Lange Wartezeiten, hohe PreiseFahrräder bleiben ein knappes Gut im Handel
Frankfurt – Die Kunden in dem kleinen Fahrradladen der Familie Sehmer in Saarbrücken stellen immer wieder die gleichen Fragen: „Habt ihr was? Kann ich was bestellen?“ Fahrräder mit und ohne Elektromotor sind auch im dritten Pandemie-Sommer ein knappes Gut, das auf eine anhaltend hohe Nachfrage trifft. Die Fahrrad-Industrie sieht sich zwar grundsätzlich lieferfähig, doch gerade anspruchsvolle Kunden mit genauen Vorstellungen gehen immer häufiger leer aus oder müssen am Ende Kompromisse eingehen.
„Die Läden sind nicht leer gekauft“, sagt Tim Salatzki, Technik-Experte beim Zweirad-Industrieverband (ZIV) in Berlin. Die Hersteller arbeiten nach seinen Angaben auf Hochtouren und gehen trotz anhaltender Schwierigkeiten in der Lieferkette davon aus, ihren Rekordumsatz von 2021 übertreffen zu können. Allerdings werde nicht jeder Kunde sein Wunschrad erhalten, eine gewisse Kompromissbereitschaft etwa bei Farbe oder einzelnen Ausstattungskomponenten sei notwendig.
4,7 Millionen Räder im Jahr 2021 verkauft
In Deutschland wurden im vergangenen Jahr rund 4,7 Millionen Räder verkauft, von denen 2,0 Millionen einen elektrischen Antrieb hatten. Die E-Bikes und Pedelecs legten im Vergleich zum Vorjahr weiter leicht zu. Beim Verkauf der klassischen Fahrräder gab es hingegen ein deutliches Minus (2,7 Millionen im Vergleich zu 3,09 Millionen). Mit dem rasant wachsenden E-Anteil stiegen die Durchschnittspreise (1395 Euro pro Rad) ebenso wie der Gesamtumsatz auf 6,56 Milliarden Euro.
Viele planen Fahrradkauf in diesem Jahr
Mit einer konstant hohen Nachfrage nach neuen Bikes rechnen sowohl Handel als auch Industrie angesichts hoher Spritpreise und geändertem Freizeit- und Pendelverhalten. Laut einer kürzlich veröffentlichten Yougov-Umfrage im Auftrag des Portals Check24 planen 23 Prozent der Befragten noch in diesem Jahr einen Fahrradkauf oder haben ihn bereits getätigt. Das ist bei einem bundesweiten Bestand von rund 81 Millionen Fahrrädern erstaunlich, denn rein rechnerisch besitzt schon jeder Bürger ein Bike. (dpa)
Schon 2021 mussten die Einzelhändler den Mangel verwalten. „Entsprechend der eingeschränkten Warenverfügbarkeit verlagerte sich die Beratung eher in eine Verteilung der Ware an die Endkunden“, notiert der Handelsverband Zweirad (VDZ). Preissteigerungen sind auf diesem „Verkäufermarkt“ die zwangsläufige Folge. Ukraine-Krise, anhaltende Lieferprobleme bei den meist aus Asien importierten Teilen sowie die stark gestiegenen Rohstoffpreise heizen den Markt auch 2022 an.
Knappheit trifft kleine Händler stärker
Laut VDZ haben einzelne stark nachgefragte Marken von den Händlern bereits detaillierte Stückorder für das Jahr 2023 verlangt. Die allgemeine Knappheit treffe kleine stationäre Händler, die früher sehr flexibel über den Großhandel agieren konnten, sehr viel stärker als Online-Anbieter und große Filialisten. Bereits im vergangenen Jahr verringerte sich so das Angebot sportlicher Bikes ohne Elektroantrieb extrem.
Michael Bachmann von „Micha’s Rad-Atelier“ in Koblenz berichtet beispielsweise, dass sein Umsatz beim Verkauf von Neurädern im vergangenen Jahr um rund 40 Prozent gegenüber 2020 eingebrochen sei. „2021 war der erste große Break, und dieses Jahr wird es extrem sein“, befürchtet er. Von den 123 Rädern, die er für diese Saison bestellt habe, seien noch 97 Lieferungen offen. Und ständig würden die Termine weiter geschoben.
Nachhaltiger Trend zum Fahrrad
Größere Hoffnungen setzen auch die kleineren Anbieter auf das Werkstattgeschäft, das laut VDZ nach Lockdown-Einbußen im Vorjahr aktuell deutlich anziehen sollte. Bis Ende Mai muss aktuell warten, wer beim Frankfurter Fahrradladen Montimare einen Wartungstermin haben will. Von vier Wochen spricht auch Thomas Schütt von Zweirad-Ganzert. Je nach nötigem Ersatzteil könne es auch länger dauern. Die Recherche, wo Teile noch zu bekommen seien, halte zusätzlich auf.
Von einem nachhaltigen Trend zum Fahrrad geht auch der Professor für nachhaltige Mobilität und Radverkehr an der Frankfurt University of Applied Sciences, Dennis Knese, aus. „Enormes Potenzial gibt es auf Kurzstrecken, unter zwei oder fünf Kilometern, die werden oft noch mit dem Auto gefahren“, sagt der Experte. Dringend nötig sei ein starker Ausbau der Infrastruktur, aus Radwegen müssten zusammenhängende Netze werden, um auch auf längeren Strecken Alternativen zum Auto zu ermöglichen. Zudem brauche es sichere Abstellmöglichkeiten, auch an Bahnhöfen. „Es ist noch ganz, ganz viel Luft nach oben“, bilanziert der Professor. (dpa)