Jeder vierte alte Mensch bekommt nur einmal im Monat Besuch. Welche Folgen hat die zunehmende Vereinsamung für Seele und Körper? Fragen an Wissenschaftler und Betreuer beim Rundschau-Podium, deren Antworten erschrecken.
Rundschau-Podium mit Experten„Einsamkeit im Alter ist so schädlich wie Kettenrauchen“
Die Krankheit schleicht sich zunächst fast unbemerkt an. Aber irgendwann schwächt sie die Abwehrkräfte, greift die Organe und das Herz-Kreislaufsystem an – und sie kann zum Tode führen. Die Krankheit heißt Einsamkeit. Und sie breitet sich weiter aus. Wissenschaftler haben die körperlichen Folgen, insbesondere bei alten Menschen, eingehend untersucht.
Einsamkeit wirkt wie Gift auf dem Körper älterer Menschen
„Es ist unbestritten“, so Johannes Pantel, Professor für Altersmedizin an der Goethe-Universität in Frankfurt, „dass Einsamkeit wie Gift auf alte Menschen wirkt. Schlaganfälle, Mangelernährung, Herzinfarkte und weiteres werden wahrscheinlicher. Es schädigt so sehr wie das Kettenrauchen.“ Auch kurze Phasen der Isolierung sorgten für Depressionen, kognitive Defizite und eine höhere Sterblichkeit.
Die dramatischen Auswirkungen der Vereinsamung in unserer Gesellschaft sind Grund genug, das Thema öffentlich zu diskutieren. Anlässlich der 70. Sammlung der Rundschau-Altenhilfe DIE GUTE TAT hatte unsere Zeitung Experten zu einem Symposion eingeladen. Moderatorin Nathalie Bergdoll sprach beim Rundschau-Podium in Köln mit Wissenschaftlern sowie mit engagierten Altenhelfern und Vertretern des sozialen Sektors über die Krankheit Alterseinsamkeit und was dagegen helfen könnte.
Jeder Vierte wird nun einmal monatlich besucht
Aktuell leben mehr als zwei Millionen alte Menschen in Deutschland allein, teils sehr isoliert. „Sobald man in ein gewisses Alter bei uns in Deutschland kommt, wird man nur noch als Hilfeempfänger und nicht mehr als Potenzial wahrgenommen. Dabei ist diese Gruppe für die Gesellschaft sehr wertvoll“, betonte Antke Kreft, Leiterin der Kölsch Hätz-Nachbarschaftshilfen der Caritas Köln. Egal ob in der Großstadt oder auf dem Land – die Gruppe der 80- bis 90-Jährigen wächst rasant und wird sich bis 2050 sogar mehr als verdoppeln, ebenso auch die Vereinsamung.
Laut des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) erhält jeder vierte alte Mensch nur einmal im Monat Besuch von Freunden oder Bekannten. Manche haben gar keinen Kontakt mehr nach außen. Die Zahl der Selbsttötungen ist in keiner Altersgruppe so hoch wie bei den über 80-Jährigen. Michael Noack, Professor für Methoden der Sozialen Arbeit im Institut für Forschung und Entwicklung in der Sozialen Arbeit an der Hochschule Niederrhein, erklärte, dass es auf den ersten Blick „die Alten in der Gesellschaft“ überhaupt nicht gebe. „Es gibt verschiedene Lebensentwürfe und Lebenslagen. Wir müssen unsere Altersbilder neu reflektieren und den Blick des älteren Menschen auf sich selbst.“ Altersmedizin-Experte Johannes Pantel sieht sehr unterschiedliche Verläufe des Alterns: „Es gibt Menschen die mit 80 noch sehr vital sind, andere sind mit 60 schon gebrechlich. Eine Zweiteilung in Jung und Alt führt zu Konflikten und ist der Gesellschaft nicht dienlich.“
Einsatz gegen die chronische Einsamkeit
Leider sind Menschen über 80 oft chronisch einsam, die Corona-Pandemie hat die Probleme weiter verschärft. Zudem finde Ausgrenzung durch äußere Einflüsse statt, erläuterte Marianne Arndt, Gemeindereferentin in Köln-Höhenberg/Vingst: „Der Corona-Schutzraum war ein Stück weit ein Gefängnis und hat Isolation mit sich gebracht.“ Als Krankenhaus-Seelsorgerin habe sie in den letzten Jahren viel Einsamkeit erlebt, manche seien daran gar verstorben.
Marianne Arndt ist in der katholischen Pfarrgemeinde St. Theodor und St. Elisabeth nahe an der Basis. Dort sei es eine Selbstverständlichkeit, alte Menschen in der Gemeinde zu integrieren. Mit Fahrdiensten würden sie zu Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen gefahren. „Jeden Montag treffen wir uns zum gut besuchten Montagskränzchen. Dabei fällt mir auf, dass die jüngeren Senioren zwischen 65 und 80 sich noch nicht als solche wahrnehmen und stattdessen aktiv mithelfen, die noch älteren Menschen zu unterstützen.“
Man ist so alt wie man sich fühlt?
Alt sind also immer nur die anderen? „Wenn man Menschen fragt, wie alt sie sein möchten, will man meistens rund 10 Jahre jünger sein. Wichtiger ist, welche Rolle einem die Gesellschaft zuweist, und ob man sie annimmt. Aber das Alt-Sein wird von fast allen abgelehnt“, fügte Johannes Pantel an. Professor Noack weiß zudem, dass „die Gesellschaft in Sachen Alter flexibler sein und den Diskurs intensivieren muss.“
Solange man sich also nicht alt fühlt, und aktiv ist, sowie darüber spricht, besteht die Chance, mit Hilfe eines positiven Selbstbildes weniger schnell zu altern.
„Brauchen wir andere Rollenvorbilder?“, fragte die gut aufgelegte Nathalie Bergdoll ihre Gesprächspartner. Antke Kreft verlangte zumindest mehr Seniorennetzwerke und Anerkennung für das Ehrenamt durch Auszeichnungen und medienwirksame Aktionen, um den Fokus auf die sehr aktive Generation zu legen. „Der gesellschaftliche Anteil der Senioren ist so positiv. Sie können sehr viel Hilfestellung leisten und viel Inspiration weitergeben.“
Marianne Arndt forderte schließlich eine „Haltungsänderung in unserer Gesellschaft: Wir müssen uns fragen: Welche Haltung haben wir gegenüber unterschiedlichen Seniorengruppen? Schreiben wir uns gegenseitig ab? Die Würde des Menschen sollte in jeder Altersgruppe unantastbar sein.“