Unter dem Begriff Hexensabbat werden die wenigen Tage im Jahr zusammengefasst, an denen die Börse ungewöhnlich reagiert. Warum das nach der EZB-Entscheidung der Fall ist, zeigt unser Überblick.
EZB-Entscheidung mit FolgenWas man an der Börse unter einem Hexensabbat versteht
Am Tag nach der Zinsentscheidung tanzen die Hexen auf dem Börsenparkett in Frankfurt, es ist ein Freitag des Hexensabbats. Das sind wenige Tage im Jahr, an denen die Kurse oft unerklärliche Kapriolen machen. Der Grund: Es werden Wetten an den Terminmärkten fällig, sogenannte Optionen und Futures.
Futures sind Verträge die vorsehen, zu einem festgelegten Zeitpunkt in der Zukunft Aktien zu einem vorher festgelegten Preis zu handeln. Und weil an den Tagen des Hexensabbats diese Zeitpunkte liegen und die Wetten abgerechnet werden, versuchen Investoren noch bis zum Showdown um 13 Uhr die Kurse in letzter Minute möglichst noch in eine für sie günstige Richtung zu bewegen.
„Nur eine Momentaufnahme“
Um ein ähnliches Spiel geht es bei Optionen. Sie bieten das Recht, aber nicht die Pflicht, Aktien zu einem bestimmten Zeitpunkt zu kaufen oder verkaufen. Wie sehr sich diese Termingeschäfte im Börsenhandel auswirken, zeigt der letzte sogenannte „große Verfall“ dieser Wetten im September: Allein im wichtigsten Börsenindex Dax wechselten rund 150 Millionen Aktien die Besitzerin und den Besitzer. Das Volumen dieser Transaktionen lag bei fast sieben Milliarden Euro. Zum Vergleich: In den vergangenen Wochen handelten Investoren in diesem Marktsegment im Durchschnitt 65 Millionen Aktien mit einem Volumen von im Schnitt „nur“ knapp drei Milliarden Euro. Neben den vier großen Verfallstagen im Jahr, jeweils an Freitagen zum Ende des Quartals, gibt es auch noch kleinere Verfallstage an der Börse. Das sind die Tage, an denen nur Optionen auf Einzelaktien und Indices abgerechnet werden. Das geschieht alle vier Wochen.
Robert Halver, Aktienstratege bei der Baader Bank, kennt das Phänomen, hält es aber für etwas überbewertet – gerade in diesen Tagen. „Man sagt, am Hexensabbat spielen die Kurse verrückt, ja. Doch das ist nur eine Momentaufnahme. Heute sind andere Themen viel wichtiger, die uns beschäftigen, zum Beispiel Zinspolitik und Konjunktur.“
In der Tat war Börsianern wie ihm an diesem Hexensabbat wenig zum Tanzen zumute. Die Aktienkurse fielen zum Abrechnungstermin, und auch im übrigen Tagesverlauf ging es vergleichsweise deutlich nach unten. Es handelte sich um ein kleines Nachbeben in einer insgesamt bewegten Woche für Anleger und Investorinnen an der Börse.
EZB geht gegen die Inflation vor
Denn mit dem Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank (EZB) und der anschließenden Pressekonferenz von EZB-Chefin Christine Lagarde sind alle noch vorhanden gewesenen Zweifel beseitigt worden: Die EZB wird sehr entschlossen und tatkräftig die Inflation bekämpfen. In Aussicht stehen mindestens zwei weitere Zinsanhebungen um ein halbes Prozent bei den kommenden zwei Treffen der Notenbanker des Euroraums. Und den Andeutungen und Ausführungen Lagardes zufolge könnten die Zinsen sogar darüber noch weiter steigen. „Wir schwanken nicht, wir wanken nicht“, bekräftigte ChristineLagarde am Donnerstag. Man müsse gegenüber der Inflation noch einiges an Boden gutmachen und weitergehen, es handele sich um ein „langes Spiel“.
Das sorgte für lange Gesichter an den Börsen. Denn tags zuvor hatte bereits Jerome Powell, Präsident der Federal Reserve (FED), der mächtigsten Notenbank der Welt, eine weitere Zinsanhebung von einem halben Prozent verordnet. Seine Aussagen deuten darauf hin, dass auch die amerikanische FED eine Rezession in Kauf zu nehmen bereit ist, wenn man damit die Inflation in den Griff bekommt.
Anleihen werden nun wieder attraktiver
Jedenfalls bringen die noch absehbaren Zinsanhebungen Aktienkurse unter Druck, weil mit steigenden Zinsen andere Anlageklassen attraktiver werden – insbesondere Anleihen. „Setzt sich die Marktwahrnehmung eines ,höher für länger’ beim Zinsausblick durch, würde das zunächst für eine Phase schwächerer Börsen und festerer Renditen an den Rentenmärkten sprechen“, sagt der Chefvolkswirt der Deka Bank Ulrich Kater.
Bislang galt die EZB als Hort der „Tauben“, die für eine expansive Geldpolitik stehen im Gegensatz zu den Falken, die höhere Zinsen und eine straffere Geldpolitik bevorzugen. Das hat sich in dieser Woche geändert. Der Chefvolkswirt der ING, Carsten Brzeski, zeichnet von diesem Wandel ein eingängiges Bild. „Die Zeiten, in denen Tauben Einfluss auf die EZB hatten, sind definitiv vorbei. Es sieht danach aus, als würde die EZB zum Weihnachtsessen Tauben verschlingen“.