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Höchster Stromerzeuger der WeltIn der Lausitz soll ein gigantisches Mega-Windrad entstehen

Lesezeit 6 Minuten
Auf der Hochfläche in Klettwitz bei Schipkau (Landkreis Oberspreewald-Lausitz) stehen viele Windenergieanlagen und mehrere Solarparks (Luftaufnahme mit einer Drohne).

Auf der Hochfläche in Klettwitz bei Schipkau (Landkreis Oberspreewald-Lausitz) stehen viele Windenergieanlagen und mehrere Solarparks (Luftaufnahme mit einer Drohne).

Brandenburg erhofft sich mit dem höchsten Stromerzeuger der Welt den Durchbruch beim Ausbau der erneuerbaren Energien – doch kann das Projekt funktionierten und Impulse für künftige Bauvorhaben bringen?

Wie eine schier unendliche Nadel sticht der weltweit höchste Windmessmast in den Himmel über der Lausitz-Gemeinde Schipkau gut 100 Kilometer südlich von Berlin. Schon weit vor der Autobahnabfahrt ist der Strich zu sehen, der die umliegenden Windkraftanlagen um das Doppelte überragt. Ausgestattet mit 47 Messgeräten, Fledermausdetektoren und einer Panorama-Kamera, gehalten von Dutzenden Abspannseilen, steht der filigrane Stahlmast für die Revolution der Windkraft. So sehen es jedenfalls seine Erbauer. Und so erhoffte es das Klimaschutzministerium von Robert Habeck.

Denn mit dem Mast, der vor zwei Monaten errichtet wurde, wird das Potenzial der Höhenwindkraft erprobt und der Weg zu Höhenwindrädern geebnet, die ganze Industriegebiete das ganze Jahr über mit Strom versorgen sollen. Hier, auf der Hockippe bei Schipkau, einer Braunkohle-Abraumhalde im Süden Brandenburgs, wird schon im nächsten Jahr das erste Höhenwindrad errichtet. „Daran gibt es gar keine Zweifel“, sagt Jochen Großmann, Gründer der Gicon-Gruppe, die das Projekt geplant hat und umsetzt.

Seine letzten Zweifel ausgeräumt haben die ersten Messergebnisse, die der Höhenmast geliefert hat und die seit Kurzem vorliegen. Die Euphorie ist spürbar. „Die Daten der ersten zwei Monate haben ergeben, dass wir mit einer Windanlage von 300 Meter Nabenhöhe und gleichem Rotordurchmesser doppelt so viel Energie produzieren können wie mit einer 150 Meter niedrigeren Anlage“, sagt der Professor und Ingenieur und zeigt ein Diagramm mit zwei Leistungskurven.

„Neue Sphären“

Die Erklärung liegt nahe: In 300 Meter Höhe weht der Wind schneller, konstanter und gleichmäßiger. Deswegen können leistungsstärkere Turbinen auf den Mast gesetzt werden, die deutlich mehr Ertrag erbringen. So lautet jedenfalls die Theorie. „Eine Windenergieanlage mit einer Nennleistung von 7,2 Megawatt (MW) und einem Rotordurchmesser von 162 Metern könnte voraussichtlich eine Produktion von rund 35 Gigawattstunden im Jahr erreichen“, sagt Großmann.

Und: Höhenwindkraftanlagen könnten auch dann Strom produzieren, wenn der Wind in geringeren Höhen dafür nicht stark genug blase. „Das Problem von Windflauten lässt sich dadurch substanziell reduzieren. Das zeigen die ersten Messergebnisse eindeutig.“ Wenn das stimmt, könnte sich der größte Schwachpunkt der Erneuerbaren – ihre Unzuverlässigkeit – fast erledigen.

Auf der Lichtung, die für den Windmessmast in den Kiefernwald auf der Höhe geschlagen wurde, weht heute kein Lüftchen. Dutzende 150 Meter hohe Windräder in der Umgebung drehen sich lustlos. Die Sonne knallt auf die Felder mit Photovoltaik-Anlagen entlang der Straße nach Senftenberg, das bis zur Wende die DDR-Hauptstadt der Braunkohle war.

Senftenberg am gleichnamigen See ist inzwischen zur Tourismushochburg der Lausitzer Seenlandschaft geworden, in die sich die Industrieregion seit dem Mauerfall verwandelt.

Akzeptanz der Windkraft ist in der Lausitz hoch

Im Landratsamt sitzt der parteilose Landrat Siegurd Heinze. „Mit dem Höhenwind dringen wir in neue Sphären vor, in der Lausitz wird die Richtung vorgegeben. Wir brauchen in der Zukunft mehr davon, und wir gehen diesen Weg“, sagt der 62-Jährige.

Auch er – obwohl von nüchternem Temperament – gerät ins Schwärmen: „Ein enormer Vorteil der Höhenwindkraft: Es braucht keine neuen Windparks, die Höhenwindräder können zwischen die niedrigeren Windmühlen gestellt werden“, erklärt Heinze. „Das wäre ein Weg, wie wir mit weiteren regenerativen Energieerzeugungen ganz nah an eine ganzjährige Grundlastfähigkeit herankommen.“

Dass das erste Höhenwindrad der Welt ausgerechnet in der Lausitz aufgestellt wird, kommt für Heinze nicht überraschend. Die Akzeptanz der Windkraft ist in der vom Bergbau zerfurchten Region riesengroß. Bei Gartenzaun-Gesprächen begegnet man neugierigen, ja begeisterten Anwohnern. „Weil die Menschen dort von Anfang an etwas von der Windkraft hatten“, erklärt der Landrat und frühere Bürgermeister von Schipkau die ungewöhnliche Stimmung. „Ob Säugling oder Greis, jeder bekommt hier pro Jahr 40 Euro Bürgerstromgeld. Hinzu kommen Gewerbesteuern im siebenstelligen Bereich, sodass die Gemeinde erheblich profitiert.“

Auch in Berlin keimt Hoffnung. Robert Habecks Staatssekretär Michael Kellner war Anfang Mai zur Einweihung angereist, lobte das Projekt und klagte angesichts des insgesamt zu schleppenden Windkraft-Ausbaus: „Wir sind bei Weitem nicht da, wo wir hinwollen.“ Damit sich das ändert, steckt der Bund viel Geld in die Erforschung und den Hochlauf der Höhenwindkraft und fördert das Lausitz-Projekt über die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIN-D).

Doch die Sache hat auch ein paar Haken

SPRIN-D-Projektmanager Julius Keil schreibt in einer aktuellen Analyse über „äußerst vielversprechende“ Messergebnisse aus Schipkau. Mit Höhenwindkraftanlagen lasse sich Strom für unter 40 Euro pro Megawattstunde produzieren, so seine Prognose. Gicon-Windexperte Frank Adam jubelt: „Bis zu 4000 Höhenwindtürme könnten in den kommenden Jahren in Deutschland allein in bereits bestehenden Windparks errichtet werden und einen gewaltigen Beitrag zur Energieversorgung und Netzstabilität leisten.“

Fast scheint es, die gewaltigen Energieprobleme Deutschlands lösten sich gerade in Luft auf. Leider hat die Sache auch ein paar Haken.

Anruf bei Holger Lange, Professor an der Hochschule Bremerhaven und einer von Deutschlands führenden Experten für Windkraftanlagen: „Dort in der Lausitz, in Schipkau, wird es genehmigt und angenommen. Ich kann mir aber keinen anderen Ort vorstellen, wo das ohne Weiteres akzeptiert werden würde“, sagt er: „300 Meter Nabenhöhe, Rotorblätter mit 162 Meter Durchmesser, also eine Gesamthöhe von 380 Metern? Höher als der Berliner Fernsehturm, höher als der Eiffelturm samt Antenne: No way!“ Keine Behörde werde das in Stadtnähe genehmigen, „auch wenn ich persönlich das gut fände“. Dass etwa die windkraftscheuen Bayern auf Höhenwindkraft stehen, hält auch Landrat Heinze für höchst unwahrscheinlich.

Leider ist das Akzeptanzproblem längst nicht das einzige. Beim Pilotprojekt soll die Turbine auf eine Stahl-Gitter-Konstruktion montiert werden, vom „Eiffelturm der Lausitz“ ist die Rede. Das sei zwar grundsätzlich möglich, aber auch höchst komplex und feingliedrig, es brauche Tausende Schrauben und Bindeblech und Stahlprofile, sagt Turm-Spezialist Lange. „Zu sagen, ich baue da mal eben so ein heftiges Ding hin, das ist naiv.“

Mit solchen Sonderbauwerken gibt es tatsächlich noch keine Erfahrungen. Die Schwingungen in der extremen Höhe müssten auch von der Turbine kompensiert werden. „Nach meiner Einschätzung würde sich kein großer Turbinenhersteller auf solche Risiken einlassen“, zweifelt der Professor. „Nicht zu vergessen die Montage und Wartung in dieser atemberaubenden Höhe: Wo gibt es so lange Kräne? Wer ist überhaupt bereit, in 300 Metern über dem Boden zu arbeiten?“

Nur ein gewaltiges Luftschloss?

Niemand, denkt man selbst unweigerlich, wenn man am Sockel des Messmasten steht und den Kopf bis zum Anschlag in den Nacken legt, um die Spitze ins Blickfeld zu bekommen. Aber es gibt Menschen, die das tun. Auf Youtube gibt es ein Video mit schwindelerregenden Szenen der Höhenwindmesser-Baustelle. Die Frage ist eben nur, ob das Lausitz-Abenteuer zu mehr wird als zu einem gewaltigen, mit Steuergeld gebauten Luftschloss.

Den Professor aus Bremerhaven bringen die „großen Sprüche“ der Projektentwickler regelrecht auf die Zinne. „Wenn jetzt schon der Eindruck erweckt wird, mit Höhenwindrädern an Land sei quasi Grundlastfähigkeit möglich, und es würden bald Tausende solcher Anlagen gebaut und unser Flauten-Problem lösen, werden definitiv falsche Hoffnungen geweckt“, meckert er. „Das ist sehr ärgerlich und könnte die Windkraft insgesamt Akzeptanz kosten.“ Dann ginge der Schuss gewaltig nach hinten los.

Für ein Urteil ist es natürlich viel zu früh. Der Schipkauer Messmast wird im nächsten Mai jedenfalls nach Jüchen in NRW umziehen, um die dortigen Höhenwindverhältnisse zu messen, auch dort könnte dann ein Mega-Windrad folgen. Für den Bau des ersten Höhenwindturmes in Schipkau ist schon eine Firma gefunden, ebenso ein Turbinen-Lieferant. Und die Genehmigung ist so gut wie erteilt, der Baustart für dieses Jahr vorgesehen.

Aber ob sich das Pilotprojekt schon in absehbarer Zeit vermehrt, ob es die ganze Branche aufwirbelt, ob die 4000er-Marke ansatzweise realistisch ist? Zunächst ist eine „Kleinserie“ geplant. Dabei sei man „für Kooperationen offen“, heißt es etwas kleinlaut bei Gicon. Für die Serie hat also noch kein Turmbauer eingeschlagen.