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Rundschau-Debatte des TagesWird Gas bald wieder günstiger?

Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - 11.10.2013, Großbritannien, London: Eine Gasflamme brennt auf einem Küchenherd.

Optimistische Prognose: Experten gehen davon aus, dass sich der Gaspreis ab 2025 wieder auf dem Niveau vor dem Ukraine-Krieg einpendelt.

Auch ohne Lieferungen von Wladimir Putin kommen wir durch den Winter. Doch wie sieht es danach mit der Versorgungssicherheit und den Preisen aus? Wir haben mit Fachleuten tief in die Glaskugel geschaut.

Die Gaspreise liegen derzeit rund dreimal so hoch wie vor dem Ukraine-Krieg. Eine Weile bleibe das noch so, sagen Experten, machen aber Hoffnung. Ein renommiertes Institut meint sogar, Erdgas werde in zwei Jahren wieder so billig sein wie vor der Energiekrise. Kann das sein?

Könnten die Gaspreise in den kommenden Monaten sinken?

Die Preise sind zum Glück gegenüber den Spitzen im Sommer und Herbst vergangenen Jahres deutlich gesunken, liegen im Großhandel aber nach wie vor bei rund 6 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine und dem folgenden schrittweisen Stopp der russischen Gaslieferungen waren es zwischen 1,5 und 2,5 Cent.

Dass die Gaspreise im Laufe dieses Jahres noch einmal explodieren wie in 2022, befürchtet das Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln (EWI) nicht. „Wenn wir es wieder schaffen, mit vollen Gasspeichern in den kommenden Winter zu gehen, und es kein überdurchschnittlich kalter Winter wird, wäre es unwahrscheinlich, dass die Gaspreise noch einmal das sehr hohe Niveau des Jahres 2022 erreichen“, sagte EWI-Experte Max Gierkink im Gespräch mit unserer Redaktion. Maßgebliche Faktoren seien Einsparungen in Europa, das Wetter und die Nachfrage in Asien.

Analysten des Prognos-Instituts erwarten, dass der LNG-Markt „mindestens bis 2024“ angespannt bleibt, „vielleicht auch bis 2025“. Bis dahin werde das Gas im Großhandel „voraussichtlich zwischen 6 und 8 Cent pro Kilowattstunde liegen“, sagten die Prognos-Experten Stefan Mellahn und Ravi Srikandam.

Steht uns ein schwieriger nächster Winter ins Haus?

Das kann passieren, gerade weil die Preise gesunken sind. So gehen Analysten von Goldman Sachs davon aus, dass die Industrie wieder deutlich mehr Gas verbrauchen, womöglich sogar nennenswert wieder von der Kohle- zur Gasverfeuerung zurückkehren werde.

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hält das für „gut vorstellbar“ und warnt: „Das wäre mit Gefahren verbunden in der aktuellen Situation.“ Ihr Appell: „Bis zum kommenden Winter muss es oberste Priorität haben, einen Puffer zu behalten, um auf eine angespanntere Versorgungslage reagieren zu können. Da muss unter Umständen auch die Bundesregierung Anreize setzen, damit weiterhin Gas gespart wird.“ Weiterer Risiko-Faktor: Derzeit ist die Gasnachfrage im asiatisch-pazifischen Raum relativ gering. Aber das Ende des Corona-Lockdowns in China könne rasch wieder „zu einer höheren Konkurrenz am globalen LNG-Markt und zu steigenden Preisen führen“, so EWI-Experte Gierkink. Auch die Prognos-Analysten geben keine Entwarnung: Die Befüllung der Gasspeicher im Herbst könnte „schwieriger werden“ als 2022, weil eben gar kein Gas aus Russland mehr komme, sagen Mellahn und Srikandam.

Die Bank Goldman Sachs geht deswegen von einem Gaspreis von rund 10 Cent pro Kilowattstunde für das kommende Jahr aus, das wäre sogar fünfmal so hoch wie vor der Krise. Bei Prognos erwarten sie „weiterhin“ einen Preis von 6 bis 8 Cent.

Sollte man jetzt den Gasanbieter wechseln?

Das fragen sich gerade sehr viele, weil ja die Tarife der Versorger trotz gesunkener Beschaffungskosten teils sogar noch erhöht werden. Andererseits sind die zwischenzeitlich explodierten Marktpreise gar nicht bei allen Endkunden angekommen, wenn sich ihre Versorger vor der Krise mit Billiggas eingedeckt haben. Und: Der Staat übernimmt bis März 2024 die Kosten jenseits von 12 Cent pro Kilowattstunde und gibt Verbrauchern Geld zurück, wenn sie mehr als 20 Prozent Gas einsparen.

Kurzum: Die Mechanismen der Märkte und der Gaspreisbremse sind so kompliziert, dass es „ein hohes Maß an eigener Recherche“ erfordere, um zu verstehen, ob sich ein Anbieterwechsel lohnt oder nicht, so die Prognos-Experten Mellahn und Srikandam. Und sollten jetzt massenhaft Stadtwerke-Kunden zu Dicountern wechseln, weil die mit Billigtarifen locken, könnten die kommunalen Versorger in Schwierigkeiten geraten. „Das wäre ein Problem für den Wettbewerb nach der Energiekrise“, sagt die Wirtschaftsweise Grimm.

Wird Gas jemals wieder so billig wie vor Putins Angriffskrieg?

Bis Frühjahr 2024 sorgt die Gaspreisbremse dafür, dass Haushalte nicht mehr als etwa doppelt so viel für ihr Gas bezahlen müssen wie vor der Krise. Für die eigene Kalkulation ist also entscheiden, wie es danach weiter geht. Weil so viele Faktoren zusammenkommen, sind längerfristige Prognosen heikel, und die meisten Experten scheuen den Blick in die Glaskugel. Ein paar trauen sich trotzdem, mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen.

„Es wird nach unserer Einschätzung absehbar auf eine Verdoppelung der Gas- und Stromtarife hinauslaufen“, sagt etwa Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der kommunalen Unternehmen (VKU) und damit Chef der Stadtwerke, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Aber stimmt das? Beim Kölner EWI schauen sie viel positiver in die Zukunft: „Unsere Analysen deuten darauf hin, dass es ab Mitte der 2020er-Jahre wieder zu einer Annäherung des Gaspreisniveaus an das historische Preisniveau von vor 2021 kommen könnte“, sagt deren Experte Gierkink.

Zwar werde das Gas vermutlich nicht wieder ganz so billig wie vor dem Ukraine-Krieg, da LNG-Gas wegen der Kosten für Verflüssigung, Transport und Regasifizierung teurer sei als russisches Pipelinegas, schränkt Gierkink ein, hält aber dennoch Beschaffungspreise „von unter 2 Cent pro Kilowattstunde für möglich“. Das wäre dann tatsächlich fast so preiswert wie vor dem Krieg – und das ganz ohne Gaslieferungen aus Russland.

Diese heitere Prognose knüpft das EWI allerdings an zwei Bedingungen: Die Gasnachfrage in Europa müsse „dauerhaft“ zurückgehen. Und der Ausbau der nationalen und globalen LNG-Infrastruktur müsse auch wirklich klappen.