Das Landgericht Itzehoe hat eine ehemalige KZ-Sekretärin wegen Beihilfe zum Mord in 10.500 Fällen schuldig gesprochen und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Irmgard F. war von 1943 bis 1945 im KZ Stutthof angestellt.
Urteil verkündetEhemalige Sekretärin im KZ Stutthof wegen Beihilfe zum Mord schuldig gesprochen
Nach 40 Verhandlungstagen im Prozess gegen eine frühere Sekretärin im KZ Stutthof hat das Landgericht Itzehoe am Dienstag, 20. Dezember, das Urteil verkündet: Die Strafkammer verurteilte die 97 Jahre alte Irmgard F. wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.500 Fällen zu einer Strafe von zwei Jahren auf Bewährung.
Die Angeklagte soll von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur von Stutthof bei Danzig gearbeitet und damit den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet haben.
Prozess gegen 97-jährige Irmgard F. wurde vor der Jugendkammer geführt
Weil sie zur Tatzeit erst 18 bis 19 Jahre alt war, lief der Prozess vor einer Jugendkammer. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung beantragt. Die beiden Verteidiger hatten hingegen einen Freispruch für ihre Mandantin gefordert. Sie begründeten dies damit, dass nicht zweifelsfrei habe nachgewiesen werden können, dass F. von den systematischen Tötungen im Lager gewusst habe.
Im Lager Stutthof bei Danzig hatte die SS während des Zweiten Weltkriegs mehr als hunderttausend Menschen unter erbärmlichen Bedingungen gefangen gehalten, darunter viele Juden. Etwa 65.000 starben nach Erkenntnissen von Historikern. Das Lager war berüchtigt für die absichtlich völlig unzureichende Versorgung der Gefangenen. Die meisten Menschen starben an Seuchen, Entkräftung und Misshandlung. Es gab jedoch auch eine Gaskammer und eine Genickschussanlage.
Seit Beginn des Prozesses wurden acht Nebenkläger angehört
Die 15 Nebenklagevertreter hatten sich zum großen Teil der Strafforderung der Staatsanwaltschaft angeschlossen. Einer von ihnen hatte sich jedoch gegen eine Bewährungsstrafe ausgesprochen. Seit Beginn des Prozesses am 30. September 2021 hat das Gericht acht der zeitweise 31 Nebenkläger angehört, meist über eine Videoverbindung in die USA, Israel oder Polen.
Sie berichteten vom Leiden und massenhaften Sterben in Stutthof. Wichtigster Zeuge war jedoch der historische Sachverständige Stefan Hördler, der sein Gutachten in 14 Sitzungen vorstellte. Die Verteidigung stellte einen Befangenheitsantrag gegen ihn, den das Gericht aber ablehnte.
Angeklagte brach Schweigen erst am 40. Verhandlungstag
Die Angeklagte wollte sich anfangs dem Verfahren nicht stellen. Am ersten Verhandlungstag verschwand sie frühmorgens aus ihrem Seniorenheim in Quickborn (Kreis Pinneberg). Die Polizei griff sie Stunden später auf einer Straße in Hamburg auf. Das Gericht erließ einen Haftbefehl. Die damals 96-Jährige verbrachte fünf Tage in Untersuchungshaft und musste danach wochenlang ein elektronisches Armband tragen.
Vor Gericht wirkte Irmgard F. rüstig und deutlich jünger. Fast bis ganz zum Schluss äußerte sie sich nicht zu den Vorwürfen, obwohl die Nebenklagevertreter sie dazu immer wieder aufforderten. Erst am 40. Verhandlungstag brach sie ihr Schweigen: „Es tut mir leid, was alles geschehen ist“, sagte sie in ihrem letzten Wort. Die 97-Jährige fügte hinzu: „Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen.“
Es ist möglicherweise der letzte Prozess in Deutschland wegen NS-Verbrechen. Ende Juni 2022 hatte das Landgericht Neuruppin einen ehemaligen Wachmann des KZ Sachsenhausen wegen Beihilfe zum Mord an Tausenden Häftlingen zu fünf Jahren Haft verurteilt. Fünf weitere Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche NS-Täter sind nach Angaben der Zentralstelle in Ludwigsburg (Baden-Württemberg) bei den Staatsanwaltschaften anhängig, davon jeweils eins bei den Behörden in Erfurt, Coburg und Hamburg sowie zwei in Neuruppin.
Die Justiz muss in diesen Fällen ermitteln, weil es um Beihilfe zum Mord geht. 1979 hatte der Bundestag die Verjährung von Mord und Beihilfe zum Mord endgültig aufgehoben. Das bedeutet, dass sich Tatverdächtige bei Verhandlungsfähigkeit bis ins hohe Alter einem Verfahren stellen müssen. (dpa)