AboAbonnieren

Rundschau-Debatte des TagesWie gehen andere Länder mit ihren Schulden um?

Lesezeit 6 Minuten
Noch viele Fragezeichen: Die Bundesregierung um Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner ist nach dem Urteil aus Karlsruhe um Schadensbegrenzung bemüht.

Noch viele Fragezeichen: Die Bundesregierung um Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner ist nach dem Urteil aus Karlsruhe um Schadensbegrenzung bemüht.

Mit der Haushaltskrise befindet sich Deutschland in einer ungewohnten Lage. Die Schuldenbremse spaltet aktuell nicht nur die Regierung. In anderen Ländern ist der Umgang mit der Staatsverschuldung zum Teil weniger streng.

Die EU hat Schuldenregeln, viele nationale Regierungen haben ebenfalls eigene Vorschriften dazu. Nicht alle sehen dabei eine fest verankerte Schuldenbremse als Lösung gegen hohe Staatsverschuldung vor. Sollte sich Deutschland in seiner aktuellen Lage an anderen Staaten ein Beispiel nehmen?

Wie umgehen mit Staatsverschuldung? Das ist nicht nur in der Diskussion um die Schuldenbremse in Deutschland ein Thema. International gibt es verschiedene Regeln – oder auch nicht. Ein paar Beispiele:

Europäische Union

Die Schuldenregeln auf EU-Ebene sehen im Kern vor, dass der Schuldenstand eines Mitgliedstaates 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf. Zudem gilt es, das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit – also die vor allem durch Kredite zu deckende Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Haushalts - unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu halten. Wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine sind die Regeln bis 2024 ausgesetzt.

Derzeit wird über eine Reform der EU-Schuldenregeln beraten. Ein Vorschlag der Europäischen Kommission sieht vor, hochverschuldeten Ländern wegen der Folgen der Corona-Krise und des Ukraine-Kriegs mehr Flexibilität beim Abbau von Schulden und Haushaltsdefiziten einzuräumen. Dabei soll es individuelle Wege für jedes Land geben, um Schulden und Defizite langfristig zu senken, so die Pläne. In den europäischen Hauptstädten sind die Vorschläge umstritten. Die Bundesregierung etwa fordert strenge und einheitliche Mindestvorgaben, während sich Frankreich gegen einheitliche Regeln ausgesprochen hat.

Frankreich

Anders als Deutschland hat Frankreich keine in der Verfassung verankerte Schuldenbremse und setzt traditionell stärker auf schuldenfinanzierte Investitionen statt auf sparsames Haushalten. Das Durchboxen strikter Sparauflagen ist im Nachbarland seit jeher unpopulär. Auch während der Corona-Epidemie und des Ukraine-Kriegs stützte Paris Firmen sowie die Kaufkraft der Bevölkerung mit üppigen Milliardenhilfen. Mit einer Verschuldungsquote von 111,6 Prozent der Wirtschaftsleistung Ende 2022 gehört Frankreich in der EU zu den Tabellenletzten.

Längst mahnt Frankreichs Rechnungshof daher eine Konsolidierung der Staatsfinanzen an. Die Regierung möchte das Defizit bis zum Ende ihrer Amtszeit 2027 wieder unter die EU-Grenze von drei Prozent drücken. Im laufenden Jahr wird noch ein Defizit von 4,9 Prozent erwartet, die Verschuldungsquote soll auf 109,7 Prozent sinken.

USA

In den USA legt der Kongress in unregelmäßigen Abständen eine Schuldenobergrenze fest und bestimmt, wie viel Geld sich der Staat leihen darf. Die Grenze wurde seit ihrer Einführung vor mehr als hundert Jahren dutzendfach erhöht, da sonst das Geld ausgegangen wäre. Über die Anhebung der Schuldenobergrenze kommt es zwischen Republikanern und Demokraten regelmäßig zum Streit. In diesem Jahr sind die USA wieder einmal nur knapp an einem Zahlungsausfall vorbeigeschlittert. Der Schuldendeckel von rund 31,4 Billionen Dollar (etwa 28,9 Billionen Euro) war Anfang des Jahres erreicht worden. Das Finanzministerium musste die Kapitalreserven anzapfen, um den Verpflichtungen nachzukommen.

Nach einer wochenlangen Zitterpartie einigten sich beide Parteien darauf, dass die Schuldenobergrenze in den USA bis 2025 ausgesetzt wird und im Gegenzug der Umfang des Bundeshaushalts, den die Demokraten vergrößern wollten, faktisch eingefroren wird. Ein Zahlungsausfall hätte eine globale Finanzkrise und einen wirtschaftlichen Abschwung auslösen können. US-Finanzministerin Janet Yellen hat mehrfach gefordert, die Schuldenobergrenze in ihrer jetzigen Form ganz abzuschaffen.

Italien

Auch in Italien ist Haushaltsdisziplin eigentlich in der Verfassung verankert. Dort heißt es seit 2012: „Die öffentlichen Verwaltungen sorgen im Einklang mit dem EU-Recht für ausgeglichene Haushalte und eine tragfähige Staatsverschuldung.“ Der Mechanismus ähnelt der deutschen Schuldenbremse mit Raum für Ausnahmen und Interpretationen. So ist eine höhere Neuverschuldung bei „außergewöhnlichen Ereignissen“ erlaubt, wenn das Parlament mit absoluter Mehrheit zustimmt.

In der Praxis der italienischen Politik ist die Selbstverpflichtung zu mehr Disziplin jedoch längst nicht angekommen. Der Schuldenberg ist seit 2012 nicht niedriger geworden, sondern deutlich höher. Nach jüngsten Zahlen der EU-Kommission werden die Staatsschulden zum Ende dieses Jahres 139,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) betragen. Bis 2025 sagen die Experten sogar einen Bruttoschuldenstand von 140,9 Prozent voraus. Der Haushalt der Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sieht zudem für 2024 eine Neuverschuldung von 16 Milliarden Euro vor. Das Haushaltsdefizit würde nach der Prognose der Regierung von derzeit 3,6 auf 4,3 Prozent des BIP steigen. Großbritannien In Großbritannien gibt es keine gesetzliche Schuldenbremse, jedoch fiskalische Ziele. Dazu gehört, dass die Nettokreditaufnahme der öffentlichen Hand im fünften Jahr einer Schätzungsperiode nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen soll. Dieses Ziel kann nach Einschätzung der Wirtschaftsaufsicht OBR (Office for Budget Responsibility) bei derzeitigem Kurs eingehalten werden. Zudem gibt es einen Deckel für Sozialausgaben. Beide Ziele können jedoch im Falle eines „erheblichen Negativschocks für die britische Wirtschaft“ vom Finanzministerium ausgesetzt werden.


Mehrkosten

Nach dem geplanten Auslaufen der Preisbremsen für Strom und Gas am Jahresende müssen Haushalte dem Vergeichsportal Verivox zufolge mit vergleichsweise geringen Mehrkosten rechnen. Aufs Jahr gerechnet kommen demnach auf einen Musterhaushalt mit einem Verbrauch von 20000 Kilowattstunden beim Gas 26 Euro mehr zu, beim Strom ein Euro. Inzwischen habe sich der Energiemarkt nach Einschätzung von Verivox erholt. Viele Versorger senkten zum neuen Jahr ihre Preise. Kunden in älteren Verträgen sollten jetzt gegebenenfalls in einen neuen Tarif wechseln. Wer noch einen Tarif der Grundversorgung hat, muss nach den Berechnungen nächstes Jahr 82 Euro mehr für Gas und 5 Euro mehr für Strom aufbringen, wenn die Bremsen drei Monate früher gelockert werden. (dpa)


Nach Haushaltsurteil: Debatte über Einsparungen hält an

Die Überwindung der Haushaltskrise ist derzeit das alles bestimmende Thema in der Bundesregierung. Die Vorstellungen für ihre Überwindung weichen dabei stark voneinander ab. Während Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) am Wochenende Einschnitte auch bei den Sozialausgaben ins Spiel brachte, warnte etwa die Rüstungsindustrie vor Kürzungen im Verteidigungsbereich.

In der Regierung herrschte weiterhin Uneinigkeit beim von Finanzminister Christian Lindner (FDP) angekündigten Aus für die Energiepreisbremsen zum Jahresende. Vereinfacht gesagt sei in den vergangenen Jahren „viel Geld auf alle Probleme geschüttet“ worden, sagte Landesfinanzminister Bayaz der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Damit sei der Eindruck vermittelt worden, wenn eine Krise komme, „muss der Staat alles kompensieren“. Dieses Versprechen aber könne die Politik nicht halten. Soziale Projekte wie die Rente mit 63 oder die Mütterrente „sollten nicht in Stein gemeißelt sein“, sagte Bayaz. Es müsse die Frage gestellt werden, ob dies noch in die Zeit passe.

„Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) endet als Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Ende des Jahres und wird abgewickelt“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der „Rheinischen Post“. „Damit enden die Preisbremsen.“ Es sei nicht davon auszugehen, dass es Anfang kommenden Jahres eine Notlage bei Strom und Gas geben werde. Djir-Sarai stützte damit eine entsprechende Ankündigung Lindners vom Freitag. SPD und Grüne wandten sich dagegen. Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte den Sendern RTL und ntv, es sei derzeit lediglich klar, dass der WSF aufgelöst werde, die Schuldenbremse ausgesetzt bleibe und die Energiepreisbremsen bis zum Jahresende gezahlt würden.

Einige Bundesländer stellen nun ebenfalls ihre Haushalte auf den Prüfstand. So prüften nach Angaben der Landesregierung etwa Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, ob das Urteil aus Karlsruhe Auswirkungen auf sie habe. (afp)


Ihre Meinung ist gefragt

Was meinen Sie? Ist das Festhalten an der Schuldenbremse der richtige Weg?

Bitte schreiben Sie uns:

dialog@kr-redaktion.de oder per Post an Kölnische Rundschau, Leserbriefe, Postfach 102145, 50461 Köln