Steffen Kampeter, BDA-Chef, fordert dringend Reformen für Wirtschaftswachstum und Bürokratieabbau, um Deutschlands Attraktivität zu steigern.
BDA-Chef Kampeter„Unternehmen von den Fesseln sinnloser Regulierung befreien“

Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
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Als parlamentarischer Staatssekretär an der Seite von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat Steffen Kampeter Deutschland durch die europäische Finanzkrise gesteuert. Seit 2016 ist der 62-jährige Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Arbeitgeber (BDA). Thomas Ludwig sprach mit ihm über die Aussichten einer Bundesregierung unter Führung von Friedrich Merz (CDU).
Herr Kampeter, mit der vom Bundestag auf den Weg gebrachten Lockerung der Schuldenbremse soll das Geld für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaneutralität bald nur so sprudeln. Ist das der überfällige politische Aufbruch zu einer so dringend nötigen wirtschaftlichen Dynamik?
Das gute Signal aus dem Sondierungspapier ist, dass die Koalitionäre rasch zu Potte kommen wollen. Aber ein grundlegender Wechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist noch nicht erkennbar. Die Erwartungen der Wirtschaft an einen durchbuchstabierten Koalitionsvertrag sind deshalb groß. Da muss noch sehr viel mehr an Reformen unter anderem bei den Sozialversicherungen rein, als bisher erkennbar ist.
Hohe Schulden erhöhen die Zinslast, das kann zu einer Verschlechterung der Kreditwürdigkeit führen – drohen die Haushaltsspielräume dadurch mittelfristig nicht enger zu werden?
Die Gefahr besteht. Alle staatlich initiierten Investitionen müssen also in mehr wirtschaftliche Aktivität münden, damit diese Risiken nicht real werden. Vielleicht gelingt es dann auch, die Verschuldung über Wachstumseffekte geringer zu halten, als von manchen Kritikern befürchtet.
Gehen Sie davon aus, dass der Bundesrat der Grundgesetzänderung für mehr Schulden am Freitag zustimmen wird?
Die Länder haben ein starkes Eigeninteresse an den zusätzlichen Milliarden. Wolfgang Schäuble hat als Bundesfinanzminister mal von den „klebrigen Fingern der Länder“ gesprochen. Ich gehe nicht davon aus, dass die Finger heute weniger klebrig sind als zu Schäubles Zeiten.
Apropos, Sie haben als Parlamentarischer Staatssekretär unter Minister Schäuble die europäische Finanzkrise miterlebt. Ist die heutige Gemengelage für Deutschland bedrohlicher, als sie es zur Zeit der Finanzkrise war?
Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Im Augenblick ist der Zusammenhang zwischen Geopolitik und Geoökonomie zentral, insbesondere für Deutschland als Industrie- und Exportland in der Mitte Europas. Deshalb ist die schnelle Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit richtig – aber auch das Nachholen unterlassener Dinge aus den vergangenen Jahren bei der Infrastruktur. Aus Sicht international tätiger deutscher Unternehmen ist es verwunderlich, wie wenig europäische Perspektive im Sondierungspapier von Union und SPD erkennbar ist. Es muss zur DNA der zukünftigen Koalition gehören, die EU-Kommission Ursula von der Leyens bei ihren Bemühungen zu unterstützen, Wettbewerbsfähigkeit zu erzeugen.
Hat die mögliche schwarz-rote Koalition mit der Ausstellung des Blankoschecks für neue Milliardenschulden ihre Glaubwürdigkeit nicht schon vor Amtsantritt verspielt?
Ich sehe einen Glaubwürdigkeitsverlust dann, wenn der Koalitionsvertrag nicht hält, wofür große Teile dieser Koalition gewählt wurden, nämlich den Fokus auf wirtschaftliches Wachstum zu legen und das Land für die Zukunft zu rüsten. Ein zukunftsorientierter Koalitionsvertrag muss neben all den neuen Schulden auch Veränderungen einleiten. Die Bereitschaft zu ambitionierten Reformen und deren Umsetzung wird zum Lackmustest für eine neue Bundesregierung. Eine berechtigte Frage lautet: Hätte man es andersherum aufzäumen sollen, also zuerst Reformen und dann neue Schulden? Mit dem Votum des Bundestages ist das politisch entschieden. Jetzt konzentrieren wir uns auf das, was vor uns liegt.
Was muss aus Sicht der Unternehmen dringend in einen Koalitionsvertrag?
Wir brauchen dringend Wirtschaftswachstum. Deutschland liegt derzeit auf dem Niveau von Mexiko, das kann nicht unser Anspruch sein. Obwohl immer mehr Menschen in Deutschland arbeiten, schrumpft das geleistete Arbeitsvolumen. Das ist eine Wachstumsbremse – da brauchen wir eine Trendumkehr. Das zweite sind die Kosten, die müssen runter. Es kann nicht sein, dass in Deutschland alles länger dauert und teurer ist als in unseren Hauptwettbewerbsländern. Eine neue Bundesregierung muss also endlich Ernst machen und Unternehmen von den Fesseln überbordender Bürokratie und sinnloser Regulierung befreien.
Mit hohen Kosten spielen Sie auch auf die Sozialabgaben an?
Ja, der Nettoklau durch die hohen Sozialabgaben ist ein gesellschaftliches Problem. Es demotiviert Beschäftigte, wenn trotz Lohnerhöhung kaum mehr auf dem Konto ankommt, weil der Staat immer mehr Geld abzieht. Wir brauchen mehr Netto vom Brutto für alle Arbeitnehmer – das macht auch den Standort Deutschland wieder attraktiv. Eine Sozialabgabenbremse wäre eine aktive Beschäftigungsförderung. Das bedeutet nicht Rückbau oder Abbau des Sozialstaates, sondern mehr Treffsicherheit. Nur denen soll geholfen werden, die Hilfe benötigen. Deutlich effizienter organisiert werden müssen Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Hier Reformen auf den Weg zu bringen, trägt dazu bei, dass die Menschen mehr vom Sozialstaat haben, dieser dann aber insgesamt weniger kostet als heute. Dann frisst der Sozialetat im Bundeshaushalt auch nicht mehr den Etat für Investitionen auf.
Stellt Schwarz-Rot dazu die richtigen Weichen?
Bei den Sozialabgaben sind Gesundheit und Pflege die stärksten Kostentreiber. Gleichzeitig trifft ein besonders hoher Problemdruck auf offensichtlichen Reformunwillen. Das ist eine gefährliche Mischung. Dass die Pflege inzwischen mehr kostet als die Arbeitslosenversicherung, hätte sich vor einigen Jahren niemand vorstellen können. Für eine bezahlbare Gesundheits- und Pflegeversorgung bräuchte es also eine ambitionierte Agenda 2035. Was man aber bislang aus den Koalitionsgesprächen hört, ist dem Problemdruck nicht angemessen. Da droht sich ein teures, ineffizientes System zum gesellschaftlichen Spaltpilz zu entwickeln. Und auch, was zum Thema Arbeit und Soziales im Sondierungspapier steht, ist enttäuschend. Da treiben Mütterrente und unterlassene Reformen lediglich die Ausgaben nach oben. So wird das nichts mit der Wirtschaftswende, da müssen Union und SPD nacharbeiten.
Wohlfahrtsverbände warnen, Sozialkürzungen hätten das Zeug, den sozialen Frieden im Land zu gefährden. Zu Recht?
Umgekehrt wird ein Schuh draus. Wenn wir kein wirtschaftliches Wachstum mehr generieren, etwa durch mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt, durch weniger Bürokratie, durch mehr Treffsicherheit in den staatlichen Leistungen, dann ist der gesellschaftliche Zusammenhalt aufgrund zusammenbrechender Sicherungssysteme und mangelnder staatlicher Leistungsfähigkeit gefährdet. Ein Sozialstaat, der sich fair und transparent auf die tatsächlichen sozialen Herausforderungen konzentriert – Bürgergeld beispielsweise nur für jene, die es tatsächlich benötigen –, der wird mehr Zustimmung erlangen als ein Sozialstaat, der von denjenigen, die ihn durch ihre Arbeit finanzieren, wegen seiner mangelnden Treffsicherheit als ungerecht empfunden wird. Delegitimiert sich ein Staat dadurch, dass er seinen Aufgaben nicht länger gerecht wird, ist das ein Förderprogramm für die Extreme von links bis rechts.
Das klingt wie eine Warnung...
Wenn sich die Standortbedingungen in dem Maße ändern, dass es attraktiv ist, in Deutschland zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen, dann wird eine schwarz-rote Regierung Erfolg haben. Wenn sie lediglich die Kreditaufnahme und das Zinsniveau steigert, dann werden andere in der nächsten Legislaturperiode das politische Ruder übernehmen. Auf der möglichen Koalition von Union und Sozialdemokraten lastet ein enormer Erfolgsdruck.