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„Ohne Kükentöten“Wie unredlich Werbung mit Tierschutz gemacht wird

Lesezeit 5 Minuten
männliche Küken

Männliche Küken werden von Eier-Betrieben aussortiert.

Köln – Zu jeder Henne gibt es statistisch gesehen einen Hahn. Die Natur hat es so eingerichtet, dass das Geschlechterverhältnis beim Schlupf in etwa fifty-fifty ist. Bei den Tieren der Masthähnchen-Rassen ist das kein Problem für die Tierhalter. Beide Geschlechter werden gemästet und dann geschlachtet. Bei den Legehennen-Rassen indes ist das anders. Während die weiblichen Tiere die Eier legen, die wir essen, sind die männlichen Küken aus wirtschaftlicher Sicht überflüssig.

Das Vergasen von Küken wird strafbar

Bislang wurden sie routinemäßig direkt nach dem Schlupf in den Brütereien vergast – rund 40 Millionen Küken im Jahr in Deutschland. Zum Jahreswechsel wird das aber untersagt. Wer dann noch Küken tötet, macht sich strafbar. Im Sommer 2020 kündigte die damalige Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) an, das Verbot auf den Weg zu bringen. Nun tritt es in Kraft.

Die von Klöckner angepriesene Alternative der Geschlechtsbestimmung im Ei ist bis heute keine vollwertige Alternative. Maschinen können noch nicht schnell genug befruchtete Eier auf das Geschlecht der Embryonen hin untersuchen, sodass die männlichen Tiere weit vor dem Schlupf aussortiert werden.

Trotzdem setzte bei den Handelskonzernen damit ein „Werbewettrennen ums Tierwohl“ ein. So nennt es ein Brancheninsider, der nicht genannt werden will. „Das hat Skandalpotenzial. Deswegen will und deswegen soll niemand darüber reden“, sagt ein anderer Insider.

Es geht um das, was seit einigen Monaten auf den Eierkartons steht – egal, ob die Eier aus Bio-, Freiland oder Bodenhaltung kommen. Aldi und Lidl beispielsweise werben jeweils mit einem Küken-Logo und dem Schriftzug „Ohne Kükentöten“. Bei Edeka heißt das Pendant „Initiative Lebenswert“. Auch bei Marktkauf und Netto finden sich entsprechende Kartons.

Was wird denn wirklich aus den Küken?

Dabei ist bei allen drei Handelskonzernen nicht klar, was mit den Brüdern der Legehennen passiert ist, deren Eier der Kunde hier kauft. Im Zweifelsfall wurden sie eben doch vergast, bestätigen mehrere Gesprächspartner unserer Redaktion. Von diesem Umstand erfährt der Verbraucher auf dem Karton aber erst einmal nichts.

Selbst wer sich die Mühe macht, auf die Internetseite der Edeka-„Initiative Lebenswert“ zu gehen, muss sehr genau lesen. Der Umstand, dass eben doch Küken getötet worden sein können, verbirgt sich hinter folgender Formulierung: „Wir stellen sicher, dass der durchschnittlichen Legeleistung einer Legehenne mindestens eine Junghahn-Aufzucht gegenübersteht.

Übersetzt bedeutet das: Legehenne Berta legt eine Durchschnittszahl X an Eiern. Für diese wird nun irgendwo Hahn Carlo eingestallt. Carlo muss aber nicht aus derselben Brüterei oder gar aus demselben Schlupf stammen. Er muss auch nicht in Deutschland aufgezogen werden. Bertas Bruder Bert kann nach wie vor vergast worden sein. Trotzdem heißt es auf den Eierkartons über den beiden Küken „Schützt mich!“ In der Branche wird dieses Vorgehen „Mengenäquivalenz“ genannt. Aldi, Lidl, aber auch andere Supermarktketten wie Globus, verfahren in Teilen nach einem ähnlichen Konzept. Das wird jedoch „Kopfäquivalenz“ genannt. Hier ist nicht die Legeleistung von Berta Maßstab, sondern Huhn Berta selbst: Für jede Henne wird irgendwo ein Hahn eingestallt. Auch hier gilt laut Branchenkennern: Bertas Bruder ist im Zweifelsfall längst tot.

„Ohne Kükentöten“ steht inzwischen auf vielen Eierkartons. So ganz stimmt das aber nicht.

Auf der Internetseite zur Aldi-Initiative „Ohne Kükentöten“ ist davon nichts zu lesen. Auf Anfrage bestätigt ein Sprecher von Aldi Nord, das Kopfäquivalent komme „aus praktischen Gründen“ unter anderem bei Bio-Eiern zum Einsatz. Lidl schreibt, „zur leichten Verständlichkeit“ würden alle Eier unabhängig von der eingesetzten Methode „mit dem ,Ohne Kükentöten‘-Logo auf der Verpackung gekennzeichnet“.

Rewe ließ eine Anfrage unserer Redaktion unbeantwortet. Wirklich transparent informiert nur die Supermarkt-Kette Globus. Auf der Webseite zur hauseigenen Initiative „Ohne Kükentöten“ berichtet das Unternehmen, so schnell wie möglich aus der Kopfäquivalenz aussteigen zu wollen – inklusive verständlicher Erklärung, was darunter zu verstehen ist.

Leitfaden legt spätes Enddatum fest

In der Eier-Branche ist das Vorgehen umstritten. Im Stillen hat man sich darauf verständigt, die Praxis mit einem Auslaufdatum zu versehen. Das geht aus einem Leitfaden des „Vereins für Kontrollierte Alternative Haltungsformen“, kurz KAT, hervor, der unserer Redaktion vorliegt. Wer in Deutschland Schaleneier im Supermarkt verkaufen will, muss bei KAT mitmachen. Der Leitfaden erlaubt explizit die sogenannte Kopfäquivalenz. Sicherzustellen sei dabei, dass die Junghähne maximal ein Jahr vor dem Schlupf der Legehennen geschlüpft sind. KAT schreibt vor, dass diese Praxis des Verrechnens noch bis 31. Dezember 2022 erlaubt ist – also bis zu einem Jahr, nachdem das Verbot des Kükentötens in Kraft getreten ist. (df)

Bei der Verbraucherzentrale beobachtet man das Agieren der Handelskonzerne und der Eier-Branche kritisch. Eiermarkt-Expertin Christiane Kunzel sagt: „Das ist nicht akzeptabel, da dieses Verfahren in keinster Weise den Erwartungen der Verbraucher entspricht.“

Die Verbraucherzentralen hatten vor einiger Zeit eine Umfrage zum Ausstieg aus dem Kükentöten in Auftrag gegeben. Das Ergebnis zeigt, was Supermarktkunden erwarten: Die biologischen Brüder der Legehennen aus dem jeweiligen Schlupf – also Bert und Berta – sollen beide aufgezogen werden.

Die Branche nennt das „Schlupfäquivalenz“. Auch solche Eier finden sich in den Ohne-Kükentöten-Kartons. Auch die Aufzucht wird praktiziert. Aber eben nicht flächendeckend. Aldi Nord und Lidl teilen mit, ihr Ziel sei die Umsetzung der Schlupfäquivalenz.

Aus der Branche heißt es, mangelnde Stallkapazitäten seien ein Grund für den Umstand. Für die Aufzucht von Junghähnen wären Anpassungen im Stall und bei der Fütterung notwendig. Zudem bleibt das Problem, dass die Mast von Tieren aus Legehennenrassen nicht wirtschaftlich ist.