AboAbonnieren

Rundschau-Frage des TagesWer haftet beim autonomen Fahren bei Unfällen?

Lesezeit 4 Minuten
Testgelände autonomes Fahren

Braunschweig: Zwei autonom fahrende Fahrzeuge überholen sich auf dem Testgelände des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.

Lübeck – 1909 ereignete sich eine kleine Revolution. Der Autohersteller Opel bringt den Doktorwagen auf den Markt. Das Fahrzeug mit acht PS verändert den Individualverkehr, weil es auch ohne Chauffeur leicht zu führen ist. 1909, das ist auch das Jahr, aus dem die Regeln zur Haftung im Straßenverkehr stammen. Sie wurden aus der Tierhaltung übernommen: Für Schäden, die von einem Tier ausgehen, haftet dessen Besitzer. Weil man nicht genau wusste, wie mit den Autos umzugehen ist, entschied man sich für eine Analogie: Der Halter eines Autos haftet für die Schäden, die vom Fahrzeug ausgehen (Straßenverkehrsgesetz Paragraf 7).

Altes Haftungsrecht soll auch beim autonomen Fahren gelten

110 Jahre später gilt dieses Prinzip noch immer. Es soll auch weiter gelten, wenn auch der Fahrer überflüssig wird und er Computerprogrammen in autonomen Fahrzeugen weicht. So jedenfalls sieht das die Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ der Landesjustizminister unter Federführung NRWs. Auf ihrer Konferenz in Lübeck diskutieren die Minister heute die Ergebnisse. Tenor der Beschlussvorlage, die unserer Redaktion vorliegt: Das geltende Haftungsrecht hat sich bewährt. Das ist durchaus nicht selbstverständlich, wirft das autonome Fahren doch einige Schwierigkeiten auf. Die Arbeitsgruppe hat sich vor allem mit der Frage befasst, ob Haftungslücken bestehen, wenn ein Fahrzeug einen Schaden verursacht. NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) sagt: „Das erfreuliche Ergebnis lautet: Solange autonome Systeme nicht auch selbstlernend sind – ihr Handeln also nicht mehr nachprüfbar wäre –, ist unser Zivilrecht gut für die Herausforderungen der digitalen Welt gerüstet und bietet angemessene Lösungen.“ Ziel des Gesetzgebers muss laut Arbeitsgruppe sein, die von autonomen Systemen ausgehenden Fragen durch das Zulassungsrecht von vorneherein „auf ein gesellschaftlich akzeptiertes Maß zu begrenzen“.

Prinzip der Halterhaftung

Das Prinzip der Halterhaftung im deutschen Straßenverkehr beruht auf der Annahme, dass bei Unfällen zwar nicht immer der Fahrer ermittelt werden kann, der Halter indes schon. Unfällen mit Autos liegt oftmals menschliches Versagen zugrunde – etwa Tippen auf dem Handy oder zu schnelles Fahren. Wenn das Auto im Autopiloten einen Unfall baut, stellt sich die Frage, was dafür ursächlich war.

Ein fehlerhafter Algorithmus? Ein Lücke im System? Der Fahrer, der ja eher ein Beifahrer ist, wohl eher nicht. Warum sollte er dann aber für Unfälle haften? Es ist nicht ganz trivial, zu klären, wer eigentlich der Fahrer eines selbstfahrenden Fahrzeugs ist.

Schon in der Debatte um einen Gesetzentwurf des früheren Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt (CSU) regten Kritiker an, man müsse die Fahrzeughersteller in die Pflicht nehmen (siehe Kritiker). Dies lehnen aber die Justizminister ab.

Kein unmittelbarer Anspruch gegen Hersteller

Die Arbeitsgruppe meint, es sei nicht notwendig, einen Haftungsanspruch gegen die Autohersteller zu entwickeln. Über das Produkthaftungsrecht müssten Hersteller ohnehin für Fehler in der Software haften. Auch Hackerangriffe sollen den Fahrzeughalter nicht als höhere Gewalt von der Haftung befreien. So sei sichergestellt, dass Geschädigte stets auf einen solventen Schuldner träfen.

Nordrhein–Westfalens Justizminister Peter Biesenbach sagt: „Für das Vertrauen der Menschen in neue Technologien bedarf es rechtssicherer Regelungen.“ Die Arbeitsgruppe „Digitaler Neustart“ will deswegen die weiteren technischen Entwicklungen im Auge behalten. In absehbarer Zeit sei mit selbstfahrenden Autos zu rechnen. Selbstlernende Systeme würden vorerst aber nicht auf den deutschen Straßen eingesetzt.

Test in Deutschland

Seine ersten Roboterwagen-Tests in einer deutschen Großstadt führt VW seit Anfang April auf einigen Hamburger Straßen durch. Die Autos fahren zunächst auf einem drei Kilometer langen Teilstück einer neun Kilometer langen Strecke, die Hamburg mit zusätzlicher Infrastruktur aufrüstet. Die Fahrzeuge sind bestückt mit 11 Laserscannern, 14 Kameras, Ultraschall- und Radarsensoren, wie Axel Heinrich, Leiter der VW-Konzernforschung, erklärt. Die Computertechnik nimmt den Kofferraum des Fahrzeugs ein. Sie verarbeitet bis zu fünf Gigabyte Daten pro Minute. Es wird immer ein Fahrer an Bord sein, um bei Bedarf eingreifen zu können.

Auf der Teststrecke können die Ampeln direkt mit den Autos kommunizieren und müssen nicht von Kameras ausgelesen werden. Die Ergebnisse der Fahrten sollen in die Forschungsprojekte des Konzerns zum autonomen Fahren und zur Optimierung des Individualverkehrs eingehen. Vorher testete VW autonomes Fahren auf dem Wolfsburger Werksgelände.

Ebenfalls Anfang April starteten erste Tests selbstfahrender Autos über Ländergrenzen hinweg im Dreiländereck von Deutschland, Luxemburg und Frankreich. Das Gebiet erstreckt sich über den Süden Luxemburgs, die Region Metz in Frankreich und Teile des Saarlands. Dabei geht es unter anderem darum, wie Fahrzeuge mit verschiedenen Ampeln, Schildern und Mobilfunksystemen zurechtkommen. (dpa)