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Interview

Kölner PKV-Verband
„Ohne Privatversicherung würde der Wettbewerb zwischen den Systemen entfallen“

Lesezeit 8 Minuten

Florian Reuther ist Direktor und geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Verbands der privaten Krankenversicherungen (PKV).

Im Wahlkampf wird zu wenig über Gesundheitspolitik gesprochen, findet PKV-Direktor Florian Reuther. Darüber und über den Wettbewerb zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung sprach er mit Ralf Arenz.

Herr Reuther, Kranken- und Pflegeversicherung spielen auch im Wahlkampf eine Rolle. Gibt es für Sie überraschende Äußerungen?

Bemerkenswert finde ich, dass Herausforderungen wie steigende Kosten, Reformbedarf im Krankenhaus oder die künftige Finanzierung des Gesundheitswesens vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sehr klar benannt werden. Ich hätte aber erwartet, dass mehr Lösungsmöglichkeiten skizziert werden. Ich sehe da viele alte Denkmuster. Denken Sie an die Bürgerversicherung, in der alle Mitglied sind? Uns hat nicht überrascht, dass die Bürgerversicherung bei SPD, Grünen und Linken wieder in den Wahlprogrammen steht, das war schon bei der letzten und vorletzten Wahl so. Das gehört dort zum ideologischen Kern. Eine solche Einheitsversicherung löst keine Probleme.

Warum nicht?

Sie läuft auf die Abschaffung der privaten Krankenversicherung als Vollversicherung hinaus. Das wäre verfassungswidrig, weil die Versicherten ja Alterungsrückstellungen gebildet haben als Vorsorge für ihre künftigen Krankheitskosten. Außerdem würde der Finanzierungsbeitrag der privaten Krankenversicherung zum Gesundheitswesen wegfallen. Über höhere Honorare für Behandlungen fließt jährlich ein Mehrumsatz von 12,3 Milliarden Euro von der Privatversicherung ins Gesundheitswesen. Knapp sieben Milliarden davon kommen der ambulanten Versorgung zugute. Umgerechnet sind das durchschnittlich 63.000 Euro pro Jahr, die ohne Privatversicherung je niedergelassenem Arzt fehlen würden.

Profitieren da alle gleich?

Davon profitiert insbesondere der ländliche Raum. Dort ist der Anteil der Privatpatienten höher, weil etwa in der Stadt überproportional viele junge Versicherte leben, die selten zum Arzt gehen. Ohne die Privatversicherung würde der Wettbewerb zwischen den Systemen entfallen, der beide Seiten dazu bewegt, mit guten Leistungen um die Versicherten zu werben. Und wenn alle Bürger im Umlagesystem der GKV wären, würden die demografischen Probleme verschärft, weil dieses System keine Vorsorge für die Alterung der Bevölkerung trifft. Vor allem jüngere Arbeitnehmer und die Arbeitgeber würden dadurch massiv mit steigenden Beiträgen belastet. Jetzt schon nehmen in der GKV die über 65-Jährigen zwei Drittel der Leistungen in Anspruch, sie zahlen aber weniger als 20 Prozent der Beiträge.

Die SPD will Beamten ein Wahlrecht geben, ob sie in die GKV oder die PKV eintreten.

Das lehnen wir als Vorstufe der Bürgerversicherung ab, auch die Beamtenverbände sind dagegen. Mit dem Beihilfeanspruch, der in der Regel 50 Prozent der Krankheitskosten deckt, bekommen Beamte und deren Angehörige eine Topabsicherung im Krankheitsfall zu sehr günstigen Bedingungen bei der privaten Krankenversicherung. Die Beamten wollen die Privatversicherung. In Bundesländern, die diese Wahlmöglichkeit bereits geschaffen haben, nutzen nur zwischen 3 und 10 Prozent der Beamten das Wahlrecht und werden Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Eine Bürgerversicherung soll nach den Plänen der SPD zunächst in der Pflegeversicherung eingeführt werden.

Dahinter steckt die Überlegung, dass eine Bürgerversicherung hier vermeintlich am einfachsten einzuführen sei. Das sehen wir anders. Seit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 sollte es bewusst zwei Zweige geben: Auf der einen Seite das Umlageverfahren und auf der anderen eine private Versicherung mit Kapitaldeckung und Alterungsrückstellungen. Gerade in der Pflege ist die Privatversicherung besonders geeignet, weil Pflege in der Regel erst im hohen Alter ab etwa 80 Jahren erforderlich wird. Es bleibt also viel Zeit zum Aufbau von Rücklagen.

Diskutiert wird auch ein Finanzausgleich, oder ein Verschränken der Systeme oder Kooperationen.

Was die Verfechter damit meinen, ist nicht ganz klar. Ein Finanzausgleich wird immer diskutiert, wenn die soziale Pflegeversicherung in Finanznot ist. Doch ein Finanzausgleich kann die Löcher nicht stopfen. Dazu sind die rund neun Millionen Privatversicherten bei 70 Millionen gesetzlich Versicherten gar nicht in der Lage. Bei einem Finanzausgleich von zwei Milliarden Euro pro Jahr zum Beispiel würden die Beiträge nur um 2,86 Euro pro Monat gedämpft, und davon entfielen 1,43 Euro auf den Arbeitgeber. Die privat Versicherten würden aber massiv belastet. Sie müssten zwei Mal bezahlen – für ihre Vorsorge und die hohen Kosten der Pflege im Alter der gesetzlich Versicherten, was übrigens auch wieder verfassungswidrig sein dürfte.

Es gibt auch die Idee eines Umbaus der Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung.

Das ist unbezahlbar. Es würde Mehrkosten von 17 Milliarden verursachen. Es wäre auch ungerecht, denn die Urheber denken dabei immer nur an die Kosten der stationären Pflege. Aber nur 15 Prozent der Pflegebedürftigen sind in der stationären Pflege. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW-Köln) können zwei Drittel der Rentnerhaushalte die Kosten der stationären Pflege über mehrere Jahre selber tragen. Unterstützung braucht ein Drittel. Zwei Drittel der Pflegebedürftigen würden also ohne Bedarf quersubventioniert durch jüngere Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber. So würden Vermögende und deren Erben unterstützt – auf Kosten von Beitragszahlern, die selbst kein solches Vermögen haben.

Wie sehen Sie die Diskussion um unterschiedliche Wartezeit auf Arzttermine von privat und gesetzlich Versicherten?

Die Wartezeiten sind ein typisches Vor-Wahl-Aufregerthema. Deutschland liegt im internationalen Vergleich beim Zugang zu Ärzten sowie Fachärzten und mit den kürzesten Wartezeiten auf einem Spitzenplatz. 51 Prozent der Patienten bekommen am nächsten oder übernächsten Tag einen Arzttermin in der ambulanten Versorgung. Nur in den Niederlanden ist der Satz mit 54 Prozent höher. In Frankreich, einem Land mit einer Einheitsversicherung, sind es 36 Prozent. Schon rechnerisch können die Wartezeiten für 90 Prozent gesetzlich Versicherte nicht an den 10 Prozent Privatpatienten liegen. Eine Hauptursache liegt darin, dass die Vergütung der GKV jeweils pauschal für ein Quartal erfolgt. Das setzt Anreize, Termine erst für das nächste Quartal zu vergeben. Soeben hat der Gesetzgeber die GKV-Budgetierung bei den Hausärzten abgeschafft. Da sollten wir abwarten, ob und wie das wirkt und Wartezeiten verringert.

Haben sich die Wogen um deutliche Preissteigerungen in der PKV zum Jahresbeginn gelegt?

Zum 1. Januar 2025 gab es eine spürbare Beitragserhöhung in der gesamten Branche. Wir haben ein starkes Ausgabenwachstum, weil die Kosten im Gesundheitswesen sehr dynamisch wachsen, vor allem im Krankenhaus mit über 13 Prozent sowie bei neuen, sehr teuren Arzneimitteln. Jede Betragserhöhung ist für die Versicherten ärgerlich, aber sie haben auch verstanden, dass sich hier die allgemeine Teuerung in den Prämien niederschlägt. Ein Pflegetag im Krankenhaus ist beispielsweise durch gesetzliche Mindestpersonalvorgaben und Tarifrunden innerhalb von drei Jahren um 37 Prozent teurer geworden. Das betrifft die Gesetzliche Krankenversicherung ja ebenso.

Wie sieht dieser Vergleich langfristig aus?

Im Langfristvergleich sind die Prämien in der Privatversicherung geringer gestiegen. Von 2005 bis 2025 – also inklusive der jetzigen Erhöhungen – beiträgt der Beitragsanstieg bei Vollversicherten in der GKV pro Jahr 3,8 Prozent, in der PKV 3,1 Prozent. Wichtig ist natürlich die Sicht des einzelnen Versicherten, der sich fragt, ob er sich das auf Dauer leisten kann. Durch unser Kalkulationsmodell können wir sicherstellen, dass die Beiträge ab dem Alter von 60 Jahren deutlich langsamer steigen als in den Jahren zwischen Alter 50 und 60. Das liegt an den Alterungsrückstellungen. Unsere Versicherten werden zudem auch an allen Überschüssen der Versicherungsunternehmen beteiligt. So fließen 90 Prozent der Kapitalerträge an die Versicherten zurück. Nach den Erhöhungen zum 1. Januar 2025 liegt der Durchschnittsbeitrag aller erwachsenen PKV-Versicherten jetzt bei etwa 620 Euro – ohne die Beihilfetarife, die noch deutlich günstiger sind. Bei den über 60-jährigen Privatversicherten sind es jetzt im Schnitt rund 640 Euro. Der Höchstbeitrag für freiwillig Versicherte in der GKV liegt aktuell bei 965 Euro pro Monat.

Was sind die wichtigsten Bausteine für eine zukunftssichere Sozialversicherung?

Der wichtigste Baustein, der auch in einigen Wahlprogrammen steht, ist eine Stärkung der Eigenvorsorge. Das stabilisiert das System insgesamt und setzt Anreize, einen Teil der Kosten selber zu tragen und sich gesundheitsbewusst zu verhalten. Gesetzliche und private Krankenversicherung brauchen mehr Spielraum für Prävention, die wir auch mit Anreizen zu gesundem Verhalten verbinden möchten. Wir wollen alle, dass gesetzliche und privat Versicherte bei schweren Krankheiten weiterhin Spitzenmedizin bekommen, die im Zweifel sehr teuer ist. Dafür muss das System an anderen Stellen effizienter werden.

Wie sieht das bei der Pflege aus?

Bei der Pflege haben wir mit unserem Modell gezeigt, dass Kapitaldeckung besonders wirksam ist. Um die soziale Pflegeversicherung durch private Zusatzversicherungen zu ergänzen, brauchen wir in der nächsten Wahlperiode staatliche Anreize etwa durch die steuerliche Absetzbarkeit der Beiträge. Diese Zusatzversicherung ist ein Baustein der Eigenvorsorge und sie ist generationengerecht. Ein Abschluss lohnt sich auch noch für die Babyboomer, die jetzt in großer Zahl in den Ruhestand gehen. Auch die haben noch 20 Jahre Zeit für den Aufbau einer Vorsorge, bevor die Pflegefälle eintreten. Denn den Jüngeren wird es nicht zuzumuten sein, immer höhere Kosten für die Älteren und zusätzlich die eigene Vorsorge bezahlen zu müssen.


Die Branche in Zahlen

Die private Krankenversicherung in Deutschland wächst. Die Zahl der Vollversicherten stieg im abgelaufenen Jahr um 0,3 Prozent auf 8,74 Millionen, nachdem sie auch im Vorjahr leicht zugelegt hatte, so der PKV-Verband am Donnerstag. In der Zusatzversicherung wuchs die Zahl der Versicherungen um vier Prozent auf 31,02 Millionen. 

 Die Versicherungsleistungen der PKV sind laut Verband deutlich gestiegen. Sie wuchsen um 13,0 Prozent auf insgesamt 40,3 Milliarden Euro. Wie die Gesetzlichen Krankenkassen habe die PKV einen starken Kostenschub erlebt. Besonders hoch war der Ausgabenanstieg in der Krankenversicherung um 13,4 Prozent auf 37,7 Milliarden Euro. In der Pflegeversicherung wuchsen die Ausgaben um 8,2 Prozent auf 2,6 Milliarden Euro.

Die Beitragseinnahmen in der Kranken- und Pflegeversicherung erhöhten sich um 6,3 Prozent auf 51,7 Milliarden Euro. 45,1 Milliarden (plus 5,2 Prozent) entfallen auf die Krankenversicherung sowie 6,6 Milliarden (plus 14,4 Prozent) auf die Private Pflegepflichtversicherung (PPV).