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Keine verlässlichen ErtragszahlenGetreidebauern in NRW hatten die schwierigste Ernte seit 63 Jahren

Lesezeit 4 Minuten
Man sieht Körnr, zwischen denen einige vertrocknete Halme liegen.

Der Weizen hat schon zu keimen begonnen: Mangelhaftes Getreide in Titz.

Die eine Hälfte der Ernte ist von bester Qualität, die andere miserabel: Ein Bauer aus der Jülicher Börde erklärt, welche Folgen die lange Regenperiode in diesem Sommer hatte.

Aus bäuerlicher Sicht gibt es gute Sommer, nicht so gute und sehr selten solche wie diesen. „Ältere Landwirte sprechen von der schwierigsten Ernte seit 63 Jahren“, sagte NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU) am Montag bei einem Besuch des Landgutes Marienfeld in Titz/Kreis Düren.

Hofbesitzer Severin Hogen junior zeigt eine Handvoll Winterweizenkörner, die nicht so sind, wie sie sein sollten: Sie sind gräulich statt goldgelb, an manchen Körnern blüht grün der Schimmel. Leckeres Brot kann man damit nicht backen. Dieses Getreide taugt nur noch als Viehfutter oder als Gärstoff für die Biogasanlage.

Drei Wochen Regen verdarben große Teile der Ernte

„Die Erntesituation auf dem Gutshof von Severin Hogen ist symptomatisch für die Ernte in diesem Jahr“, erklärt sie Ministerin, warum sie die diesjährige Bilanz genau hier, im Herzen der Jülicher Börde, vorstellt. Die Getreideernte `23 habe, grob umrissen, zwei Phasen: eine vor und eine nach dem Dauerregen.

Die verkümmerten Körner, die Severin Hogen in der Hand hält, wurden nach der großen Nässe erst Mitte August unter schwierigsten Bedingungen vom Feld geholt. In einer anderen Scheune lagern tonnenweise Körner von hervorragender Qualität, geerntet noch vor dem 24. Juli. Am 23. Juli sagte der Wetterbericht vier Tage Regen voraus. Kein Problem, dachten viele Bäuerinnen und Bauern. „Daraus wurden acht Tage, dann 16, und am Ende waren es drei Wochen“, erklärt Thomas Ludwicki von der Landwirtschaftskammer NRW.

Keine verlässlichen Ertragszahlen

Das Davor und das Danach spiegeln sich in den Hallen von Landwirt Hogen. Die Hälfte des Getreides ist von guter, die andere von übler Qualität. Mit Wehmut erinnern sich die Hogens an die Ernte 2022. Damals konnten sie „100 Prozent Brotweizen“ einlagern, der noch dazu ein Drittel teurer verkauft wurde als in diesem Jahr. Der Verkauf an die Biogasanlage lohnt sich hingegen nicht. Etwa zehn Euro gib’s dort für 100 Kilo, rechnet Ludwicki vor. Zu wenig, um die Kosten wieder reinzuholen. Für 100 Kilo „Qualitätsweizen“ würden derzeit bis zu 23 Euro gezahlt.

Weil die diesjährige Ernte von Weizen, Roggen, Hafer und Triticale (eine Mischung aus Weizen und Roggen) so ungeheuer kompliziert und regional unterschiedlich sei, nennt der Präsident der Landwirtschaftskammer NRW, Karl Werring, zum ersten Mal seit Jahren „keine verlässlichen Ertragszahlen“. Eine saubere, präzise Berechnung sei diesmal unmöglich, versichert er. Im Rheinland hätten Bauern vor der großen Regenpause schon etwas mehr Getreide ernten können als im Münsterland und in Ostwestfalen, aber das sei nur ein grober Trend.

Verbraucher müssen sich keine Sorgen machen

So hart die Ernte ’23 viele landwirtschaftliche Betriebe im Rheinland und in Westfalen trifft, Verbraucherinnen und Verbraucher müssten sich keine Sorgen machen, dass Brot und Brötchen wegen dieser Probleme teurer werden könnten, versicherte Ministerin Gorißen. Weizen schlechterer Qualität könne mit hochwertigem Weizen notfalls gemischt und Getreide auch im Ausland eingekauft werden. Überhaupt seien die Getreidepreise im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 Prozent gefallen.

Für die Bäuerinnen und Bauern hingegen spitze sich die Lage immer weiter zu, und die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine seien auch in der NRW-Landwirtschaft weiter spürbar. Hohe Energiepreise und anhaltende Inflation belasteten die Höfe, der Fachkräftemangel verschone auch die Landwirtschaft nicht, so Gorißen. Der Trend zu Extremwettern im Zuge des Klimawandels machten Saat und Ernte zudem immer unsicherer.

Nasses Sommerwetter hatte auch Vorteile

Es werde oft vergessen, aber NRW sei, wie Gorißen betont, nicht nur ein wichtiges Industrie-, sondern auch ein wichtiges Agrarland. Der Ukraine-Krieg habe viele Menschen dafür sensibilisiert, wie wichtig die Ernährungssicherung sei. Die Bäuerinnen und Bauern hätten jedenfalls Respekt und Anerkennung verdient.

Das nasse Sommerwetter war übrigens nicht für alle Feldfrüchte ein Nachteil. Im Gegensatz zum Getreide könnten die später ausgesäten Kartoffeln, Zuckerrüben sowie Mais durchaus vom Schmuddelwetter profitieren, hofft die Landwirtschaftskammer. Milchviehzüchter dürften sich über die in diesem Jahr endlich wieder sattgrünen Wiesen freuen.

Ist die Ernte 2023 wirklich die „schwierigste seit 63 Jahren?“ Altbauer Severin Hogen senior, 87 Jahre, ist sich da nicht so sicher. Er blickt auf viele gute und schlechte Ernten zurück. „Es gab früher schon Jahre, in denen lag alles am Boden“, erinnert er sich. Statistiken führt er darüber nicht, das ist beim Senior alles unter „Lebenserfahrung“ gespeichert.