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Interview mit Schuldnerberatung„Es kommen auch Vermögendere zu uns“

Lesezeit 4 Minuten
Ein Bündel mit Geldscheinen liegt im Hintergrund, im Vordergrund hält ein Mann ein Pfandsiegel in der Hand.

Symbolbild

Pandemie, Energiekrise und Inflation treiben Menschen aus allen Schichten in die Schuldnerberatung. Wir haben mit einer Beraterin gesprochen.

Die Inflation treibt auch Menschen in die Verschuldung, die das Problem bisher nicht hatten. Im Interview mit Corinna Clara Röttker erzählt Schuldnerberaterin Julia Braun, wie man Schulden loswird, wann die Privatinsolvenz unausweichlich ist und wann sie davon abrät.

Die Vorständin der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung, Eva Müffelmann, sagte kürzlich, dass Menschen in die Beratung bekommen, die vorher nicht bei ihnen waren. Wer kommt denn so zu Ihnen?

Vormals war es so, dass vor allem Menschen zu uns kamen, die Arbeitslosengeld oder Sozialleistungen beziehen. Mit der Pandemie hat sich das etwas gewandelt: Nach über einem Jahr Kurzarbeit hatten beispielsweise auch viele Gehaltsempfänger sämtliche Reserven aufgebraucht. Dann kamen auch noch die Energiekrise und die Inflation, was für viele wie eine Art Strudel wirkte. Seither suchen verstärkt auch viele Arbeitnehmer aus der Mittelschicht unsere Beratungsstellen auf, die sonst noch gerade gut zurechtgekommen sind und jetzt ihre alltäglichen Ausgaben nicht mehr stemmen können. Wir haben dabei einen absoluten Querschnitt aus allen Berufen und Branchen und betreuen vom Ungelernten bis zum Akademiker wirklich alles. Finanzielle Probleme können aus unterschiedlichen Situationen jeden treffen.

Was ist mit den vielen Entlastungsmaßnahmen vonseiten der Bundesregierung: Hilft das den Menschen nicht, über die Runden zu kommen?

Das Problem bei den Entlastungsmaßnahmen ist, dass diese teilweise der Pfändung unterliegen. Der Gesetzgeber hatte dies zum Teil nicht ausdrücklich geregelt, mit der Folge, dass beispielsweise die Inflationsausgleichsprämie oder die Energiepreispauschale unter Umständen teilweise pfändbar sind. Heißt: Überschuldeten Menschen wurde das Geld oder ein Teil davon gleich wieder abgezogen, um ihre Schulden zu tilgen.

Ab wann sollten sich Menschen, die jetzt Probleme haben, bei den Schuldnerberatungen melden?

Wir sagen immer: So schnell wie möglich; spätestens wenn sie feststellen, dass sie auf absehbare Zeit ihre monatlichen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen werden können. Denn je tiefer Betroffene in dieser Spirale drin sind, umso schlimmer wird die Situation für sie. Und dann muss man irgendwann an die großen Dinge ran: eine Immobilie oder das Auto verkaufen, Umzug in eine kleinere Wohnung. Das wollen viele natürlich eigentlich gar nicht hören. Aber die meisten kommen eben erst, wenn zum Beispiel bereits gepfändet wird oder der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht.

Wie hoch ist der Schuldenberg, den Ihre Klienten so im Schnitt mit sich herumtragen?

Die meisten Menschen, die zu uns kommen, haben nicht selten mehrere Zehntausend Euro Schulden, mit einer sehr unterschiedlichen Anzahl von Gläubigern.

Was raten Sie ihnen?

Zunächst wird sich ein Überblick über die Einnahmen und vor allem über die Ausgaben und die Schulden verschafft. Viele wissen nämlich gar nicht mehr genau, wo und wie viele Schulden sie überhaupt haben – ob es nun 20000 oder 80000 Euro sind. Und wenn man dann feststellt, dass sich die Schulden eben auf 80000 Euro summieren und dem steht als Beispiel Arbeitslosengeld gegenüber, dann läuft es aller Wahrscheinlichkeit nach auf ein Insolvenzverfahren hinaus.

Ab welchem Zeitpunkt lässt sich eine Privatinsolvenz nicht mehr abwenden?

Wer absehen kann, dass er über mehrere Jahre nicht aus seinen Schulden herauskommt und die Schuldenlast so groß ist, dass keine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern getroffen werden kann – für den ist eine Insolvenz das Richtige. Die Verbraucherinsolvenz ist dann sozusagen der letzte Schritt.

Raten Sie Menschen in manchen Fällen auch von einer Verbraucherinsolvenz ab?

Ja, wenn zum Beispiel eine Einigung mit den Gläubigern im Rahmen des Möglichen liegt. Das kommt in letzter Zeit verstärkt vor, weil plötzlich eben auch „vermögendere“ Menschen zu uns kommen, die teilweise ein gutes Einkommen haben, sich aber aufgrund der gestiegenen Preise übernommen haben, oder bei denen Vermögensmasse vorhanden ist.

Was ist Ihr wichtigster Beratungstipp, abgesehen von mehr einnehmen und weniger ausgeben?

Schaffen Sie sich ein Bewusstsein dafür, wofür Sie tatsächlich Ihr Geld ausgeben und wie teuer die einzelnen Posten sind!