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Verbraucherschützerin im Interview„Gas wird trotz Bremse doppelt so teuer“

Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - 16.08.2022, Berlin: Ramona Pop, Vorstandsvorsitzende der Verbraucherzentrale des Bundesverbandes (vzbv), spricht in einem dpa-Interview.

Fordert ein Moratorium für Gas- und Stromsperren: Verbraucherschützerin Ramona

Was bringen Gas- und Strompreisbremse, die die Ampel in wenigen Tagen beschließt, wirklich? Wer braucht mehr Hilfe vom Staat, wer bekommt zu viel? Verbraucherschützer-Chefin Ramona Pop gibt Antworten.

Frau Pop, die Regierung will Bürger und Unternehmen mit bis zu 200 Milliarden Euro gegen die Energiepreisexplosion schützen. Ist das nicht toll?

Es ist gut, dass sich die Regierung auf den Weg gemacht hat, die Menschen vor den enorm hohen Preisen zu schützen. Aber viele Entscheidungen stehen noch aus, die versprochenen Summen sind nicht komplett im Haushalt hinterlegt. Und für viele kommt die Hilfe zu spät.

Was hören Sie aus den Beratungsstellen der Verbraucherzentralen?

Die Menschen, die sich an uns wenden, sind extrem verunsichert, nicht wenige sind verzweifelt, weil sie schon jetzt teils ein Vielfaches des Bisherigen für Gas und Strom bezahlen müssen – aber oft schlicht nicht können. Weitere drastische Preissteigerungen sind ja zum Jahreswechsel bereits angekündigt.

Sind die Sorgen vor Strom- oder Gassperren und womöglich sogar Wohnungskündigungen angesichts des Scholz’schen „Doppelwumms“ denn wirklich berechtigt?

Was heißt berechtigt? Es gibt etliche Verbraucherinnen und Verbraucher, denen das Wasser bis zum Hals steht und die einfach Angst haben, bald im Kalten und Dunkeln zu sitzen. Schon jetzt sparen ja viele enorm an Energie, weil sie die hohen Preise fürchten. Die Sorgen sind also erst einmal sehr real. Es ist ja gut, dass es einen Härtefallfonds geben soll. Nur weiß noch niemand genau, wie diese ausgestaltet werden und wie man da rankommt. Darum brauchen wir ein Moratorium für Gas- und Stromsperren für diesen Winter. Das würde den Menschen, die trotz finanzieller Unterstützung ihre Energierechnung nicht bezahlten können, endlich Sicherheit geben, auch emotional. Denn auch wenn Vieles in der Mache ist: Die Furcht, eben nicht aufgefangen zu werden, quält ganz, ganz viele Menschen. Deswegen unser Ruf nach einem schnellen Signal.


Zur Person

Ramona Pop (45) ist seit diesem Juli Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv). Zuvor war die Grünen-Politikerin von 2016 bis 2021 Berliner Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe im Kabinett des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD). (tob)


Noch ringen Minister und Kanzler um letzte Einzelheiten der Gaspreisbremse. Haben Sie schon einen Durchblick, ob das Heizen in diesem Winter nun doppelt so teuer, dreimal so teuer oder gar nicht viel teurer wird?

Es ist abzusehen, dass der Staat erhebliche Hilfe bereitstellen wird. Aber unter dem Strich werden die Rechnungen für den Einzelnen höher ausfallen. Gas wird trotz Bremse etwa doppelt so teuer bleiben wie in 2021. Die Discountpreise von früher sind Vergangenheit. Wer Geld sparen will oder muss, kommt am Energiesparen nicht vorbei, wenn das möglich ist.

Wo muss die Ampel ihre Pläne nachbessern?

Wir fordern insbesondere Ergänzungen für diejenigen, die mit Öl oder Pellets heizen. Sie müssen im gleichen Umfang wie Gaskunden unterstützt werden und dürfen nicht hinten rüberfallen. Auch den Fernwärmebereich haben wir uns genauer angeschaut und festgestellt: Viele Fernwärmeanbieter sind maximal intransparent bei ihren Preisen und Preiserhöhungen. Die Kartellbehörden müssen das unbedingt schärfer in den Blick nehmen, um Abzocke zu verhindern. Aber auch der Gesetzgeber ist gefordert, den Fernwärmesektor viel verbraucherfreundlicher zu regulieren. Es gibt schlicht keine genauen Vorgaben, welche Preissteigerungen zulässig sind und welche nicht und wie die Kunden darüber informiert werden müssen. Das ist ein echtes Dunkelfeld und das entwickelt sich zu einem enormen Problem, gerade in Ballungsgebieten. Zudem erwarten wir, dass die Bundesregierung bei der Gaspreisbremse nicht den Fehler wiederholt, die Mieterinnen und Mieter schlechter zu stellen.

Finden Sie es nicht skandalös, dass Villenbesitzer mit subventioniertem Gas ihren Whirlpool heizen können, Familien in schlecht isolierten Mietwohnungen aber womöglich draufzahlen müssen?

Natürlich ist uns das ein Dorn im Auge. Wir haben auf sozial gestaffelte Direktzahlungen gedrungen, leider ohne Erfolg. Die USA schaffen das, die Österreicher auch, nur bei uns dauert es angeblich noch anderthalb Jahre, bis der Staat Überweisungen an Haushalte hinbekommt. Das muss schneller gehen, um gerechter helfen zu können. Denn es stimmt: Von der Gaspreisbremse profitieren Haushalte mit höherem Verbrauch deutlich mehr als Geringverdiener. Immerhin müssen Besserverdiener die Unterstützung versteuern. Das wird die soziale Unwucht wenigstens etwas abmildern.

Fällt die Wärmepumpen-Offensive eigentlich ins Wasser, weil der Strom dafür viel zu teuer ist?

Die Gefahr besteht in der Tat. Denn wenn das Heizen mit Gas, Öl oder Pellets am Ende des Tages erschwinglicher ist, wird die Beschaffung der sinnvollen, aber teuren Wärmepumpen natürlich abgewürgt. Daher fordern wir eine Obergrenze für Wärmestrom-Tarife. Den Preis für „normalen“ Strom will die Ampel auf 40 Cent je Kilowattstunde deckeln. Für Strom zum Heizen braucht es einen Deckel bei 30 Cent. Ich hoffe, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner haben dafür offene Ohren.