Die Bundesregierung hat eine verfassungswidrige Finanzpolitik gemacht. Die Folgen nagen an den Markenkernen aller beteiligten Parteien. Das stellt eine angeschlagene Koalition vor die Zerreißprobe.
Rundschau-Debatte des TagesÜberlebt die Ampel das Haushalts-Debakel?
Am Kanzleramt wird in den nächsten Tagen die Weihnachtstanne mit fast 5000 Lichtern geschmückt. Doch abgesehen davon gibt es nicht viel „Business as usual“ im vorweihnachtlichen Berliner Politikbetrieb des Jahres 2023. Die Regierung von Kanzler Olaf Scholz steht finanzpolitisch vor einem Scherbenhaufen. Der Aufruhr, der aus dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts entspringt, trifft alle drei Koalitionspartner ins Mark ihrer jeweiligen politischen Identität. So stark, dass manche das fragile Ampel-Bündnis, das schon seit einiger Zeit immer tiefer in die Krise rutscht, endgültig vor dem Aus sehen.
CDU-Chef Friedrich Merz jedenfalls wäre nach eigenen Worten bereit für Neuwahlen. „Wir sind in der Lage, auch aus dem Stand heraus eine Bundestagswahl zu bestreiten“, erklärte er in der ARD-Sendung „Maischberger“. Bei dieser Bundesregierung wisse man ja nie. „Vielleicht springt einer von denen aus lauter Angst vor dem Tod in den Selbstmord.“ So weit ist es zwar noch nicht, doch fest steht: Diese Krise hat ein anderes Kaliber als der Streit um den Austausch alter Öl- und Gasheizungen – und schon der war ja eine Zerreißprobe für die Koalition.
Markenkerne aller Ampel-Parteien berührt
Diesmal stehen SPD, Grünen und FDP schwere Grundsatzentscheidungen ins Haus. Wie kommt die Regierung raus aus dem Milliardenloch? Wenn alle drei an ihren ideologischen Grundsätzen festhalten, wird das schwer. Denn entweder man verzichtet auf Milliardenausgaben für den Klimaschutz und die Entwicklung einer CO2- neutralen Wirtschaft. Doch das könnte Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen wohl kaum vertreten.
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Oder, das wäre die zweite Alternative: Heftige Kürzungen bei den Sozialausgaben, beim Bürgergeld, bei der Rente – doch wie sollte Scholz das seiner SPD beibringen? Auch im Gespräch: Steuererhöhungen für Reiche und eine Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz. Doch hier dürften sich bei Finanzminister Christian Lindner und seiner FDP die Nackenhaare aufstellen. Dort ist man ohnehin angefressen, denn Lindner musste es zwar umsetzen, aber die Idee für das verfassungswidrige Schuldenmanöver kam aus dem Ministerium – noch unter dem damaligen Finanzminister Scholz.
Wahrscheinlich werden am Ende alle drei Partner Zugeständnisse machen müssen, wenn sie verhindern wollen, dass einer von ihnen sein Gesicht verliert. Die Stimmung in den Parteizentralen ist jedenfalls angespannt.
FDP stimmt unverbindlich über Ausstieg ab
Bei den Freidemokraten ist intern von einem „Wendepunkt“ die Rede – wobei führende FDP-Politiker Forderungen zurückweisen, die Koalition notfalls auch platzen zu lassen. Doch es gibt solche Rufe in der Partei. Sie haben sich aus der Fläche des Landes aufgebaut und wurden als wenig bedeutend abgetan.
Doch es kamen 500 unterschriebene Anträge für eine Mitgliederbefragung über die weitere Beteiligung an der Ampel zusammen. Jetzt wird abgestimmt – wobei das Ergebnis dann nicht bindend für die Partei ist. Doch es wird wohl ein Meinungsbild über die ungeliebte Dreierkoalition, in der FDP-Chef Lindner zugleich der oberste Kassenwart ist.
Vize Wolfgang Kubicki warnt allerdings davor, die Ampel kippen zu lassen. Damit lasse sich bei einer Neuwahl nicht punkten – und das müsste die FDP dringend, denn sie ist in Umfragen teils schon unter die Fünf-Prozent-Hürde gerutscht, mithin politisch mit dem Kopf unter Wasser. Kubicki fordert stattdessen vor allem vom grünen Koalitionspartner Bewegung – etwa mehr Realismus in der Migrationspolitik.
Den Grünen geht die Krise an die Substanz
Die Grünen kommen in diesen Tagen ausgerechnet in Karlsruhe zum Parteitag zusammen, wo vor etwas mehr als einer Woche das folgenreiche Haushaltsurteil gesprochen wurde. Seitdem ist klar: Es fehlen mindestens 60 Milliarden Euro, die hauptsächlich für Projekte eingeplant waren, die den Grünen sehr am Herzen liegen.
Nach 16 Jahren in der Opposition wollen sie mit der Ampel-Regierung endlich den energie- und klimapolitischen Schwenk schaffen – mit einem viel schnelleren Bau von Windrädern und Solaranlagen sowie dem Austausch von Öl- und Gasheizungen, aber auch mit milliardenschwerer staatlicher Förderung für einen klimafreundlichen Umbau der deutschen Industrie. Da hier unter der Großen Koalition vieles nur schleppend voranging, möchten die Grünen nun umso mehr auf die Tube drücken.
Zugeständnisse in der Klima- und Energiepolitik sind für die Partei hochriskant. Schließlich ist ihr Engagement in diesem Bereich für viele Unterstützer ein wichtiges Wahlmotiv. Doch es gehe nicht allein um Klimaschutz, sondern auch um Arbeitsplätze, gerade in der Industrie, argumentieren Habeck und die Parteichefs Omid Nouripour und Ricarda Lang seit dem Karlsruher Urteil. Wohl verbunden mit der Hoffnung, dass das Unterstützung jenseits der eigenen klimabewegten Klientel schafft. Die Botschaft dahinter: Nicht nur wir Grünen haben jetzt ein Problem, sondern alle.
Das verlässliche Image der Ampel ist dahin
Ein Bruch der Ampel-Koalition scheint auch deshalb unwahrscheinlich, weil er die Wahlchancen jeder der drei Parteien minimieren würde. In allen Umfragen sind sie abgestürzt; weder SPD, noch Grüne und FDP können darauf bauen, nach der nächsten Bundestagswahl noch Teil einer Regierung zu sein.
Bei der Wahl 2021 warben Scholz und seine SPD mit Verlässlichkeit. Er habe Erfahrung, mit ihm wüssten die Bürger, woran sie seien. Doch diese Verlässlichkeit ist erst einmal dahin. Wie es zur Wahl 2025 damit aussieht, ist offen. Im Moment jedenfalls hinterlässt die Koalition eher einen kopflosen Eindruck. Das Urteil hat sie kalt erwischt, schnelle Antworten hatten weder Kanzler (SPD) noch Finanzminister (FDP) oder Wirtschaftsminister (Grüne) parat. Stattdessen: Schockstarre. (dpa)