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Sprit-PokerWie die schwankenden Preise an der Tankstelle zustande kommen

Lesezeit 7 Minuten
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Die Preistafel einer Tankstelle zeigt die aktuellen Preise Diesel und Benzin an.

  1. Jeden Tag springen die Benzinpreise scheinbar ziellos auf und ab.
  2. Kostenbewusste Autofahrer wähnen sich in einem Glücksspiel, doch das Gebaren der Mineralölkonzerne folgt einer präzisen Logik.
  3. Welcher genau? Wir decken auf.

Eine Aral-Tankstelle im Kölner Norden vor wenigen Wochen, es ist ein trüber Januar-Tag: Um kurz nach acht Uhr am Morgen zeigt die Preistafel einen Litertarif für Diesel von 1,42 Euro an. Drei Stunden später ist die Ware schon für 1,31 Euro zu haben. Am Nachmittag gegen drei Uhr zeichnet die Tankstelle 1,36 Euro aus, am Abend um acht Uhr noch 1,28 Euro. Ein Autofahrer, der an diesem Tag 50 Liter Diesel tankt, zahlt während des Preismaximums stattliche sieben Euro mehr als zur günstigsten Zeit.

Es sind die alltäglichen Konditionenkapriolen an einer gewöhnlichen Tankstation in Deutschland im Jahr 2020. Auch wenn die Debatten um alternative Antriebsformen oder um CO2-Preise die Frage in den Hintergrund gerückt haben, wie sich Benzinpreise am Tankstellenmarkt bilden, so erscheint dieses Thema vielen Autofahrern doch als Mysterium. Tatsächlich bilden die Preiskurven ein kryptisches, manchmal abenteuerliches Auf und Ab. Die Autofahrerlobby ADAC jedenfalls stöhnt, es werde „immer undurchsichtiger und rätselhafter“.

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Eine vor gut sechs Jahren vollzogene Zäsur am Tankstellenmarkt, die Einrichtung einer Infoplattform mit dem Namen „Markttransparenzstelle für Kraftstoffe“ (MTS-K), zeigt zunehmend spürbare Folgen. Der Sprit-Poker hat jedoch Methode – wer sie verinnerlicht, kann viel Geld sparen.

Was sollte die Einführung der Transparenzstelle bezwecken?

Am 1. Dezember 2013 nahm die MTS-K ihren Regelbetrieb auf. Gut ein Jahr zuvor hatte der Bundestag durch eine Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen den Weg für eine solche Instanz innerhalb des Bundeskartellamtes frei gemacht. Das Ziel: Verbraucher sollten einen bestmöglichen Überblick erhalten, um günstige Tankstellen zu erkennen und teure zu umfahren. Alle Stationen hierzulande sind seither verpflichtet, ihre aktuellen Preise für die Kraftstoffe Super E5, Super E10 und Diesel an die MTS-K zu melden. Die Plattform reicht die Daten an Informationsdienste durch, die ihrerseits Webseiten oder Apps betreiben. Derzeit sind 59 solcher Dienste zugelassen, sie haben Namen wie „Tankprofi“ oder „Spritradar“ und bieten eine Reihe an Nutzerfunktionen, etwa spezielle Such- oder Sortiermenüs.

Was hat sich an der Preispolitik seither besonders verändert?

Der Ökonom Steffen Eibelshäuser von der Goethe-Universität Frankfurt konstatiert in erster Linie eine größere Sprunghaftigkeit, die sich in jüngster Zeit noch erheblich verstärkt habe. „Die Preisschwankungen haben in den vergangenen Jahren an deutschen Tankstellen zugenommen“, sagt er. Mittlerweile änderten die Betreiber zwischen zehn und 15 Mal am Tag ihre Auszeichnungen. Eine Studie des ADAC kommt zu dem Ergebnis, dass die Tarife meist morgens zwischen sechs und acht Uhr am höchsten sind, dann fallen sie, um am späten Vormittag wieder zu steigen. Es folgen zwei weitere Preisspitzen im Tagesverlauf. Abends zwischen 18 und 22 Uhr ist Tanken laut ADAC am günstigsten, dann rufen die Stationen im Schnitt 7,5 Cent pro Liter weniger ab als morgens. Das Bundeskartellamt erklärte im jüngsten Jahresbericht der MTS-K, die Differenz zwischen dem Tagesmaximum und -minimum an einer einzelnen Tankstelle betrage häufig mehr als zehn Cent pro Liter.

Was sind die Hauptursachen für die hohen Schwankungen?

Eibelshäuser hält die Autofahrer hierzulande im internationalen Vergleich für äußerst preissensibel. „Deutschland ist auch beim Tanken das Land der Schnäppchenjäger“, sagt der Ökonom. Die Zulassungsstatistiken der Fahrzeugbauer, die etwa Absatzrekorde für SUVs ausweisen, lassen zwar den Schluss zu, dass immer mehr Autokäufern der Spritverbrauch ihrer Fahrzeuge herzlich egal ist. Doch an den Tankstellen scheinen viele Menschen ihr Kostenbewusstsein zu entdecken. Laut Eibelshäuser zeigen vor allem die hohen Nutzungszahlen der Informationsdienste, dass ein großer Anteil der Autofahrer tatsächlich Benzinpreise vergleicht und auch Umwege für günstigere Stationen in Kauf nimmt. Damit hätten Tankstellen einen Anreiz, preislich „stets auf der Höhe des Geschehens zu bleiben“. Diese Umtriebigkeit falle ihnen durch die mit der MTS-K entstandene Transparenz auch selbst leichter, die Anbieter könnten hoch automatisiert und digitalisiert auf geänderte Tarife naher Konkurrenten reagieren.Mittlerweile setzen nahezu alle Wettbewerber spezielle Software für die Preisgestaltung ein. Aral/BP etwa unterhält in der Bochumer Zentrale eine Pricing-Abteilung, die die Auszeichnungen so bundesweit steuert.  „Nur ganz wenige freie Tankstellen, typischerweise Tankautomaten ohne Shop, führen das Pricing noch händisch durch“, sagt Eibelshäuser.

Nach welchem Muster agieren die Tankstellenbetreiber?

Während ein Sprecher von Aral/BP ebenso wie eine Sprecherin von Shell im Kern erklärt, dass die Unternehmen die Preise auf der Basis der Beschaffungskosten und des Wettbewerbsumfeldes einer Station kalkulieren, will sich Esso nicht zum Thema äußern. Für die Verbraucher mögen die Preissprünge verwirrend erscheinen, sie folgen aber nicht nur einem festen Schema, sondern auch einer präzisen Logik. Einerseits unterbieten sich laut Eibelshäuser die Konkurrenten „immer schneller und aggressiver“, andererseits haben sie zuletzt „mehr und mehr Preiserhöhungsrunden pro Tag eingeführt“. Eine kartellähnliche Koordination kann der Ökonom nicht erkennen, denn die Erhöhungen seien „paradoxerweise das Resultat des intensivierten Wettbewerbs“. Durch das wechselseitige Unterbieten sinke ein Preis schnell auf ein Niveau nahe der Einkaufskosten, das Geschäft werde so unrentabel. Einzelne Tankstellen erhöhten in dieser Lage wieder ihren Tarif, andere zögen unmittelbar nach. „Und von dem hohen Preis aus geht das Unterbiete-Spielchen von vorne los“, sagt der Ökonom. Ralf Dewenter, Wissenschaftler an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, sagt, dass die Tarife in diesem täglichen Procedere deutlich schneller steigen als fallen.

Warum sind Kraftstoffpreise morgens höher als abends?

Das steigende Verkehrsaufkommen am Morgen sorgt unmittelbar für einen anziehenden Bedarf nach Kraftstoff. Die folglich erhöhte Nachfrage lasse typischerweise auch die Preise steigen, sagt Dewenter. Nun könnte man einwenden, dass mit den abendlichen Pendlerströmen Nachfrage wie Preise entsprechend anziehen müssten. Laut Eibelshäuser ist am Morgen aber ein größerer Teil der Autofahrer wegen des dann höheren Zeitdrucks nicht gewillt, günstigere Stationen anzufahren, was die Anbieter ausnutzen. Hinzu komme, dass bundesweit etwa 60 Prozent der Stationen über die Nacht hinweg keinen Betrieb aufrechterhält. „Für solche Tankstellen lohnt sich abends keine Preiserhöhungsrunde mehr“, sagt Eibelshäuser. Dies wiederum habe einen wettbewerblichen Einfluss auf Tankstellen, die nachts geöffnet hätten. Allerdings werden die Preise gern am späten Abend von den in den Nachtstunden aktiven Stationen noch einmal angehoben. Dewenter erklärt das Kalkül so: „Wer nachts tankt, hat meist keine andere Wahl.“

Wie entwickeln sich Benzinpreise relativ zu Rohölpreisen?

Kraftstoffpreise werden im Wesentlichen durch vier Faktoren bestimmt: Rohölpreis, US-Dollarkurs, Transportkosten, Steuern. Das Bundeskartellamt erklärte zuletzt, dass sich die Spritpreise in der jüngeren Vergangenheit weitgehend parallel zu den Rohölnotierungen entwickelt haben. Nennenswert vergrößert habe sich der Abstand allenfalls in Phasen gestiegener Transportkosten, etwa aufgrund sehr niedriger Rheinpegel. Auch Eibelshäuser hat seit der Einführung der MTS-K „keine signifikante Erhöhung der Benzinpreise relativ zu den Öl- und Einkaufspreisen“ festgestellt. Im Frühjahr 2019 waren die Notierungen für ein Fass Rohöl etwa aufgrund einer Produktionsstagnation in mehreren Förderländern von rund 50 auf gut 70 Dollar gestiegen, dann bis zum Herbst in Folge einer nachlassenden Weltkonjunktur wieder auf gut 60 Dollar gesunken. Zuletzt haben die Spannungen zwischen den USA und dem Iran den Preis wieder auf über 70 Dollar steigen lassen, derzeit liegt er bei rund 65 Dollar. Der Eurokurs hat sich in den vergangenen zwölf Monaten relativ stabil zwischen 1,10 und 1,15 US-Dollar bewegt.

Aktuell sind im Tankstellenpreis 19 Prozent Umsatzsteuer enthalten, hinzu kommt für jeden verkauften Liter die Mineralölsteuer in Höhe von 47 Cent bei Diesel und 65 Cent bei Super-Benzin.

Faktencheck: Drei Mutmaßungen zum Benzinpreis

In den Ferien zahlt man mehr

Das war früher eine Normalität an den deutschen Tankstellen, doch dies scheint Geschichte zu sein. Laut Bundeskartellamt hat es in den vergangenen Jahren keine wesentlichen Preisniveausteigerungen mehr während der Ferienzeiten gegeben.

Premium lohnt sich

Das weiß man nicht so genau. „V-Power“, „Ultimate“ oder „Supreme“ – solche Premium-Kraftstoffe sollen den Herstellern zufolge eine besondere Schonung der Motoren gewährleisten. Die Produkte haben allerdings auch einen besonderen Preis, ein Aufschlag von 20 Cent pro Liter gegenüber herkömmlichem Super-Kraftstoff oder Diesel ist keine Seltenheit. Eine Shell-Sprecherin sagt, dass die in den Premiumprodukten verwendeten Zusatzstoffe helfen, Reibung und Schmutz im Motorraum zu reduzieren. Laut Aral/BP sorgen eigens erforschte, spezielle Additive „bei regelmäßiger Anwendung für die Reinigung verschmutzter Ventile oder Einspritzdüsen“. Ob Premiumsprit den höheren Preis rechtfertigt, daran hat zumindest der ADAC seine Zweifel. Die Kraftstoffe schadeten zwar den Motoren nicht, die propagierte Wirkung sei aber „extrem schwer nachzuprüfen“, erklärt die Autofahrerlobby. Auch die Autofahrer selbst zeigen sich zurückhaltend: Shell und Esso nennen keine Verkaufszahlen, laut Aral/BP liegt der Absatzanteil dieser Produkte im „einstelligen Prozentbereich“.

An der Autobahn ist es teuer

Stimmt. Die Tarife an den Autobahnstationen sind weiterhin deutlich höher als andernorts. Der ADAC hat festgestellt, dass ein Liter Super E10 hier im Schnitt gut 21 Cent mehr kostet als an den Tankstellen des sonstigen Straßennetzes, bei Dieselkraftstoff beträgt der Aufschlag sogar rund 24 Cent. (hs)