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Interview mit Kölns Messe-Chef Böse„Die Folgen werden uns noch Jahre beschäftigen“

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Kölns Messechef Gerald Böse

  1. Das Coronavirus legt weite Teile des gesellschaftlichen Lebens in Köln lahm. Aber auch die Wirtschaft ist massiv betroffen.
  2. Welche Folgen die Krise für die Kölnmesse hat und wie die nächsten Schritte aussehen, darüber spricht Gerald Böse mit der Rundschau.

Köln – Das Geschäft der Kölnmesse ist durch das Virus mehr oder weniger zum Erliegen gekommen, noch ist ungewiss, wann der Betrieb weiter gehen kann. Mit Messe-Chef Gerald Böse sprach Jens Meifert.

Herr Böse, die Messe spürt die Krise mit voller Wucht. Was können Sie derzeit überhaupt tun?

Wir haben alle Aktivitäten vor Ort bis Ende Juni beenden müssen, 16 Veranstaltungen allein in Köln sind abgesagt oder verschoben. Ein Großteil unserer Beschäftigten arbeitet zuhause. Zurzeit sind noch knapp 40 Mitarbeiter im Hochhaus in Deutz tätig, rund 500 arbeiten mobil. Das klappt reibungslos, aber natürlich sind – über das Handling der Verschiebungen hinaus - ganz andere Dinge zu tun als im normalen Messegeschäft. Die Finanzabteilung entwirft mögliche Szenarien, die Rechtsabteilung prüft Verträge. Das geht nicht alles von zuhause aus, aber auch in der Geschäftsführung arbeiten wir mobil.

Was glauben Sie, wann können Sie wieder ihr Kerngeschäft aufnehmen?

Wir entwickeln verschiedene Modelle. Weltweit sind 1700 Business-Messen verschoben worden, 1000 in Europa, 350 in Deutschland. Das ist ein gewaltiges Karussell, das in Gang gesetzt worden ist. Die Folgen werden uns noch Jahre beschäftigen. Wir hatten 2019 mit der Kölnmesse ein historisches Jahr mit einem Rekordumsatz und wurden im Februar auf Null gestellt. Neben neun eigenen Messen mussten sieben Gastveranstaltungen in Köln und elf Auslandsmessen verschoben werden oder sie sind ausgefallen. Klar ist: Wir reden nicht nur über Ergebnisse, sondern vor allem über Liquidität. Es geht darum, bei Nullumsätzen den Geschäftsbetrieb so weit wie möglich aufrecht zu erhalten.

Wie machen Sie das?

Es ist ein Bündel. Zunächst mal hat der Personalerhalt Priorität. Wir haben Neueinstellungen zurückgestellt, das trifft immerhin 40 Personen, wir haben bei Projektkosten gespart, Baumaßnahmen repriorisiert. Und wir prüfen für alle Bereiche der Messe, ob wir Kurzarbeitergeld in Anspruch nehmen müssen. Das gilt für alle, auch die Geschäftsführung und leitende Mitarbeiter werden sich beteiligen. Und dann wollen wir die Zwangspause nutzen, um uns auf das Leben nach Corona vorzubereiten. Wir überprüfen unsere Produkte, entwickeln neue Ideen, aber auch die Entwicklung des Geländes, die in großen Teilen bereits läuft. Unser Ziel ist, gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen.

Das wird sich alles in der Bilanz niederschlagen. Können Sie schon Zahlen nennen?

Allein dadurch, dass wir bis Ende Juni nichts veranstalten können, fehlt uns im Ergebnis ein hoher zweistelliger Millionenbetrag, der ist schon Fakt. Und dann wird entscheidend sein, wann wir weitermachen können. Ob wir bis Oktober warten müssen oder sogar bis zum Jahresende alles still stehen lassen müssen. Dann allerdings werden die Fragen nach Liquidität immer dringender. Wir haben laufende Kosten von 7 Millionen Euro pro Woche. Das zeigt die Dimensionen. Die Eigenkapitalabdeckung ist aktuell ausreichend, wir werden alle Finanzierungsmöglichkeiten prüfen: Förderungen von Bund oder Land, Fremdkapital, Zwischenkredite. Wir bewerten alle Optionen und handeln nach dem Motto: Das Beste hoffen, aufs Schlimmste vorbereitet sein.

Sie haben die meisten Veranstaltung in Köln verschoben. Lassen sich Messen wie die Art Cologne einfach so nachholen?

Wir haben die Art Cologne ins zweite Halbjahr verschoben, einige Messen aber auch ins nächste Jahr oder sogar ins Jahr 2022. Eins steht fest: Es wird sehr, sehr eng. Wir werden eine Ballung von Ausstellungen und Terminen erleben wie noch nie. Ich fürchte, dass es am Messeplatz Deutschland erhebliche Konsolidierungen geben wird, was die Themen angeht, aber auch Veranstalter. Wir gehen derzeit von einem abgeflachten Wachstumsszenario nach Wiederaufnahme unserer Geschäfte aus. Eine Messe wird nicht ein Jahr später genau so dastehen wie zuvor. Denn die Coronakrise wird auch in der Wirtschaft Spuren hinterlassen. Es wird zu Übernahmen und Konzentrationen kommen, zu Schließungen im Einzelhandel, die Digitalisierung wird enorm Fahrt aufnehmen. Nach Corona wird die Welt nicht mehr so aussehen wie vorher.

Fürchten Sie, dass die Digitalisierung Messen vor Ort unwichtiger machen wird?

Es wird einen großen Nachholbedarf an persönlichen Kontakten geben. Man merkt es selbst im privaten Bereich, man freut sich doch über jeden, der zum Balkon hoch grüßt, so ist es auch im Geschäftlichen. Dieser Kontakt mit den Kunden, die persönliche Begegnung, das gibt es nur auf der Messe. Der Mensch ist ein Sozialwesen, das wird uns das Internet nicht abgewöhnen. Andersherum: Was das Internet mit der Digitalisierung nicht geschafft hat, hat nun das Virus geschafft. Es wird uns aber nicht das Geschäft zerstören. Wir stehen in der Pflicht, unseren Kunden und ihren Branchen auch nach Corona eine Plattform zu bieten, über die sie zurück ins Geschäft kommen. Internationale Messen werden einen gewichtigen Anteil an der Rückkehr in die politische und wirtschaftliche Normalität haben.

Glauben Sie, dass die Gamescom im August stattfinden kann?

Wir wollen auf jeden Fall ein Branchenevent und gehen im Moment davon aus, dass das auch in Köln stattfinden wird. Parallel planen wir eine virtuelle Plattform für Fachpublikum und interessierte Besucher. Wir sind da im Austausch mit dem Verband und Ausstellern. Führende Firmen kommen aus den USA, wo die Lage derzeit sehr unübersichtlich ist. Natürlich haben wir intern einen Zeitpunkt definiert, an dem es Klarheit geben muss, der sich aber auch an den Empfehlungen der Gesundheitsbehörden orientiert.

Die neue „Halle 1plus“ in Deutz soll im Herbst fertig werden und 2021 mit der Living Kitchen erstmals bespielt werden. Bleibt es dabei?

Auf jeden Fall. Bestehende Verträge mit Baufirmen werden natürlich eingehalten, die Arbeiten gehen ohne Verzögerung weiter. Wir werden auch das Kongresszentrum Confex weiter planen. Weil diese Modernisierung eine wesentliche Voraussetzung sein wird, um gestärkt aus der Krise hervorgehen zu können.

Gibt es Überlegungen, die derzeit leeren Messehallen der Stadt in der Krise zur Verfügung zu stellen?

Wir stehen in Austausch mit der Stadt und dem Krisenstab. Natürlich werden wir helfen, wenn sich die Situation zuspitzen sollte. Denn die Bewältigung der Krise steht im Vordergrund. Im Moment erleben wir, dass alle zusammenrücken. Das ist etwas Positives.

Sie organisieren den deutschen Pavillon auf der Weltausstellung Expo in Dubai. Sie soll im Oktober beginnen. Ist das noch vorstellbar?

Auch da gibt es Diskussionen. Nach der Verschiebung von Olympia und Fußball-EM steht auch die Expo als interkontinentales Ereignis auf dem Prüfstand, einige Länder haben schon angekündigt, dass sie ihr Engagement zurückfahren werden. Es gibt die Überlegung, die Expo komplett um ein Jahr zu verschieben.

Glauben Sie, dass die aktuelle Krise schlimmere Folgen haben wird als die Weltwirtschaftskrise 2008 und 2010?

Es kommt auf die Dauer und den Zeitpunkt des Exits an. Im Moment sieht keiner Licht am Ende des Tunnels. Wir haben aber mehrere Krisen: den Brexit, die Diesel-Krise, eine Transformation von ganzen Industrien, Umwälzungen im Bereich der Energie und der Mobilität und nun noch diese Pandemie. Das ist eine dicke Packung. Die Bankenkrise 2008 hat sich nicht in diesem Umfang unmittelbar auf den privaten Konsum niedergeschlagen. Zurzeit weiß der Verbraucher gar nicht, wo er hingehen soll. Also: Ja, je länger es dauert, und ich rede da von Wochen, desto gravierender wird es sein gegenüber 2008. Wir müssen uns rasch auch über ein Wirtschaftsleben mit Corona Gedanken machen. Es wird dann nicht sofort um neue Rekordzahlen gehen können, aber es wird weitergehen. Wir müssen ein Stück weit Demut erlernen. In Zeiten wie diesen wird deutlich, wie wichtig Mobilität für unser Wirtschaftsleben ist und welchen ungeheuren Beitrag unsere Marktwirtschaft für die Gesellschaft leistet.