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Zwei Jahre nach Aus der Baumarkt-KetteWas aus den Mitarbeitern von Praktiker geworden ist

Lesezeit 5 Minuten

Ein Praktiker-Baumarkt in Kaiserslautern (Archivbild)

Berlin – Im Herbst 2013 steht endgültig fest, dass die insolvente Baumarkt-Kette Praktiker nicht mehr zu retten ist. Die Konkurrenz ist zu groß, es gibt zu viele Baumärkte, die Läden müssen schließen. Wenige Monate später folgt das Aus für das Tochterunternehmen Max Bahr. Insgesamt verlieren rund 15 000 Menschen ihren Job. Was aus den Leuten geworden ist, ist lange Zeit unklar. Nun haben Forscher etwas Licht ins Dunkel gebracht. Sie haben Ex-Beschäftigte befragt und stellen heute eine Studie vor, deren zentralen Ergebnisse dieser Zeitung vorliegen.

Anderthalb Jahre vor dem Baumarkt Praktiker meldete die Drogeriekette Schlecker im Januar 2012 Insolvenz an. Im ersten Halbjahr 2012 wurden rund 27.000 Beschäftigte, überwiegend Frauen, entlassen. Anders als bei Praktiker wurde keine Transfergesellschaft eingerichtet. Dies scheiterte an politischem Widerstand: Für die Finanzierung der Transfergesellschaft wäre eine staatliche Bürgschaft nötig gewesen. Doch FDP-Politiker, insbesondere Bayerns damaliger Wirtschaftsminister Martin Zeil, lehnten ab.

Die Bundesagentur für Arbeit hat bis Anfang 2013 erfasst, wie viele ehemalige Schlecker-Mitarbeiterinnen eine Stelle gefunden haben. Demnach hatten sich 23500 ehemalige Schlecker-Beschäftigte arbeitslos gemeldet. Bis März 2013 hatten 11.400 eine sozialversicherungspflichtige Stelle gefunden. 9100 waren weiterhin arbeitslos oder in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie Weiterbildung. Andere gingen in Rente oder waren zu dem Zeitpunkt selbstständig.

Die Beschäftigten von Schlecker wurden nach dem Tarifvertrag für den Einzelhandel bezahlt, berichtet der Verdi-Funktionär Achim Neumann, der damals für das Unternehmen zuständig war. Damit war ihr Lohn höher als bei etlichen anderen Einzelhändlern. Vermittler der Arbeitsagenturen betonten, dass „der Arbeitsmarkterfolg der Schlecker-Arbeitslosen wesentlich von der Akzeptanz teils deutlicher Lohneinbußen abhänge“, heißt es in einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahr 2013. Tatsächlich hätten viele dann einen schlechter bezahlten Job angenommen, so Neumann. (rt.)

Nach der Pleite der Baumärkte von Praktiker und Max Bahr setzen der Betriebsrat und die Gewerkschaft Verdi durch, dass Transfergesellschaften eingerichtet werden, die den Entlassenen bei der Suche nach einer neuen Stelle helfen sollen. 8200 Ex-Beschäftigte durchlaufen ein sogenanntes Profiling, bei dem ihre Ausbildung und ihre Berufswünsche erkundet werden, berichtet Gernot Mühge, Geschäftsführer des Helex-Instituts, das die Praktiker-Studie verfasst hat. Rund 7600 Männer und Frauen entscheiden sich anschließend, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Es sind ausschließlich Leute, die in den Baumärkten eine sozialversicherungspflichtige Stelle hatten. Die rund 5000 Minijobber haben keinen Anspruch auf die Leistungen der Transfergesellschaften, weil sie nicht arbeitslosenversichert sind.

Neue Stelle oder arbeitslos?

Ralf Ninnemann hat in dem Berliner Max-Bahr-Markt als Verkäufer gearbeitet. Für ihn haben Transfergesellschaften klare Vorteile: Man komme relativ einfach an Bildungsangebote heran, sei nicht arbeitslos und habe mehr Geld. So erhielten die 7600 ehemaligen Baumarkt-Mitarbeiter einen befristete Arbeitsvertrag, der maximal über sechs Monate lief. Von der Bundesagentur für Arbeit gab es Kurzarbeiter-Geld in Höhe des Arbeitslosengeldes. Hinzu kam ein Zuschuss, der aus der Insolvenzmasse finanziert wurde, so dass die Leute 75 bis 80 Prozent ihres früheren Nettogehalts erhielten. Die Gläubiger akzeptierten diesen Zuschuss, um sicherzustellen, dass es genug motivierte Beschäftigte gibt, die den Abverkauf der restlichen Waren organisieren.

So konnten Träger der Transfergesellschaften in der ganzen Republik Büros eröffnen und mit den Entlassenen besprechen, welche Hilfe sie brauchen, ob ein Bewerbungstraining oder eine Fortbildung sinnvoll ist.

Das Bochumer Helex-Institut kommt nun in seiner Studie zu dem Schluss, dass die Transferträger insgesamt einen guten Job gemacht haben: „Sie haben dem Großteil der Betroffenen neue Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt eröffnet.“ So ergab eine Befragung von Transfer-Teilnehmern, dass im Frühjahr 2015 rund 68 Prozent der Leute eine neue sozialversicherungspflichtige Stelle hatten oder selbstständig waren. Rund 25 Prozent waren weiterhin arbeitslos oder in Umschulungen. 3,3 Prozent bezogen Rente, relativ wenige fanden lediglich einen Minijob. Die Vermittlungsquote sei ein Erfolg angesichts der relativ kurzen Transfer-Zeit von maximal sechs Monaten, sagt Marco Steegmann von der Gewerkschaft Verdi, der die Praktiker-Beschäftigten damals betreute.

Weniger Gehalt

Beim Gehalt mussten etliche allerdings Einbußen hinnehmen: 52 Prozent der Befragten gaben an, dass sie mit der neuen Arbeit weniger verdienen als zuvor. 25 Prozent haben sich finanziell verbessert.

Ralf Ninnemann wurde von der Bauhaus-Kette eingestellt, die in Berlin den Max-Bahr-Standort übernahm. Einige seiner ehemaligen Kollegen fingen hingegen nicht in der Filiale in Niederschöneweide an, erzählt Ninnemann. Manche wollten nicht, zudem gab es für die rund 60 Stellen Tausende Bewerbungen – es gab also schlicht viel mehr Interessenten als Stellen. Manche Berliner Max-Bahr-Leute seien an anderen Bauhaus-Standorten untergekommen oder in anderen Unternehmen, als Sachbearbeiter in Büros zum Beispiel. Einige wenige fanden laut Ninnemann keine Stelle, er erinnert sich etwa an zwei ältere, behinderte Menschen, die seines Wissens keinen neuen Job haben.

Erstaunlich ist, dass sich in der Helex-Befragung die meisten ehemaligen Praktiker- und Max-Bahr-Beschäftigten positiv über die Transfergesellschaft äußerten – und zwar unabhängig davon, ob sie erwerbstätig waren oder nicht. So erklärten rund 70 Prozent der Arbeitslosen, sie seien ganz oder eher zufrieden mit ihrem Transfer-Berater. Unter den Beschäftigten waren es mit 69 Prozent sogar etwas weniger.

Was Entlassene fürchten

Für viele Beschäftigte sei die Entlassung ein Schock, erklärt Helex-Chef Mühge. Manchmal gerate die Ehe in eine Krise, manchmal wüssten die Leute nicht mehr, wie sie ihr Haus abbezahlen sollen. Die Transfer-Berater könnten auf diese Probleme eingehen und die Leute in Ruhe beraten. Das würden die Teilnehmer honorieren.

Viele Entlassene hätten zudem Angst, dass sie sofort nach dem Stellenverlust unter Druck gesetzt werden. Sie würden dann schnell erfahren, dass dies in der Transfer-Gesellschaft nicht geschieht. Die Leute müssten zum Beispiel nicht den erstbesten Job annehmen, auch wenn er viel schlechter bezahlt ist. Für Arbeitslose gelten im Vergleich dazu schärfere Regeln: Laut Gesetz ist nach drei Monaten Arbeitslosigkeit eine Stelle zumutbar, die 30 Prozent niedriger vergütet wird als die vorherige Arbeit.Mühge hält es für sinnvoll, dass die Leute in Transfer-Gesellschaften frei von Sanktionsdrohungen beraten werden können. Denn: „Mit Druck motiviert man Jobsuchende nicht.“