam demokratisch domestizieren. Allerdings ist umstritten, inwieweit das verfassungskonform wäre. Wir dürfen ja nicht zwischen erwünschter und unerwünschter Religion differenzieren.

Kann denn der Staat ohne Kirchen auskommen?

Politikerinnen und Politiker aller Couleur berichten mir von großen Sorgen. Der Staat hat sich in Geiselhaft der Kirchen begeben. Er hat auf freie Träger im Sozial- und Bildungssystem gesetzt, und die Kirchen waren und sind nun einmal die größten freien Träger. Schließen kirchliche Kitas, kommen große Lasten auf die Kommunen zu. Und wenn, wie absehbar, der Anteil der Kirchenmitglieder bis 2030 auf unter 40 Prozent sinkt, kann das Länder und Gemeinden in eine Schieflage bringen.

Andererseits kritisieren Politiker, wenn kirchliche Krankenhäuser keine Abtreibungen vornehmen …

Das ist ein Beispiel von staatlicher Doppelmoral. Es gibt eine große Entfremdung weiter Teile der Gesellschaft von der Botschaft des Evangeliums, gerade von der Position der katholischen Kirche beim Schutz des menschlichen Lebens. Andererseits ist man auf die Kirchen angewiesen. Da muss man sich entscheiden. Wo wären denn die zivilgesellschaftlichen Akteure, die für die Kirchen einspringen könnten?


zur Person

Thomas Schüller (62) ist Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. In seinem neuen Buch fordert er eine Entflechtung von Staat und Kirchen: „Unheilige Allianz – Warum sich Staat und Kirche trennen müssen“ (Hanser Verlag, 208 Seiten, 22 Euro).


Hat dieses Aufeinander-Angewiesensein nicht auch zu einer Art Komplizenschaft geführt? Etwa beim Umgang mit Missbrauchsfällen.

Es wäre viel gewonnen, wenn der Staat sich an seine eigenen Gesetze hielte. Nicht nur die Justiz, sondern auch die staatliche Verwaltung, etwa die Heimaufsicht, haben ihre Pflichten nicht rechtskonform wahrgenommen. Zu Recht fragt der Kölner Jurist Stefan Rixen nach staatlicher Amtshaftung. Erst ganz langsam, unter Druck der Medien, beginnt der Staat, kirchliche Amtsträger so zu behandeln wie Jedermann.

Eine wichtige Berührungsfläche ist das Bildungssystem. Kann das so bleiben, wie es heute aussieht?

Es war immer eine Eigenheit unserer Schulpolitik, dass freie Träger für Pluralität sorgen. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, in denen SPD-Politiker in NRW für Gesamtschulen warben, ihre eigenen Kinder aber in katholische Schulen schickten.

Aber wieso bezahlt der Staat Religionslehrer – oder den Theologieprofessor Thomas Schüller?

Der Religionsunterricht genießt als einziges Schulfach Verfassungsrang. Das resultiert aus der Erfahrung der NS-Zeit: Wir brauchen ein Fach, dass Werte vermittelt – aber staatlich verantwortet und nach den fachlichen Standards aller Schulfächer. Auch für jüdische und zunehmend für islamische Schüler. Die Unterhaltung staatlicher Theologischer Fakultäten ist nicht zwingend, aber der Staat wollte im 19. Jahrhundert einen Zugriff auf die Ausbildung von angehenden Geistlichen behalten.

Stichwort Domestizierung?

Jedenfalls ist man daran interessiert, auch islamische Theologen staatlich auszubilden. Aber auch kirchliche Hochschulen sind legitim. Nur müssen sie in der Lage sein, bei den wissenschaftlichen Standards und dem Kontakt mit anderen Fächern mit staatlichen Hochschulen mitzuhalten.

Der Kölner Kardinal Woelki, der ja so eine Hochschule ausbaut, begründet das gerade damit, dass er an der Zukunft der staatlichen Fakultäten zweifelt.

In einem Punkt hat er Recht. Die Zahl der Studierenden sinkt, die Bistümer zentralisieren die Priesterausbildung, an der Fakultäten ja konkordatsrechtlich hängen. Da wird auch die Zahl der Institute und Fakultäten sinken, darauf werden schon die Landesrechnungshöfe achten. Aber ob man deswegen eine eigene kirchliche Infrastruktur braucht, steht auf einem anderen Blatt. Ob die Kölner Hochschule mit den Standards staatlicher Universitäten mithalten kann, wird per Akkreditierungsverfahren geprüft. Noch ist sie nicht akkreditiert. Und andere Bistümer merken, wie teuer so ein Hochschulbetrieb ist – bei sinkenden Einnahmen. Fulda wickelt seine Fakultät gerade ab.

Alles in allem scheint die Entflechtung nicht so einfach zu sein. Wo sehen Sie denn Ansatzpunkte?

Auf jeden Fall dort, wo es monopolartige Strukturen gibt. Also wo in einer Region fast nur katholische oder evangelische Krankenhäuser, Pflegeheime oder Kitas bestehen. Bürger müssen die Gelegenheit haben, nichtkonfessionelle Einrichtungen zu nutzen. Das ist eine große Herausforderung für klamme Kommunen. Vieles, was wir heute als Standard kennen, wird auf Dauer nicht haltbar sein. Aber darüber müssen beide Seiten zumindest sprechen. Im Augenblick ist die Haltung bei Kirchen und Kommunen: Hoffentlich zuckt keiner zuerst. So kann es nicht weitergehen.

Interview: Raimund Neuß