Die Bundesregierung will sparen - in fast allen Ressorts. Caritas-Präsidentin Eva-Maria Welskop-Deffaa warnt vor sozialem Kahlschlag in Deutschland.
Sparbeschlüsse der BundesregierungCaritas-Präsidentin warnt vor sozialem Kahlschlag
Die Bundesregierung schnallt ihren Gürtel enger. Fast alle Ministerien müssen weniger Geld ausgeben, darunter auch diejenigen, die den Sozialstaat verwalten: das Ministerium für Arbeit und Soziales, das Gesundheitsministerium und das Ministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend. Caritas-Präsidentin Eva-Maria Welskop-Deffaa sieht schmerzhafte Einschnitte auf soziale Einrichtungen zukommen.
Frau Welskop-Deffaa, im neuen Bundeshaushalt wird bei den Zuschüssen für soziale Dienste, wie sie die von Ihnen geleitete Caritas erbringt, kräftig gespart. Es drohen Einschnitte beim Freiwilligen Sozialen Jahr, bei Hilfen für junge Familien und vieles mehr. Wie geht es Ihnen damit?
Ich bin irritiert darüber, dass diese Einsparungen in der öffentlichen Debatte kaum stattfinden. Stattdessen werden Phantomdebatten, etwa über Sachleistungen für Geflüchtete, geführt.
Dass nicht über Sozialpolitik diskutiert wird, kann man aber auch nicht sagen. Da war zum Beispiel die Kindergrundsicherung.
Ja, wir hatten innerhalb der Bundesregierung Streit über die Kindergrundsicherung, der viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Aber dass das Kabinett einvernehmlich einen Bundeshaushalt 2024 vorgelegt hat, der tiefe Einschnitte in die soziale Infrastruktur mit sich bringt, dazu habe ich wenig Schlagzeilen gelesen. Die Kürzungen in den Etats der zuständigen Ministerien, dem Arbeitsministerium, dem Familienministerium und dem Gesundheitsministerium betreffen so viele Menschen! Gerade die ausfallenden Leistungen des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend muss man sich dringend genau anschauen, denn es ist das Lebensweltenministerium. Wenn wir möchten, dass das Soziale in den Lebenswelten der Menschen auch morgen funktioniert, brauchen wir dort eine auskömmliche Finanzierung.
Abgesehen vom Verteidigungsministerium müssen fairerweise alle Ministerien sparen.
An den Knotenpunkten im sozialen Netz zu sparen, gefährdet unsere Sicherheit. In Krisenzeiten brauchen die Menschen verlässliche Unterstützungsangebote. Wenn wir mal beim Familienministerium bleiben: Es wird zum Beispiel bei der Digitalisierung der Wohlfahrtspflege gespart. Menschen, die in Not sind, suchen Hilfsangebote wie die Schuldnerberatung längst nicht mehr nur in ihrer Nachbarschaft, sondern auch im Netz. Wenn die gemeinnützigen Anbieter wie wir ihre digitalen Angebote nicht ausbauen können, überlassen wir die digitalen Lebenswelten denen, die dort ihren Gewinn maximieren. Oder schauen wir auf den Kinder- und Jugendplan. Dort werden mehr als 40 Millionen Euro eingespart. Eine Riesensumme.
Wie würde sich letztere Einsparung äußern?
Genau die Angebote, die Jugendliche jetzt nach der Pandemie besonders dringend brauchen, zum Beispiel die Jugendsozialarbeit, sind betroffen. Fünf Millionen fehlen für die Bundesstiftung Frühe Hilfen, die junge Familien psychosozial unterstützt. „Respect Coaches“ an den Schulen, Integrationshilfen in der Jugendmigrationsberatung – überall wird gekürzt, und ich könnte noch lange weitermachen.
Ganz konkret: Mit welchen Folgen rechnen Sie?
Sehr viele, gerade kleinere soziale Angebote werden schließen müssen. Das heißt: Auf dem Weg zur Arbeit werden Sie spürbar seltener das Schild der Arbeiterwohlfahrt, der Diakonie oder der Caritas sehen, das Ihnen zeigt: Hier ist eine offene Tür. Hier wird dir in schwierigen Umständen geholfen. Gerade bei Menschen, die es sowieso schon schwer haben, wird das eine zusätzliche Unsicherheit in ihr Leben bringen. Diese Unsicherheit macht empfänglicher für hetzerische Rhetorik, wie sie von der AfD kommt.
Wollen Sie denn woanders sparen, Schulden machen oder die Einnahmen über höhere Steuern für wen auch immer erhöhen?
Die Wirtschaft schwächelt, was zu niedrigen Steuereinnahmen führen wird, und Herr Lindner ist fest entschlossen, die Schuldenbremse einzuhalten. Über den Abbau klimaschädlicher Subventionen, etwa bei Dienstwagen, ließe sich ein Teil der Lücke schließen. Und im Familienministerium wird man die Frage nach der Elterngeldreform noch einmal neu stellen müssen. Der Vorschlag der Ministerin, die Einkommensgrenze zu senken, ist gleichstellungspolitisch fatal und finanzpolitisch wenig wirksam. Wenn man das Elterngeld daran knüpft, dass Väter und Mütter sich die Elternzeit gleichmäßig teilen, kann man kurzfristig mehr sparen und mittelfristig mehr tun für das gute Aufwachsen der Kinder.
Ein großer Punkt bei den Kürzungen sind die Einsparungen beim Freiwilligen Sozialen Jahr, während der demografische Wandel im vollen Gange ist.
Mit den geplanten Kürzungen werden viele Stellen beim FSJ wegfallen. Das ist ein absolut falsches Signal. Das FSJ ist eine wichtige Orientierungszeit für junge Menschen und es ist eine funktionierende Einladung, sich das Berufsfeld der sozialen Arbeit anzuschauen. Gerade in der Pflege gehen in den nächsten Jahren viele Beschäftigte in den Ruhestand, während der Bedarf steigt. Wir hören aus Vorstellungsgesprächen, dass viele Kollegen über das Freiwillige Soziale Jahr an soziale Berufe, wie zum Beispiel die Pflege, herangeführt wurden. Auch viele derer, die sich in der Caritas ehrenamtlich engagieren, haben mit einem Freiwilligen Sozialen Jahr angefangen. Eine lebensprägende Erfahrung für jede und jeden, der das macht. Eine Lebensquelle für eine sorgende Gesellschaft.