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Interview mit Friedensforscherin zum Ukraine-Krieg„Nichtlieferung hätte noch schlimmere Folgen“

Lesezeit 5 Minuten
Ein Kampfpanzer der Bundeswehr vom Typ Leopard 2A6

Ein Kampfpanzer der Bundeswehr vom Typ Leopard 2A6

Der Ukraine Waffen liefern oder lieber verhandeln? Die renommierte Friedensforscherin Ursula Schröder erklärt im Interview mit unserer Redaktion, was vor Verhandlungen noch alles passieren müsste.

Frau Schröder, nach längerem Zögern liefert die Bundesregierung nun Kampfpanzer in die Ukraine. Ist das aus Sicht der Friedens- und Konfliktforschung eine gute Entscheidung?

Auch als Friedensforscherin bin ich für die Lieferung von Waffensystemen in die Ukraine, weil die Nichtlieferung aus unserer Sicht noch schlimmere Folgen hätte als das Handeln jetzt. Das ist eine schwierige Abwägung. Auf der einen Seite muss die Ukraine in dieser Situation militärisch und wirtschaftlich unterstützt und auf der anderen Seite das Risiko einer weiteren militärischen Eskalation minimiert werden. Daher sind aus meiner Sicht Waffenlieferungen in die Ukraine – inklusive Kampfpanzer – gerade alternativlos. Es ist kein schöner Weg, aber ich sehe auch keinen besseren.

Aber hätten die Panzerlieferungen dann nicht viel früher kommen müssen?

Es gibt die Debatte um eine mögliche Eskalation durch die russische Seite. So wie ich das einschätze, wollte man vermeiden, einen bedrohlichen Eindruck auf Russland zu machen. Es ging darum, zu kommunizieren: Wir liefern das, was nötig ist, aber auch nicht mehr.

Aber es kommt alles nur nach und nach. Will die Bundesregierung mit dieser Salami-Taktik das Eskalationsrisiko minimieren?

Wie die außenpolitischen Entscheidungsprozesse konkret abgelaufen sind, weiß ich nicht. Aber von der Kommunikation scheint es so zu sein, als wäre ein langsames und vorsichtiges Einlenken ein Weg, zu demonstrieren, dass man keine aggressive Intention gegenüber Russland hat.

Also Zögern als Zeichen des guten Willens.

Zögern als Zeichen der Risikominimierung.

Und klappt das? Wie hoch ist denn die Eskalationsgefahr, gerade mit Blick auf die Nuklearwaffen, die Russland hat?

Der Einsatz von Nuklearwaffen ist prinzipiell eine Möglichkeit, wenn auch wahrscheinlich nur eine sehr kleine. Aber wir können darüber nur spekulieren. Wichtig ist, dass Deutschland mit der Lieferung der Kampfpanzer keine Kriegspartei wird. Völkerrechtlich würden wir nur Kriegspartei werden, wenn die Bundeswehr direkt in Kampfhandlungen verwickelt wird. Aber nicht durch die Lieferung von Waffensystemen, auch nicht durch die Ausbildung ukrainischer Soldaten auf deutschem Territorium. Das heißt aber nicht, dass die russische Seite das auch so interpretiert.

Es galt auch schon mal der Grundsatz, gar keine Waffen in Krisengebiete zu liefern…

Gut, dass wir das nochmal klarstellen können. Es gibt derzeit den Entwurf eines Rüstungsexportkontrollgesetzes. Das haben wir aus der Friedensforschung heraus schon sehr lange unterstützt. Das Gesetz soll die Lieferung von Waffen aus deutscher Rüstungsproduktion in Kriegs- und Krisenländer einschränken. Es betrifft aber nicht Waffenlieferungen in Länder, die sich gegen einen völkerrechtswidrigen Angriff verteidigen. Die Ukraine hat das Recht zur Selbstverteidigung und andere Staaten haben das Recht, sie dabei zu unterstützen.

Aber Waffenlieferungen bedeuten auch mehr Tote, oder nicht?

Waffenlieferungen verlängern Kriege. Auch diesen. Es ist aber davon auszugehen, dass auch ohne Waffenlieferungen ein langwieriger und blutiger Widerstandskrieg in der Ukraine herrschen würde.

Im Friedensgutachten, das sie mit drei anderen Instituten vergangenen Sommer bereits veröffentlicht haben, stand zusammengefasst: Verhandlungen müssen mit Waffengewalt erkämpft werden. Waffengewalt gibt es. Aber sind wir den Verhandlungen auch nur einen Schritt näher gekommen?

Momentan sind wir weit weg von Verhandlungen, weil es kein Interesse an Verhandlungen und keine Aussicht auf eine Einigung gibt. Auf beiden Seiten. Die Frage ist dann, wie lange die Kriegsparteien durchhalten. Denn wenn eine Partei ermüdet, muss sie verhandeln. Aus der Forschung wissen wir auch, dass Verhandlungen oft erst dann geführt werden, wenn es keine Bewegung auf dem Schlachtfeld gibt und die Parteien keinen Weg mehr sehen, ihre Interessen durch weitere Kriegsführung durchzusetzen. Dann kommen wir zur Frage, ob demnächst nicht die Notwendigkeit für eine Partei besteht, zu verhandeln, weil sie nicht mehr durchhalten kann. Das kann passieren, aber das wird dann voraussichtlich schlecht für die Ukraine sein, weil Russland die Zeit auf seiner Seite hat.

Inwiefern?

Russland hat schlicht langfristig mehr Ressourcen zur Verfügung, um diesen Krieg weiterzuführen: mehr Streitkräfte, mehr Reservisten und auch mehr Kriegsmaterial. Gleichzeitig müssen wir uns fragen, wie lange die ukrainische Bevölkerung die russischen Angriffe – gerade auf kritische Infrastrukturen wie Wasser- und Energieversorgung – noch durchhalten kann.

Kann der Westen denn überhaupt zulassen, dass die Ukraine irgendwann aus der Not heraus in Verhandlungen geht? Oder ist er dann selbst gescheitert?

Aus meiner Sicht sind alle Unterstützungsleistungen, militärisch wie ökonomisch, dafür da, dass die Ukraine einen Platz am Verhandlungstisch bekommt und dort auch bestehen kann. Die Friedenspläne, die im Hintergrund vorliegen, sind aktuell noch so weit voneinander entfernt, dass sich darauf keine Erfolg versprechende Verhandlung aufbauen lässt. Zunächst könnte es daher um „Gespräche über Gespräche“ gehen, das heißt: Wo soll verhandelt werden? Wer sitzt am Tisch? Welche Themen werden verhandelt und welche werden erst einmal ausgeklammert?

Können Sie den Ruf nach Verhandlungen unter diesen Umständen denn überhaupt nachvollziehen?

Es ist zu früh zu verhandeln, aber nicht zu früh, um über die Vorbereitung von Verhandlungen nachzudenken. Nur zu sagen, man solle verhandeln, ist zu einfach. Es gibt ja durchaus Gesprächskanäle zur russischen Seite im Hintergrund, doch es bewegt sich auf dem Schlachtfeld noch zu viel. Auf lange Sicht sind Verhandlungen natürlich alternativlos.