Schon länger tüfteln Flugzeughersteller, Forschungszentren und Start-ups an alternativen Technologien. Im Jahr 2050, gelobt die Branche, sollen Flugzeuge klimaneutral durch die Luft rasen.
Klimaneutral fliegen bis 2050: Wie realistisch ist das?Flugindustrie forscht an sauberen Antriebsmöglichkeiten
Köln Mal eben von Hamburg nach München fliegen? Das macht einen durchschnittlichen CO2-Ausstoß von fast 250 Kilogramm pro Passagier. Und auf der Mittelstrecke von Hannover nach Mallorca? Da liegen die Pro-Kopf-Emissionen bei rund 670 Kilogramm. Zum Vergleich: Das ist mehr, als ein Mensch in Äthiopien pro Jahr emittiert. Die Zahlen lassen sich anhand des CO2-Rechners der Klimaschutzorganisation Atmosfair ermitteln.
Bei so gut wie jedem dürfte angekommen sein: Fliegen geht zulasten des Klimas. Mit Abstand ist es das klimaschädlichste Fortbewegungsmittel. Die vielen Tausend Jets, die täglich starten und landen, schleudern eine Gesamtmenge von zwei Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre. Viele Menschen behaupten, es plage sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie ins Flugzeug steigen, Stichwort: „Flugscham“. Pessimistisch muss die Branche deshalb nicht in die Zukunft dreinblicken.
Nach dem Pandemie-Tief rechnen die Airlines in diesem Jahr weltweit mit rund 4,35 Milliarden Passagieren – und damit fast so vielen wie im Rekordjahr 2019. Das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) prophezeit gar neun Milliarden Fluggäste bis 2040. Rosige Aussichten für die Fluglinien, trübe für das Klima.
Industrie verspricht sich viel von synthetischem Kerosin
Auf dem Papier hat die Industrie erkannt, dass sie sich weiterentwickeln muss. Schon länger tüfteln Flugzeughersteller, Forschungszentren und Start-ups an alternativen Technologien. Im Jahr 2050, gelobt die Branche, sollen Flugzeuge klimaneutral durch die Luft rasen. Glaubt man den Luftfahrtverbänden, ist das Ziel realistisch. Doch wie soll die Transformation zur sauberen Fliegerei gelingen? Welche Antriebe spielen eine Rolle? Und ist das Ganze überhaupt möglich?
Viel verspricht sich die Industrie von synthetischem Kerosin. Mit grünem Strom wird aus Wasser und dem in der Luft vorhandenen CO2 ein nachhaltiger Kraftstoff hergestellt. Sein Vorteil: Es müssen keine neuen Flugzeuge gebaut werden, da man die herkömmlichen damit betanken kann. Doch um die E-Fuels im industriellen Maßstab einzusetzen, werden gewaltige Mengen an erneuerbaren Energien benötigt. Allein für den Flugverkehr würde dreimal so viel Ökostrom gebraucht, wie heute weltweit zur Verfügung steht.
Daneben gilt Wasserstoff als verheißungsvoll. Airbus will einen derartigen Jet bis 2035 auf den Markt bringen. Beim Wasserstoff-Antrieb werden zwei Ansätze verfolgt. Die Stromerzeugung in der Brennstoffzelle und die Direktverbrennung in Triebwerken. Doch Wasserstoff hat Makel. Er ist schwer zu transportieren; das Gas muss entweder bei minus 253 Grad verflüssigt oder bei einem Druck von bis zu 700 bar, dem 700-Fachen des Luftdrucks, gespeichert werden. Zudem müssten komplett neue Flugzeugtypen entwickelt werden, und wegen der Größe der Tanks wären sie auch nur für die Mittelstrecke geeignet.
3,5 Prozent der globalen Emissionen geht auf das Konto des Flugverkehrs
Eine weitere Herausforderung für die Flugzeugbauer: Die schiere Wärme, die sich in der Brennstoffzelle bildet, muss abgeleitet werden. Nur wohin? Offenbar weiß das niemand.
Die Branche forscht auch an Batterien, um die Maschinen zum Abheben zu bringen. Doch die Batterien sind schwer, und der elektrische Antrieb kommt wegen der geringen Energiedichte nur für kurze Strecken oder kleinere Flugzeuge infrage. Dadurch könnten Elektro-Jets gerade einmal fünf Prozent des weltweiten Flugverkehrs bedienen, rechnet der langjährige Mobilitätsforscher Stefan Gössling von der schwedischen Universität Kalmar vor.
Gebetsmühlenartig verweist die Branche darauf, dass sie nur für zwei Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich sei. Das ist zwar richtig, lässt aber außen vor, dass das bei der Verbrennung von Kerosin entstehende Kohlenstoffdioxid nur ein Teil des Problems ist. Sogenannte Nicht-CO2-Effekte – Stickoxide, Rußpartikel und Kondensstreifen, die verhindern, dass Wärmestrahlung von der Erde in den Weltraum entweichen können – haben einen drei- bis fünffach größeren Einfluss auf das Klima. 2020 fanden Forscher heraus, dass tatsächlich 3,5 Prozent der globalen Emissionen auf das Konto des Flugverkehrs gehen.
Bio-Treibstoff aus altem Speiseöl oder Holzresten
Im Gegensatz zu Wasserstoff und Batterien wird Biokerosin heute schon verwendet. Der sogenannte „Sustainable Aviation Fuel“ (SAF) wird aus altem Speiseöl oder Holzresten produziert. Gegenüber fossilem Kerosin senkt der Kraftstoff aus nachwachsenden Rohstoffen den CO2-Ausstoß um bis zu 90 Prozent und erzeugt nicht so viele Rußpartikel, wodurch weniger Kondensstreifen auftreten.
Für den Flugzeughersteller Boeing spielt SAF eine Schlüsselrolle. Während man bei Airbus auf Wasserstoff setzt, will der Erzkonkurrent aus den USA bis zum Jahr 2030 Passagiermaschinen entwickeln, die ausschließlich mit „grünem Kerosin“ angetrieben werden.
Unumstritten ist SAF aber nicht. Oft haben diese nur einen geringen Klimanutzen, weil bei Anbau und Verarbeitung Emissionen aufkommen, kritisiert Jakob Graichen vom Öko-Institut. Außerdem könnten die Anbauflächen in Konkurrenz zu Lebensmitteln und Entwaldung stehen. „Letztlich ist das Potenzial für wirklich nachhaltige Biokraftstoffe sehr begrenzt.“
Ab 2025 muss Flugbenzin mindestens zwei Prozent Biokerosin beigemischt werden
Begrenzt ist auch die Begeisterung der Fluggesellschaften, weil SAF sehr teuer ist und teilweise achtmal so viel kostet wie herkömmlicher Düsenkraftstoff. Hinzu kommen die homöopathischen Produktionsmengen: Zwar habe sich die Herstellung 2022 im Vorjahresvergleich auf 300 Millionen Liter verdreifacht, so die Internationale Luftfahrtvereinigung (IATA). Doch der SAF-Anteil an der Weltproduktion von Kerosin betrug im vergangenen Jahr mickrige 0,1 Prozent, berichtet der „Spiegel“.
Dabei täte die Branche gut daran, die Erzeugungskapazitäten rasch zu erhöhen. Kürzlich hat die EU den Airlines für den Einsatz von SAF feste Vorschriften gemacht. Ab 2025 muss Flugbenzin mindestens zwei Prozent Biokerosin beigemischt werden. Die Quote steigt bis 2030 auf sechs Prozent, ab 2050 müssen es dann 70 Prozent sein.
Letztendlich steht die Flugbranche unter Zugzwang. In der Praxis zeigt sich bereits, dass die Politik durchgreifen kann, wenn sie die Geduld verliert. In Frankreich sind Inlandsflüge verboten, wenn ein Zug die gleiche Strecke in zweieinhalb Stunden schafft. Schweden und Dänemark haben festgelegt, dass Inlandsflüge ab 2030 CO2-neutral sein müssen. Israel hat seine Airports für besonders emissionsstarke Maschinen wie den A380 oder den Jumbojet gesperrt.
1,9 Milliarden Euro Fördergeld vom Bund
Und die Bundesrepublik? „Unser Anspruch ist, Deutschland zum Vorreiter des CO2-neutralen Fliegens zu machen“, teilt ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums auf Anfrage mit. Einschränkungen sind nicht vorgesehen, Technologieoffenheit soll es richten. Bis 2046 werde man den Ausbau synthetischer Kraftstoffe mit 1,9 Milliarden Euro fördern, so der Sprecher. Außerdem setze sich die Ampelkoalition für ein globales System zu Kompensationspflichten für CO2-Emissionen im Luftverkehr ein sowie ein verbessertes Schienennetz.
Technologieoffenheit und Ausgleichen – bleibt die Frage, ob das reicht. Mobilitätsforscher Stefan Gössling hält das für ausgeschlossen. Ein großes Problem, über das aus seiner Sicht kaum gesprochen wird: „Fluggesellschaften leben von Subventionen, sie werfen eigentlich keine Gewinne ab. Daher ist es zu bezweifeln, dass auch nur eine Airline in die Entwicklung neuer Technologien investiert.“
Die meisten Erdbewohner waren noch nie in der Luft
Und selbst bei Beschlüssen wie einer Biokerosin-Mindestquote würden die Emissionen steigen, weil der Flugverkehr jährlich um vier Prozent wachse. Gösslings ernüchterndes Fazit: „Wie man es dreht und wendet: Es wird nicht funktionieren.“
Er spricht das Albtraumszenario einer jeder Airline an: die Abkehr vom stetigen Wachstum. „In der Forschung herrscht der Konsens, dass wir das Emissionsproblem nur lösen können, wenn weniger geflogen wird.“ Es gibt eine Studie, die das belegt und Anfang des Jahres im Fachmagazin „Nature Sustainability“ erschienen ist. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass eine ambitionierte Reduktion des Flugverkehrs 61 Prozent der Treibhausgase gegenüber einer ungebremsten Entwicklung einsparen könnte.
Was müsste dafür passieren? Stefan Gössling setzt vor allem auf höhere Abgaben. Etwa einen CO2-Preis, der die tatsächlichen Folgen des Klimawandels widerspiegele, „also von mindestens 200 Euro pro Tonne“. Nicht nur dem Klima würde das zugutekommen. Sollte Deutschland eine Energiesteuer für Kerosin und eine Mehrwehrsteuer für internationale Flüge einführen, könnte das jährlich rund zwölf Milliarden Euro in die Kassen des Fiskus spülen, sagt Jakob Graichen vom Öko-Institut.
Laut Stefan Gössling sollten auch Vielflieger, die häufig Business- oder Firstclass nutzen und besonders viel emittieren, über eine höhere Ticket-Steuer stärker zur Verantwortung gezogen werden. Denn ungefähr die Hälfte des Emissionsausstoßes in der kommerziellen Luftfahrt fiele auf die „Frequent Travellers“ zurück. Dennoch würde auch für den durchschnittlichen Bürger das Fliegen teurer, aber Gössling ist überzeugt: Die Leute werden ihr Verhalten automatisch schnell ändern. Und der Kreis, der sich einschränken müsste, ist klein. 2018 nutzten elf Prozent der Weltbevölkerung das Flugzeug als Fortbewegungsmittel. Nur etwa vier Prozent aller Menschen flog in andere Länder. Die meisten Erdbewohner waren noch nie in der Luft.