AboAbonnieren

Kölner UnternehmenWie Igus aus alten Fischernetzen neue Fahrräder herstellt

Lesezeit 5 Minuten
Räder des Kunststoffspezialisten Igus stehen in der Fertigungshalle in Köln

Räder des Kunststoffspezialisten Igus stehen in der Fertigungshalle in Köln

Das Kölner Unternehmen Igus will das wartungsärmste und nachhaltigste Fahrrad herstellen. Es ist aus Kunststoff und steht vor der Serienfertigung.

Stämmig kommt das Fahrrad des Kölner Kunststoffspezialisten Igus daher. Gabel und Rahmen vor allem lassen es massiv wirken. Auf die Waage bringt das Rad, das zu 92 Prozent aus Kunststoff hergestellt wird, rund 17 Kilogramm. Aktuelle City- oder Trekking-Räder – ohne Elektroantrieb – sind vielleicht ein oder ein paar Kilo leichter.

Zum Start ist ein kräftiger Tritt in die Pedale nötig. Das Rad hat nur einen Gang, da darf die Untersetzung nicht zu klein sein, sollen auch höhere Geschwindigkeiten erreicht werden. „Wir haben ein Citybike konstruiert“, sagt Sven Terhardt, der für Marketing und Verkauf des Rads verantwortlich ist. Gedacht ist es nicht für ausgiebige Touren, sondern für Fahrten in der Stadt, die selten länger als zehn Kilometer sind. Die sollte das Rad – so ein erster Eindruck – souverän absolvieren.

Auch zwei Testfahrer sind im Einsatz

Einmal in Schwung lässt es sich so wie andere Citybikes bewegen. Die Lenkung ist präzise, auch enge Kurven nimmt das Rad, nachdem der Lenkeinschlag in einem der letzten Updates vergrößert wurde. Bei schneller Fahrt vibriert aber das hintere Schutzblech. Terhardt kennt das schon. „Wir überlegen, ob wir das mit einer zweiten Strebe zur Einarm-Schwinge fixieren“, sagt er. Auch ein Klackern im Tretlager bei den Prototypen werde noch beseitigt.

„Testen, Testen, Testen“, sei gerade die Devise vor der Serienfertigung. Das machen auch zwei Testfahrer, die die Räder gerade im Alltagsbetrieb in Köln bewegen. Auch auf Messen wurden die Räder schon gezeigt und konnten zur Probe gefahren werden. Und eines der gut 50 bislang mit dem niederländischen Entwicklungspartner MTLR gefertigten Räder ist gerade auf dem Weg nach Barcelona, wo es sich unter höheren Temperaturen bewähren soll. Getestet wird gerade auch ein Zwei-Gang-Getriebe, ebenso ein Rahmen, der einen Akku tragen kann.

Auf dem Teststand muss sich das Rad zunächst bewähren.

Ölflecken an der Kleidung muss auf dem Weg zur Arbeit niemand mehr fürchten. Der Kunststoffspezialist (siehe Kasten) setzt auf verschleißarme Kugellager mit Hochleistungskunststoffen, die kein Schmiermittel mehr benötigen. Nicht nur Rahmen, Gabel und Felge sind aus Kunststoff. Bei Antrieb wird die Kette durch einen Zahnriemen ersetzt, der Kunststoffritzel antreibt. Kurz vor der Serienfertigung ab September wurden noch Sattelstütze und Bremshebel aus Metall durch solche aus Kunststoff ersetzt. Auch die Bremsscheiben sollen später einmal aus Kunststoff gefertigt werden, so Terhardt.

50 Prozent recycelter Kunststoff

Igus will zum einen das wartungsärmste Fahrrad auf dem Markt anbieten. Kunststoffräder können bei Wind und Wetter im Freien stehen, auch Meeresluft macht ihnen nichts aus. Ganz anders war das bei den rostenden Rädern, die Igus-Geschäftsführer Frank Blase vor knapp 20 Jahren bei einem Florida-Urlaub ausgeliehen hat. Damals entstand die Idee eines Kunststoffrades. Neu im Fahrradgeschäft war Igus da schon nicht mehr. Gleitlager für Fahrradhersteller hat das Unternehmen da bereits geliefert. Dazu kamen Kunststoffrahmen, auch superleichte mit Glasfaser verstärkte für Hochleistungsräder neben Gabeln, Lenker oder Räder. Diese Räder sind jetzt an den Auslieferungsfahrräder der Deutschen Post zu sehen. Das Geschäft als Teilelieferant will Igus ausbauen.

Beim eigenen Rad hat Igus noch ein besonderes Ziel. Es soll das Nachhaltigste werden. Kunststoff erfordert zum einen vergleichsweise wenig Energie bei der Formung von Rahmen, Gabel oder Lenkstange. Vor allem bestehen die Räder zu 50 Prozent aus recyceltem Kunststoff. „Besonders gut eigenen sich ausgediente Fischernetze“, so Terhardt. Die stehen in großen Mengen zur Verfügung. Aber auch anderen ausgedienten Kunststoff kann Igus für die Räder verwenden. In zwei bis drei Jahren soll der Recycling-Anteil auf 80 Prozent steigen.

Produktionsstraße entsteht in neuer Halle

Die Netze sorgen auch für die Farbe der blauen, grünen und schwarzen Räder. Lackiert wird nicht. Das erschwere das Recycling der Räder. „Wenn die Räder nach einer möglichst langen Lebensdauer ausgedient haben, sollen aus ihnen wieder neue Räder entstehen“, so Terhardt. Igus will die Räder für einen angedachten Preis von 100 Euro zurücknehmen. Sie wären der beste Rohstoff, der dann zerkleinert und gemahlen wird zu Granulat oder Pulver für die verschiedenen Spritzmaschinen.

Spritzgussmaschinen hat Igus in großer Anzahl für sein Kerngeschäft mit Energieketten, die flexible Kabel bei Bewegungen führen und schützen, Gleitlager oder Rollen. In einer neuen Halle steht auch eine Rotationsgussmaschine, in der etwa Fahrradrahmen entstehen – im Prinzip so wie Osterhasen. In dieser Halle entsteht eine Produktionsstraße für die Serienfertigung. „Zur Fahrradsaison im nächsten Frühjahr wollen wir 5000 Räder gefertigt haben“, so Terhardt. Die werden dann unter dem neuen Namen RCYL verkauft. Alles soll in Köln produziert werden können. Probleme mit möglicherweise angespannten Lieferketten würde es so nicht geben.

1200 Vorbestellungen gibt es bereits

Gebaut werden einmal Räder in drei Größen, die zum Stückpreis von etwa 1200 Euro verkauft werden. 1200 Vorbestellungen gibt es bereits. Weil das Rad wartungsarm sei, eigne es sich auch für Verleiher oder Campingplätze sowie Hotels, die mit Werbung auf den Rädern auf sich aufmerksam machen könnten, wenn die in der Stadt unterwegs sind, so Terhardt. Auch als Werksräder von Industriebetrieben eigneten sie sich. Dazu müsse Igus aber auch ein Service-Paket anbieten, geschnürt vom Unternehmen selbst oder mit Partnern.

Terhardt denkt schon einige Schritte weiter. Ein Zwei-Gang-Getriebe wird gerade getestet und auch ein E-Bike-Rahmen, der einen Akku tragen kann. Die Vision von Igus: „Die Fahrräder werden weltweit mit lokalem Plastikmüll vor Ort gefertigt, genau dort, wo sie benötigt werden.“


Das Unternehmen

Igus mit Sitz in Köln stellt seit 1964 Produkte aus schmierfreien Hochleistungskunststoffen her. Das sind etwa Energieketten, Kabel, Gleitlager sowie Roboter und intelligente Sensorik. Die meisten Produkte werden im Spritzgussverfahren hergestellt. Das Familienunternehmen ist in 31 Ländern vertreten. 4600 Mitarbeitende erwirtschafteten 2022 einen Umsatz von 1,15 Milliarden Euro.