Ein riesiges Schiefergas-Vorkommen liegt unter Deutschland. Doch die Debatte ums Fracking erhitzt die Gemüter. Ist Fracking wirklich eine Gefahr? Und lohnt es sich überhaupt wirtschaftlich? Wir beantworten alle wichtigen Fragen.
Fragen und AntwortenWie gefährlich und wie sinnvoll „Fracking“ wirklich ist
Fracking spaltet Land und Regierung. Bundeskanzler Olaf Scholz hat die heimische Schiefergas-Förderung zur „Fata Morgana“ erklärt und „Nein“ gesagt. FDP-Chef Christian Lindner fordert beharrlich die Aufhebung des Fracking-Verbotes. Umweltschützer gehen gegen solche Pläne auf die Barrikaden. Aber für den Import von „gefracktem“ Gas werden gigantische LNG-Terminals hochgezogen. Das jüngste wird am Samstag in Lubmin eröffnet. Scholz reist mit Vizekanzler Robert Habeck an.
Die Fracking-Debatte wird hierzulande mit Verweis auf Umweltschäden abgewürgt, dabei ist die Methode sicherer und sanfter geworden. Fürs Klima wäre die heimische Förderung allemal besser als das Herbeischaffen von LNG mit Riesentankern. Entscheidend müsste sein, ob unser Schiefergas die Versorgungssicherheit erhöhen und die Gaspreise senken könnte. Oder geht es um etwas ganz anderes? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie groß ist der ungehobene Schatz?
Fracking-Befürworter wie der Freiberger Professor Moh’d Amro sprechen von 2,5 Billionen Kubikmetern „nachgewiesenem Schiefergas“, das den deutschen Gasbedarf „theoretisch“ für 25 Jahre decken könnte. Eine gewagte These. Es gibt jedoch nur eine einzige gründliche bundesweite Potenzialabschätzung, und zwar von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) aus dem Jahr 2016. Das Ergebnis: Die „möglicherweise“ technisch förderbaren Schiefergasressourcen belaufen sich auf 300 Milliarden bis 2 Billionen, im Mittel auf 800 Milliarden Kubikmeter.
Warum die gewaltige Spannbreite?
„In Deutschland steht man erst am Anfang der Erkundung der Ressourcen“, sagt BGR-Schiefergasexperte Stefan Lagade. Die Vorkommen seien „nicht erfasst und nicht erforscht“, bestätigt der deutsche Gasförderer Wintershall Dea. Wie groß der Schatz wirklich ist, wurde also nie wirklich überprüft. Denn Fracking war verpönt und es gab Billiggas von Wladimir Putin.
Aus heutiger Sicht, nachdem Putin den Gashahn zugedreht hat, muss wohl die Frage erlaubt sein, wie dumm ein Land eigentlich sein kann, die eigenen Ressourcen zu vergessen. Die FDP hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kürzlich aufgefordert, das Potenzial erneut einschätzen zu lassen. Die dafür zuständige BGR hat aber noch keinen solchen Auftrag erhalten. Zur Einordnung: 2021 wurden in Deutschland 90,5 Milliarden Kubikmeter Gas verbraucht. Nimmt man das Mittel von 0,8 Billionen Kubikmetern Schiefergas in deutschem Boden, würde das den Bedarf von knapp neun Jahren decken.
Wann könnte wie viel Gas gefördert werden?
Zunächst müsste das Fracking-Verbot des Bundestages, wie von der FDP gefordert, aufgehoben werden. In einem zweiten Schritt müssten förderwillige Unternehmen eine umfassende Erkundung der Gasfelder vornehmen, inklusive Probebohrungen.
„Rein technisch“ sei davon auszugehen, dass „innerhalb von sechs Monaten ab Bohrbeginn die Produktion aufgenommen werden kann“, sagt Ludwig Möhring vom Vorstand des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG). Das hört sich nach rascher Ernte an. Die Industrie kalkuliert allerdings mit acht bis zehn Jahren für die Projektentwicklung eines einzigen Feldes, denn die Förderung ginge nur schrittweise, und die Genehmigungsverfahren setzten hohe Hürden. Bei der BGR heißt es daher vage, eine „signifikante Schiefergasförderung“ ließe sich „nicht kurzfristig“ realisieren.
Bei der BGR sind sie auch eher zurückhaltend, was den möglichen Beitrag zur Energieversorgung angeht. Seit der Jahrtausendwende ist die heimische Gasproduktion von 20 Milliarden auf 5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zurückgegangen. Mit Fracking könne dieser Trend lediglich „abgefedert“ werden, sagt Experte Lagade.
Der Industrieverband BVEG bewertet das ganz anders: „Wir halten eine jährliche Förderung von zehn Milliarden Kubikmetern oder mehr für realistisch“, sagt Vorstandsmitglied Möhring. Heute werden fünf Prozent unseres Gasbedarfs aus Eigenproduktion gedeckt, mit anderen Methoden als Fracking. Mit Fracking könne dieser Anteil laut Möhring „auf rund 20 Prozent“ gesteigert werden. Wirklich zu erhärten ist die Aussage nicht.
Könne Fracking die Braunkohle ersetzen?
Die Schiefergaserschließung durch hydraulische Bohrungen mit Chemikalien wurde hierzulande wegen der Sorgen um die Umwelt 2011 beerdigt. Es gab Horror-Meldungen über Fracking-Erdbeben. Dazu kommen klimaschädliche Methanaustritte und andere Probleme. Und kein Politiker wollte sich mit der Bevölkerung und Naturschützern anlegen.
Inzwischen wurde die Methode in den USA mehr als 200 Millionen Mal angewendet, und dabei wurden deutlich schonendere Verfahren entwickelt. Die Vorgängerregierung unter Kanzlerin Angela Merkel hatte deswegen eine Expertenkommission eingesetzt, um die Risiken eines Fracking-Comebacks bewerten zu lassen. In ihrem Abschlussbericht 2021 erteilte diese dem Fracking keine Rote Karte. Angesichts umweltverträglicherer Bohrungen und besserer Messinstrumente zur Erfassung möglicher Erdbeben-Risiken sei es an der Politik zu entscheiden. Statt wegen der Umweltbedenken pauschal „Nein“ zu sagen, riet die Kommission zu gründlichen Untersuchungen potenzieller Standorte über mindestens ein Jahr, einem sogenannten Baseline Monitoring. Der Bericht verschwand dann aber in der Schublade.
Während das Schiefergas also im deutschen Boden bleibt, wird an der viel klimaschädlicheren Braunkohle-Verfeuerung festgehalten, bis 2030 in NRW und womöglich sogar bis 2038 in der Lausitz. Auch dagegen regt sich massiver Widerstand, wie gerade in Lützerath zu beobachten ist. Die Diskussion, ob mit unserem Fracking-Gas umweltschonender Strom und Wärme erzeugt werden könnte als mit Braunkohle, wurde bislang nie ernsthaft geführt.
Wie steht Fracking im Vergleich mit LNG da?
Völlig unglaubwürdig werden die Klimaschutz-Einwände gegen heimisches Fracking, wenn man sein Heim stattdessen mit gefracktem Gas aus aller Welt heizt. Das muss nicht nur anderswo aus dem Boden geholt, sondern danach zu LNG verflüssigt, mit Tankern transportiert, an Deutschlands Terminals angelandet und „regasifiziert“ werden. „Rund 20 Prozent des Erdgases werden dafür benötigt“, sagt Ludwig Möhring vom Vorstand des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG). Man könnte auch „verschwendet“ sagen. Zudem würde bei der Eigenproduktion wegen höherer Umweltstandards hierzulande weniger CO2 in die Luft geblasen als in anderen Teilen der Welt, meint der Lobbyist.
Natürlich reicht das deutsche Schiefergaspotenzial auch in der Theorie bei Weitem nicht aus, um das ausgefallene russische Gas komplett zu ersetzen. Die entscheidende Frage ist aber, ob bei einem Rückgriff auf heimisches Fracking mittelfristig nicht deutlich weniger LNG eingekauft und importiert werden müsste. „Selbstverständlich“, lautet die Antwort beim BVEG. Der Verband hat zudem berechnet, dass eine Eigenförderung von jährlich zehn Milliarden Kubikmetern bei aktuellen Großhandelspreisen nicht nur mehr Versorgungssicherheit bringen, sondern auch eine heimische Wertschöpfung von „rund acht Milliarden Euro“ bedeuten würde. Sprich: Jede Menge Jobs, Kaufkraft und den Erhalt von Know how.
Welches Gas wäre voraussichtlich billiger?
Im vergangenen Oktober hatte sich Wirtschaftsminister Robert Habeck noch über „Mondpreise“ für LNG beschwert, die selbst „befreundete Staaten“ wie die USA von uns verlangten. Auch vor dem Hintergrund sagt BVEG-Vorstand Möhring: „Wir gehen davon aus, dass Schiefergas in Deutschland konkurrenzfähig mit importiertem LNG ist.“ Allerdings sind die Energiemärkte unvorhersehbar. Aktuell liegt der Preis wieder auf Vorkriegsniveau. Erste Versorger senken die Tarife drastisch. Hinzu kommt, dass niemand sagen kann, wie teuer die Förderung in Deutschland wirklich werden würde. „Was aus wirtschaftlicher Sicht förderbar wäre, ist völlig offen“, heißt es bei der BGR. Und auch bei Wintershall Dea wird konstatiert, dass die Wirtschaftlichkeit von Fracking in Deutschland bislang „nicht bestätigt“ sei: Es müssten schließlich satte Gewinne aus dem Gasverkauf reinkommen, und das über Jahre, damit sich die enormen Investitionen lohnen. Es geht also nicht um morgen, sondern um übermorgen und überübermorgen.
Und was ist mit der Versorgungssicherheit?
Wir hätten unser Gas sehr gut gebrauchen können. Aber die Politik hat die Frage nach Russlands Angriff auf die Ukraine anders beantwortet. Seitdem wird im Eiltempo eine gewaltige LNG-Infrastruktur hochgezogen.
Heute weihen Kanzler Olaf Scholz und Vizekanzler Robert Habeck in Lubmin schon das zweite Terminal ein. Und beide fliegen um den Globus, von Kanada bis Katar, um Gasverträge einzufädeln, und zwar mit sehr langen Laufzeiten. Beide sind zu Recht stolz darauf, für volle Gasspeicher gesorgt zu haben. Eine desaströse Gasmangellage ist abgewendet, die ganze Industriezweige ruiniert hätte. Das wäre mit Fracking-Gas nicht möglich gewesen. Und das käme auch für den nächsten und übernächsten Winter zu spät. Die in der Not beschlossene LNG-Politik hat allerdings Dimensionen und Konsequenzen, die erst allmählich erkennbar werden. Was gerade aus dem Boden gestampft, gechartert und eingekauft wird, stellt die Weichen für Jahrzehnte.
Plant Deutschland mit zu viel Flüssiggas?
Der Thinktank „New Climate Institut“ (NCI) hat sich genau angeschaut, welche Kapazitäten da gerade geschaffen werden: Habeck plant mit bis zu elf LNG-Terminals bis 2026, über die bis zu 73 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr nach Deutschland geschafft werden könnten. Das wären 27 Milliarden Kubikmeter mehr, als vor dem Krieg aus Russland gekommen sind. „Wenn alle geplanten Terminals in Betrieb sind, könnte Deutschland über Land und See fast zwei Drittel mehr Erdgas importieren, als derzeit verbraucht wird“, heißt es in einer aktuellen Studie des NCI. Mit anderen Worten: Fracking in Deutschland würde einer LNG-Infrastruktur Konkurrenz machen, die vielen schon jetzt völlig überdimensioniert vorkommt. Vor dem Hintergrund erscheint es sinnlos, jetzt noch in die heimische Schiefergasförderung einzusteigen.
Ist Fracking tatsächlich eine „Fata Morgana“?
So hatte der Kanzler das Fracking in Deutschland im Dezember genannt: „Wenn man ihr näher kommt, löst sie sich in Luft auf.“ Denn Investitionen in deutsche Schiefergasförderung würden sich kaum lohnen, weil es zu lange dauere, bis man heimische Quellen nutzen könne. „Bis dahin wird der Gasbedarf deutlich zurückgegangen sein.“
Fakt ist: Der Gasbedarf müsste zurückgehen, damit Deutschland seine Klimaschutzziele erreicht. Aber im aktuellen und maßgeblichen „Netzentwicklungsplan Gas“ der Bundesregierung ist bis 2032 lediglich ein Rückgang des Verbrauchs um ein Fünftel angesetzt. Und ein Plan ist noch lange nicht Realität. Auch Klima-Ökonomen sind sich sicher, das wir noch sehr, sehr lange Gas benötigen werden. Zur realen Gefahr wird gerade, das nicht schnell genug neue Gaskraftwerke gebaut werden.
Fakt ist auch, dass Scholz am 27. Februar 2022 die „Zeitenwende“ ausgerufen, einen Rückgriff auf heimische Gasreserven dabei aber schlicht ausgeklammert und voll auf LNG-Importe gesetzt hat. Er hat also selbst dafür gesorgt, dass sich die Fracking-Verheißung aus heutiger Warte tatsächlich in Luft auflöst.
„Denn ohne einen klaren und verlässlichen Rechtsrahmen, der ein stabiles und vorhersehbares Umfeld schafft, werden Öl- und Gasunternehmen weiterhin nicht die umfassenden Investitionen tätigen, die über viele Jahre hinweg notwendig wären, um das mögliche Potenzial des heimischen Schiefergases zu nutzen“, wie es Mark Fischer von Wintershall Dea formuliert.
Das ist die ganze Wahrheit über Fracking in einem Satz. Aber es ist eine politisch gemachte Wahrheit, weil das Potenzial ein Jahrzehnt lang ignoriert wurde, und weil LNG im vergangenen Frühjahr als bequemere Lösung erschien. Jetzt kommt das Aufbegehren der FDP zu spät. Der Fracking-Zug ist abgefahren.
Das Prozedere
Zunächst müsste das Fracking-Verbot des Bundestages, wie von der FDP gefordert, aufgehoben werden. In einem zweiten Schritt müssten förderwillige Unternehmen eine umfassende Erkundung der Gasfelder vornehmen, inklusive Probebohrungen.
„Rein technisch“ sei davon auszugehen, dass „innerhalb von sechs Monaten ab Bohrbeginn die Produktion aufgenommen werden kann“, sagt Ludwig Möhring, Vorstandsmitglied des Energie-Industrieverbandes BVEG. Das hört sich nach rascher Ernte an. Die Industrie kalkuliert jedoch mit acht bis zehn Jahren für die Projektentwicklung eines einzigen Feldes, denn die Förderung ginge nur schrittweise, und die Genehmigungsverfahren setzten hohe Hürden. Bei der Bundesanstalt BGR heißt es deshalb vage, eine „signifikante Schiefergasförderung“ ließe sich „nicht kurzfristig“ realisieren.
Bei der BGR sind sie auch eher zurückhaltend, was den möglichen Beitrag zur Energieversorgung angeht. Seit der Jahrtausendwende ist die heimische Gasproduktion von 20 Milliarden auf 5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zurückgegangen. Mit Fracking könne dieser Trend lediglich „abgefedert“ werden, sagt Experte Lagade.
Der BVEG bewertet das ganz anders: „Wir halten eine jährliche Förderung von zehn Milliarden Kubikmetern oder mehr für realistisch“, sagt Vorstandsmitglied Möhring. Heute werden fünf Prozent unseres Gasbedarfs aus Eigenproduktion mit anderen Methoden gedeckt. Mit Fracking könne dieser Anteil laut Möhring „auf rund 20 Prozent“ gesteigert werden. Zu erhärten ist die Aussage aber nicht. (tob)