Bis 2040 braucht Deutschland jährlich rund 288.000 neue internationale Beschäftigte, errechnet eine Studie.
Bertelsmann-StudieZahl der Arbeitskräfte sinkt ohne Zuwanderung bis 2040 um zehn Prozent
Der Arbeitsmarkt in Deutschland wird einer Studie zufolge in den kommenden Jahrzehnten auf Arbeitskräfte aus dem Ausland setzen müssen, um die Bedarfe zu decken. „Ohne Zuwanderung sinkt die Zahl der Arbeitskräfte in Deutschland bis 2040 um zehn Prozent“, erklärte die Bertelsmann Stiftung in Gütersloh am Dienstag. Demnach braucht es bis 2040 jährlich rund 288.000 neue internationale Beschäftigte.
Der Studie zufolge wird die Zahl der Arbeitskräfte ohne zusätzliche Migrantinnen und Migranten bis 2040 von derzeit 46,4 Millionen auf 41,9 Millionen zurückgehen. Bis 2060 wären es der Prognose nach 35,1 Millionen.
Aktuell falle die Erwerbsmigration erheblich geringer aus als benötigt. Hemmnisse müssten abgebaut und Bedingungen für Migranten verbessert werden, sagt die Stiftungsexpertin für Migration, Susanne Schultz.
Zuwanderungsbedarf kann sich je nach Bundesland unterscheiden
„Der demografische Wandel, der mit dem Ausscheiden der Babyboomer in den kommenden Jahren den deutschen Arbeitsmarkt vor große Herausforderungen stellt, erfordert auch Zuwanderung“, erklärte Susanne Schultz von der Bertelsmann Stiftung. Gleichzeitig müsse das inländische Potenzial entwickelt und erhöht werden.
Je nach Bundesland kann sich der Zuwanderungsbedarf laut Studie deutlich unterscheiden. Besonders stark wäre der Rückgang der Arbeitskräfte in Thüringen, Sachsen-Anhalt und im Saarland. Weniger deutlich betroffen wären Hamburg, Berlin oder Brandenburg.
29-Jähriger aus Syrien verlässt Deutschland – als gut ausgebildeter IT-Spezialist
Der Blick auf ein Beispiel kann ernüchtern. So schildert ein 2016 aus Syrien geflüchteter, heute 29-Jähriger der Deutschen Presse-Agentur, er habe einen Bachelor und Master an Hochschulen in Nordrhein-Westfalen geschafft – und verlasse Deutschland als gut ausgebildeter IT-Spezialist jetzt trotzdem. Er gehe in die Schweiz, sagt er.
„Ich habe hier Topleistungen gebracht, um als gleichwertig wahrgenommen zu werden, aber ich habe mich diskriminiert und abgelehnt gefühlt.“ Im sozialen Leben, Studienumfeld und Nebenjob sei ihm viel Abwertung begegnet. Trotz Nebentätigkeit in einem Institut und sehr guten Master-Abschlusses habe er kein adäquates Jobangebot erhalten: „Ich möchte auf Augenhöhe behandelt werden, aber ich möchte nicht darum betteln.“
Expertin Schultz meint, der Fall stelle „leider keinen totalen Ausreißer“ dar. „Deutschland kann sich so etwas nicht leisten und muss attraktiver werden.“ Die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte müsse intensiver werden, Hürden seien abzubauen, mahnt auch die Untersuchung.
Arbeitskräfte werden in fast allen Bereichen gesucht
„Deutschland hat mittlerweile ein sehr liberales Einwanderungsgesetz“, sagt die Wissenschaftlerin mit Blick auf das reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz. „Es muss allerdings viel besser in die Praxis umgesetzt werden.“ Bürokratie und Personalmangel, auch in Ausländerbehörden, seien Barrieren.
Zudem sei ein mentaler Wechsel in so mancher Behörde geboten - „deutlicher weg von restriktiver, ablehnender Haltung hin zu aktivem Willkommen“. Es sei mehr Wissen über Rekrutierung im Ausland oder über Beurteilung von ausländischen Qualifikationen nötig. „Es gibt aber auch Erfolgsgeschichten. Vieles läuft extrem gut.“ Es würden Arbeitskräfte in fast allen Branchen gesucht – darunter Bau und Handwerk, Pflege- und Gesundheit, Tourismus und auch stark im IT-Bereich.
Bertelsmann Stiftung: Ausgeprägte Willkommenskultur fehlt
Das reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz biete neue Möglichkeiten für interessierte ausländische Arbeitskräfte. Diese werden laut Bertelsmann Stiftung aber „ohne eine ausgeprägte Willkommenskultur in Behörden, Unternehmen und Kommunen sowie längerfristige Bleibeperspektiven“ nicht kommen.
Grundlage der Studie von Alexander Kubis vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und Lutz Schneider von der Hochschule Coburg waren den Angaben nach Zahlen des IAB und des Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). (dpa/afp)