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Interview zu Energiepreisen„Die Koalition kann und muss den Turbo zünden“

Lesezeit 7 Minuten
Nur in einer Wohnung eines Mehrfamilienhauses brennt am frühen Morgen Licht. Die teils massiv gestiegenen Preise für Gas und Strom bereiten viele Menschen in Deutschland finanzielle Schwierigkeiten.

Deutschland spart: Doch das Lichtausschalten allein drückt die Stromrechnung wohl nur wenig.

Die Gas- und Strompreise sind im Großhandel eingebrochen. Trotzdem erhöhen viele Stadtwerke ihre Tarife. Ingbert Liebing, Chef des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), verrät, womit Privatkunden wirklich rechnen müssen.

Herr Liebing, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gibt sich überzeugt, dass die Energiewende klappt und alles bestens läuft. Stimmt das aus Sicht der Stadtwerke?

Ganz klar: Die Ampel-Koalition hat vieles beschlossen, damit wir schneller werden. Aber das Tempo reicht noch bei Weitem nicht aus, um rechtzeitig ans Ziel zu kommen. Eine Verdreifachung der Stromleistung aus Erneuerbaren bis 2030 von 128 auf 360 Gigawatt, parallel der Netzausbau und der Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken von mehr als 20 Gigawatt Leistung: Das scheint – Stand heute – schwer schaffbar. Das zeigt ein aktueller Monitoringbericht aus dem Hause von Habeck selbst. Es fehlt allem voran an Flächen für Wind, aber auch die Investitionen in Gaskraftwerke, die wir für gesicherte Leistung dringend brauchen, sind — Stand heute – nicht gesichert.

Dann malt sich Robert Habeck die Energiewende rosig?

Nein, nicht zu rosig – er kennt die Herausforderungen, ist aber auf Unterstützung dringend angewiesen. Die gesetzlich verankerten Ziele sind ohne energisches Nachbessern nicht erreichbar. Die aktuelle Zubau-Dynamik reicht schlicht nicht aus.

Heute Abend tagt der Koalitionsausschuss. Kann der einen Turbo zünden?

Die Koalition kann und muss den Turbo zünden, ich kann die Koalition nur zu Konsequenz ermuntern! Es gibt seit Dezember im Rahmen der EU-Notfallverordnung ganz neue Möglichkeiten. In all den Gebieten, die für Windkraft vorgesehen sind, in denen vorgeprüft wurde, sind demnach keine zusätzlichen Umweltverträglichkeitsprüfungen oder artenschutzrechtliche Prüfungen mehr erforderlich – sogenannte „Go-to-Areas“. Das ist eine gewaltige Chance, die Verfahren massiv zu beschleunigen, deswegen muss das sofort in deutsches Recht umgesetzt werden. Aber auch weitergehende Beschleunigungsvorschläge sind bisher nicht aufgegriffen und umgesetzt worden.

Heißt konkret: Die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes reicht nicht?

Exakt. Die Novelle vom letzten Sommer war wichtig, aber noch zu zaghaft. Die Ampel muss jetzt an den Entwurf für das Raumordnungsgesetz ran. Grundsätzlich geht der schon in die richtige Richtung, er muss aber noch an die neuen Möglichkeiten der EU-Notfallverordnung angepasst werden. Diese Gelegenheit darf die Ampel nicht versäumen. Es ist richtig, jetzt aktiv zu werden, das unterstützen wir ausdrücklich. Jetzt ist nicht die Zeit fürs Zaudern. Denn sonst bleiben die Klimaschutz- und Zubau-Ziele der Regierung Wunschdenken. Wenn die Bundesregierung die neue Option, die die EU uns gibt, nicht zieht, würden alle in Europa die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Die Stadtwerke wollen die Energiewende umsetzen, in die Transformation investieren, man muss uns nur lassen.

Für den Übergang werden Gaskraftwerke gebraucht. Werden sie schon gebaut?

Schön wär’s. Es werden nur begonnene Projekte fortgesetzt. Aber wir benötigen neue Kapazitäten von mehr als 20 Gigawatt bis 2030. Bis jetzt investiert niemand in neue Gaskraftwerke, weil die Wirtschaftlichkeit nicht garantiert ist. Das Problem ist, dass diese Kraftwerke nicht laufend Strom produzieren sollen, sondern nur, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Sie müssen also in wenigen Stunden die Investitionskosten einspielen. Beim aktuellen Marktdesign ist das unmöglich. Die Diskussion steht auf der Agenda der Regierung. Wir brauchen in diesem Jahr schnelle Ergebnisse!

Was muss sich ändern?

Wer neue Gaskraftwerke baut, muss Geld dafür bekommen, dass er bei Bedarf Strom erzeugt. Es braucht eine Vergütung der Vorhalteleistung, selbst wenn sie nicht abgerufen wird, und zwar schnellstmöglich. Pi mal Daumen kostet ein Gigawatt Leistungskapazität eine Milliarde Euro Investitionen. Genehmigung und Bau solcher Kraftwerke brauchen Jahre. Wenn wir nicht spätestens bis zum Sommer Investitionssicherheit erhalten, laufen wir trotz Erneuerbaren-Zubau sehenden Auges in ein Versorgungsproblem, also nämlich Stromknappheit bei Dunkelflauten. Das wäre für den Standort Deutschland ein hohes Risiko.

Wie groß ist das Blackout-Risiko zurzeit?

Alle Experten sagen, die Blackout-Gefahr, also ein flächendeckender Ausfall der Energieversorgung, ist nicht höher als früher. Bei sogenannten Brownouts würden gezielt einzelne Nutzer für einen bestimmten vorher definierten Zeitraum keinen Strom mehr bekommen, wenn ansonsten Netze überlastet wären. Dieses Risiko kann zunehmen, wenn wir immer mehr auf erneuerbaren Strom setzen, zugleich durch E-Mobilität und Wärmepumpen der Verbrauch steigt und wie derzeit das benachbarte Ausland Strom nachfragt. Zwar blieben die Konsequenzen im Ernstfall überschaubar, weil es klare Regeln gibt, die die Versorgung weitestgehend aufrechterhalten würden. Trotzdem müssen wir das natürlich nach Möglichkeit verhindern. Und das gelingt nur durch den gleichzeitigen Ausbau von Wind- und Solarkraft, Gaskraftwerken und Verteilnetzen.

Könnten auch längere Akw-Laufzeiten helfen?

Wir richten uns seit Jahren auf die neue Welt ohne Atomkraft ein. Und daran sollten wir auch nicht rütteln. Aber: In einer Situation, in der wegen des Ukraine-Krieges die Versorgungssicherheit massiv unter Druck gerät, weil kein russisches Gas mehr kommt, erscheint es uns zumindest sinnvoll, alle Optionen zu diskutieren und nicht vorschnell auszuschließen.

Sollte die Ampel ihren Ausstiegsbeschluss überdenken?

Wenn, dann müssten Diskussion und Entscheidung ganz schnell gehen. Um für Notsituationen gewappnet zu sein, wäre es grundsätzlich besser, die Kapazitäten zu nutzen, die wir haben.

Warum erhöhen viele Stadtwerke gerade die Gas- und Stromtarife, wo die Großhandelspreise wieder unter Vorkriegsniveau liegen?

Einspruch! Die Preise fallen zwar, liegen aber immer noch weit über dem Niveau der Vorjahre. Die Stadtwerke beschaffen fortlaufend und vor allem langfristig auf Termin. Ihre aktuellen Preise resultieren daher aktuell immer noch aus günstigeren Einkäufen in den Vorjahren. Davon profitieren unsere Kunden nach wie vor. Die aktuellen Spotmarkt- und Terminpreise sind noch nicht so günstig, dass sich das bereits nachhaltig preissenkend auswirkt. Dafür müssten sie noch weiter und vor allem dauerhaft sinken. Wenn wir nur auf den Spotmarkt gesetzt hätten, hätten wir im vergangenen Jahr die Preise für unsere Kunden viel drastischer erhöhen müssen. Die Billiganbieter, die das gemacht haben, mussten schon vor einem Jahr die Segel streichen, haben ihren Kunden gekündigt und den Stadtwerken vor die Tür gestellt.

Als die Energiepreise vorigen Sommer durch die Decke gingen, haben auch die Stadtwerke die Tarife teils vervierfacht und stellen trotz Preisverfalls an den Börsen jetzt keine Preissenkungen in Aussicht …

Noch einmal: Die Stadtwerke haben die exorbitanten Preissprünge bei der Beschaffung bei Weitem nicht 1:1 an ihre Kunden weitergereicht! Eben weil vorher günstig eingekauft worden ist. Die mittel- und langfristige Beschaffungsstrategie der Stadtwerke hat sich extrem bewährt. Sie bedeutet aber auch, dass kurzfristige Preissenkungen nicht sofort weitergegeben werden können. Maßgeblich ist der langfristige Durchschnitt.

Wie teuer bleiben Gas und Strom für die Verbraucher?

Selbst im Kurzfristhandel sind die Preise noch deutlich höher als vor der Krise, sie liegen um das Drei- und Vierfache über 2020. Die Krise ist gerade nicht mehr ganz so dramatisch, aber vorüber ist sie definitiv nicht! Natürlich wollen auch die Stadtwerke die Tarife senken, und machen das, sobald Spielraum da ist. Ich warne aber vor falschen Hoffnungen. Es wird nach unserer Einschätzung absehbar auf eine Verdoppelung der Gas- und Stromtarife hinauslaufen.

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm fordert Ihre Kunden zum Versorgerwechsel auf. Raus aus der Grundversorgung, rein in preiswertere Neuverträge. Was sagen Sie dazu?

Es war abzusehen, dass jetzt wieder Glücksritter auf den Energiemarkt drängen und meinen, das schnelle Geschäft machen zu können, zu Lasten der Stadtwerke und Grundversorger. Das wäre eine ruinöse Aufgabenteilung für die Energiewirtschaft. Und klar, Angebote zu prüfen und zu wechseln ist legitim. Mein Tipp an alle Verbraucherinnen und Verbraucher lautet aber: Schauen Sie sich die Angebote genau an. Die Stadtwerke waren Stabilitätsanker, als Discounter ihren Kunden von heute auf morgen gekündigt haben. Wir haben sie aufgefangen.

Der Staat könnte Milliarden für die Gas- und Strompreisbremse sparen …

Vorsicht! Wenn eine Preisgarantie der Billiganbieter nur für vier Wochen gilt, und dann gehen die Preise wieder hoch, dann wäre nichts gewonnen. Denn dann müsste der Staat mit den Preisbremsen einspringen. Es könnte für Finanzminister Christian Lindner also ganz schnell nach hinten losgehen.